Offenbar nicht nur Gedankenspiel...

US-Militärstratege: 'Es ist an der Zeit, NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken'

Welt
Soldaten: Freepik; Luttwak: Scott335, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 (freigestellt & gefiltert); Komposition: Der Status.

Trotz milliardenschweren Waffenlieferungen scheiterte die "große Gegenoffensive" der Ukraine krachend; ein militärischer Sieg des Landes gegen Russland rückt in weite Ferne. Anstatt einen für alle Seiten gesichtswahrenden Frieden anzustreben, hat man im Westen aber immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt und kokettiert damit, auch NATO-Bodentruppen ins Kriegsgebiet zu schicken. Nach entsprechenden Vorstößen von Macron & Co. forderte dies ein US-Militärstratege & Historiker nun ganz offen als angeblich einzige Möglichkeit, um eine "katastrophale Niederlage" für den Westen zu verhindern.

Immer mehr plädieren für NATO-Bodentruppen

Mehr als nur ein Gedankenspiel: Denn nach dem Macron-Vorstoß schlossen sich polnische und tschechische Spitzenpolitiker der Idee an. Der langjährige Chef der Münchener Sicherheitskonferenz nannte die Idee "kühn, aber nicht falsch". Der lettische Staatspräsident forderte bei seiner Macron-Unterstützung gar die "Auslöschung" Russlands - Der Status berichtete. Zuletzt forderte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Zahlung weiterer 100 Mrd. Euro an die Ukraine und nahm eine spezielle NATO-Mission ins Visier. Dabei ging es noch nicht um Bodentruppen, sondern eine stärkere Bündelung der Waffenlieferung und der Ausbildung ukrainischer Soldaten.

Sehr wohl einen NATO-Einmarsch forderte nun im US-Magazin "UnHerd" der bekannte Militärstratege Edward Luttwak (81). Der in Rumänien als Sohn einer jüdischen Familie geborene Historiker und Militärstratege bekleidete in den USA wichtige Beraterämter, etwa für das Verteidigungsministerium, den nationalen Sicherheitsrat, das US-Außenministerium, alle drei Abteilungen der US-Armee (Army, Navy, Air Force) und diverse NATO-Verteidigungsämter. Präsidenten wie Ronald Reagan oder George W. Bush hörten auf seinen Rat. Für dessen kriegerische Reaktion auf "9/11" lieferte Luttwak eine Rechtfertigung in Form eines allegorischen Buches über historische Hegemonialstrukturen. 

Kein Mangel an Kriegsgerät, sondern Soldaten

Nun fordert Luttwak die Entsendung von NATO-Bodentruppen in die Ukraine - und setzt zur Begründung zuerst einmal bei den US-Atombomben auf Hiroshima & Nagasaki an. Er argumentiert damit, dass in den folgenden Jahrzehnten - sei es im Kalten Krieg oder der Zeit nach der Fall der Sowjetunion - dass Atombomben meist zur Abschreckung und zur Androhung eines Vergeltungsschlages gehortet wurden. Diese Logik bestehe noch immer: Auch Russland kann sich deren Einsatz lediglich im Falle, dass die Existenz des Staates bedroht sei, vorstellen. 

Wieso er ausgerechnet das Beispiel eines Atomkrieges einbringt, um die schlechte strategische Situation für Kiew anzuteasern, darüber lässt sich nur spekulieren. Aber er kommt jedenfalls zum Schluss: "Kiew führt dies auf mangelndes Kriegsmaterial zurück und bittet den Westen stets für mehr und bessere Waffen. Aber während wir noch mehr Gewehre und Lenkwaffen schicken könnten, wird immer klarer: Das, was Kiew zum schrittweisen Rückzug nötigt ist nicht der Mangel an Kriegsgerät, sondern an Soldaten." Der Ukraine würden die Männer im wehrfähigen Alter ausgehen, während Russland nicht einmal seine besten Truppen in die Schlacht schicken müsse.

NATO-Einmarsch, sonst "katastrophale Niederlage"

So weit, so richtig - aber seine Folgerung daraus ist nicht etwa ein Verhandlungsfrieden, bei dem alle Seiten noch gesichtswahrend herauskommen können. Er fordert den NATO-Einmarsch: "Die Rechnung ist unausweichlich - NATO-Ländern werden bald Soldaten in die Ukraine schicken müssen, oder andernfalls eine katastrophale Niederlage einstecken müssen." Briten, Franzosen und die skandinavischen NATO-Mitglieder würden bereits still und leise eine Entsendung von Truppen vorbereiten. Diese sollen dann nicht direkt an der Front zum Einsatz kommen, sondern die Militärlogistik entlasten. Das eigentliche Sterben sollen also weiter brav die Ukrainer übernehmen... 

Den USA rät er dabei aber, seine faktischen Vasallen in Europa für die Drecksarbeit einzuspannen: "Jetzt wo China sich allmählich zu einem Angriff auf Taiwan anschickt, können die USA nicht noch mehr Truppen liefern als jene 40.000, die schon in Europa stationiert sind. Daher obliegt die Entscheidung darüber anderen NATO-Mitgliedern, besonders jenen mit einer großen Bevölkerung: Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Wenn Europa nicht genug Truppen schicken kann, wird Russland am Schlachtfeld siegreich bleiben. Und selbst wenn die Diplomatie ein Total-Debakel verhindert, ist die russische Militärmacht siegreich zurück in Mitteleuropa."

Europäer sollen sich für US-Interessen opfern

Als notwendige Folge in diesem Fall erwähnt er die Aufrüstung in westeuropäischen Ländern, einschließlich der Rückkehr von Wehrpflichten in Ländern, die diese zuletzt aussetzten oder abschafften. Die Eskalationsspirale würde dann bedeuten, dass man "Zeuge eines Ausbruchs von Atom-Nostalgie" werden könnte, um den Frieden zu erhalten. Damit fordert der US-Militärstratege letztendlich eine Art Präventivschlag, um zu verhindern, dass Russland zum ernstzunehmenden Konkurrenten wird. Die Europäer sollen sich die Finger schmutzig machen, die Ukrainer sich weiter abschlachten lassen - und am Ende steht dann die Rettung der US-Hegemonie als Weltpolizist.

Das Meinungsstück bietet somit einen der eindrucksvollsten Einblicke in die Denkweise der US-Außenpolitik. Skurril in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass selbst die Aufrüstungsfantasien den Militärstrategen nicht vor Kritik aus Kiew feiten. Denn die ukrainische Regierung unterstellte ihm vor knapp zwei Jahren, angeblich ein "russischer Propagandist" zu sein. Luttwak meinte darauf seinerzeit einigermaßen amüsiert: Nachdem er seit dem ersten Tag des Krieges für die westliche Aufrüstung der Ukraine plädiert habe, sei er ja wohl "nicht gerade Putins ergebenster Agent". 

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