Sonderbares Neutralitätsverständnis

Schallenberg gegen Zivilisten-Schutz: Bei UN-Resolution zu Gaza-Waffenruhe

Politik
Gaza: Palestinian News & Information Agency (Wafa) in contract with APAimages, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 (gefiltert); Schallenberg: BMEIA/Gruber, Flickr, CC BY 2.0 (freigestellt); Abstimmung: Screenshot Twitter; Komposition: Der Status.

Neuerlich verabschiedete die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, die für einen Waffenstillstand im Israel-Gaza-Konflikt plädiert. Erneut will ÖVP-Außenminister Schallenberg päpstlicher als der Papst sein: Aufgrund einer Formalität ist man eines von nur 10 Ländern weltweit, die dem Morden kein Ende setzen wollen. Wieder ist man der einzige neutrale Staat, der gemeinsam mit Israel & den USA gegen einen Schutz von Zivilisten und gegen die Aufrechterhaltung humanitärer Verpflichtungen stimmt.

Gegen Zivilisten-Schutz: 'Schalli' allein zu Haus

"Nie wieder ist jetzt": Dieses Mantra, mit dem Israel seine überschießende Vergeltung gegen die palästinensische Zivilbevölkerung rechtfertigt, hat Schallenberg so verinnerlicht, dass es bei UN-Abstimmungen zu einem "immer wieder" wird. Denn während 153 Staaten für den Schutz von Zivilisten stimmten, ging das offizielle Österreich hier - ähnlich wie die USA, Israel, Tschechien, Guatemala, Liberia, Mikronesien, Nauru, Papua-Neuguinea und Paraguay - nicht mit. 23 Staaten - darunter diesmal auch Ungarn, die Marschallinseln und Fidschi (alle zuletzt noch dagegen) - enthielten sich. Kroatien, beim letzten Mal ebenfalls gegen eine Waffenruhe, stimmte diesmal sogar dafür. 

Auch praktisch alle neutralen Staaten dieser Welt - darunter die Schweiz - halten das humanitäre Völkerrecht hoch; einzig das mit den USA eng verwobene Panama enthielt sich. Nur Österreich scherte gänzlich aus. Laut dem ÖVP-nahen "eXXpress" scheiterte es daran, dass sich für Abänderungen der USA und Österreichs, wonach man die Geiselnahmen und/oder die Hamas-Angriffe zusätzlich verurteilen solle, keine ausreichenden Zweidrittel-Mehrheiten fanden. Schwülstig erklärt das Außenamt: "Dass in der UNO der politische Wille fehlt, diese grausame Realität zu benennen, ist ein Schlag ins Gesicht aller Opfer und ihrer Angehörigen."

Eine libanesische Polit-Kommentatorin illustriert, wie das Stimmverhalten in der Region ankommt: "Merkt euch die Länder, die gegen diese Resolution stimmten, sie sind Komplizen am Genozid gegen das Volk von Gaza."

Tausende Tote durch Dauer-Bomben

Ein Waffenstillstand, so die Behauptung des Schallenberg-Ressorts, spiele ausschließlich der Hamas in die Hände und schade Israel. Sie könne "ihren Terror intensivieren". Man ärgert sich außerdem darüber, dass das "völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung" nicht zugestanden würde. Womöglich scheitern Mehrheiten hierfür freilich am Ausmaß der Zerstörung, die Israel in Gaza verübt. Vor Kurzem ließ man binnen 24 Stunden ganze 450 Bomben auf das dichtbesiedelte Gebiet niedergehen, das kleiner als Wien ist - macht eine Bombe alle 3:12 Minuten. Etwa 50.000 Palästinenser wurden infolge der israelischen Angriffe verletzt, Hunderttausende wurden obdachlos.

