Wo bleibt die 'vollumfängliche Verantwortung'?

Brief vom 'Entjudungsreferat': Familie Schallenberg wollte 'arisierte' Villa Mendel kaufen

Politik
Screenshot Bildzitat: Google/Außenministerium

Freimaurer, Adelige, Diplomaten und immer ganz oben: Die Familie Schallenberg hatte es durch alle Zeiten hindurch "gut". Wie ein Dokument einer Holocaust-Forschungs-Seite zeigt, ging es den Schallenbergs offenbar auch während des Nationalsozialismus nicht schlecht. Denn entsprechend eines Briefwechsels zwischen einem "Entjudungsreferat" und dem "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" wollte der Großvater des Außenministers eine "arisierte" Villa in Prag kaufen. Nachdem Juden die Villa mittels Enteignung genommen wurde, sollte Dr. Herbert Schallenberg-Krassl über eine Million Kronen für die "Villa Mendel" bezahlen.

Wo Geschichte ist, da ist auch die Familie Schallenberg 

Wo Geschichte ist, da ist auch die Familie Schallenberg. So erbaute die Adelsfamilie Schallenberg die erste Freimaurerloge Österreichs im Schloss Schallenberg-Rosenau im Waldviertel. Obwohl die Freimaurerei zu dieser Zeit illegal war, fröhnte ihr Schallenberg-Vorfahr Georg Christoph von Schallenberg gemeinsam mit Maria Theresias Gemahl Franz Stephan von Lothringen. Man lobbyierte für den Freimaurerbruder Mozart und band diesen an das Kaiserhaus. Liebevoll widmete das ÖVP-nahe Medium "Exxpress" der Schallenberg-Familie anlässlich der kurzweiligen Kanzlerschaft Alexander Schallenbergs ein Porträt, in dem dieser ein Quasi-Heldenstatus eingeräumt wird. 

Unter dem Titel "Seit mehr als 400 Jahren im Dienst von Herrschern, gerade in Zeiten der Not" schrieb Autor Stefan Beig:

Mit Blick auf seine aristokratischen Vorfahren scheint der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg wie geschaffen für seine jetzige Aufgabe: Im Dienste der Herrscher, gerade wenn es brenzlig wird – das waren die Schallenbergs schon in der Monarchie. Dabei bewiesen sie stets diplomatisches Geschick im Vermitteln zwischen den Fronten.

Arisierungsbeleg aus "United States Holocaust Memorial Museum"

Bisher unerwähnt blieb jedoch ein Teil der Schallenberg-Geschichte, der bisher unbekannt war. Kein Wunder: Damit würden die Schallenbergs beim netten Dinner am diplomatischen Parkett wohl eher nicht prahlen. So belegt ein Brief die Kaufverhandlungen durch Schallenbergs Großvater, Graf Herbert von Schallenberg-Krassl, über eine "arisierte" Villa in Prag