Doch in Schallenbergs Welt existiert dieses Leid offenbar nicht, rechtfertigte er den Dauerbeschuss in Gaza doch im Oktober zynisch: "Die Israelis rufen an, bevor sie ein Gebäude bombardieren." Dies änderte freilich nichts daran, dass bereits 18.000 Palästinenser - darunter tausende Kinder - durch das israelische Bombardement starben. Und während man sich auf die "Selbstverteidigung" Israels beruft, sollte man nicht vergessen, dass der israelische Finanzminister offen aussprach, dass man den Gazastreifen als eigenständige Körperschaft auslöschen und mehr als 2 Mio. Araber in alle Welt - wohl vor allem nach Europa - vertreiben will.


Waffenruhe brachte Geiseln frei

Auch der ständige Verweis des ÖVP-Außenministers auf die Geiselnahmen lässt Frage aufkommen. Denn humanitäre Feuerpausen kann er sich nur unter der Voraussetzung vorstellen, dass "alle verbliebenen Geiseln" freigelassen werden. Dabei ignoriert er, dass es nicht die Bomben waren, welche bislang einige der Geiseln freikommen ließen. Stattdessen war es die einstweilige Waffenruhe, die über Vermittlung Katars ausgehandelt wurde, die zuletzt Bewegung in die Sache brachte. Im Austausch gegen 71 Frauen und 169 Kinder & Jugendliche aus Palästina, die oft ohne rechtskräftiges Urteil in Israel im Gefängnis saßen, kamen 108 Geiseln - davon 84 Israelis und 24 Ausländer - frei.

Es verbleiben laut israelischen Medien noch 137 Geiseln im Hamas-Gewahrsam; das offizielle Israel soll mittlerweile zu Verhandlungen über einen weiteren Gefangenen-Austausch bereit sein. Solche Deals haben im Nahost-Konflikt eine langjährige Tradition, die für die israelische Seite "teuerste" Aktion war die Freilassung von 1.027 Personen, darunter auch einige namhafte Hamas-Kämpfer, für einen israelischen Soldaten im Jahre 2011. Weiterhin befinden sich über 5.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, mehr als 1.300 davon in "administrativem Gewahrsam" ohne Gerichtsverhandlung. Viele sind Jugendliche, oft wirft man ihnen Steinwürfe gegen israelische Streitkräfte vor.

Für manche Beobachter ist das Abstimmungsverhalten der Regierung gar ein "Tiefpunkt der österreichischen Außenpolitik seit 1945":

Österreichische Geiseln sind ihm egal

Auch scheint Schallenberg bei der Freilassung von Geiseln mit zweierlei Maß zu messen: Denn während er im Israel-Gaza-Konflikt nicht einmal den Schutz von Zivilisten zusichern will, wenn diese nicht freigegeben werden, bleibt er bei österreichischen Geiseln im Nahen & Mittleren Osten untätig. Ein junger Student sitzt im Iran im Gefängnis, ein Pensionist (84) im Taliban-Knast in Afghanistan - Der Status berichtete. Seit Monaten kämpfen die Familien um Gerechtigkeit, doch stoßen sie beim Außenministerium auf taube Ohren - es will keine diplomatischen Kontakte zu den Regimes. Und so verschlechtert sich die Situation der beiden Österreichern täglich.

Bei einer Demo in Wien übergaben die Familien offene Briefe an Bundespräsident Van der Bellen, mit der Bitte, sich für ihre Freilassung einzusetzen. Bislang sind aber keine derartigen Aktivitäten des grünen Hofburg-Schweigers öffentlich geworden. Was Schallenberg betrifft, ist eine "situationselastische" Herangehensweise ohnehin nichts neues. Während er im September bei einem Holocaust-Gedenken tränenreich auf die "historische Verantwortung" Österreichs für die damaligen Leiden verwies, bleibt er bis heute eine Erklärung schuldig, wieso sein Großvater einen Brief vom NS-"Entjudungsreferat" über den beabsichtigten Erwerb einer "arisierten" Villa in Prag erhielt... 

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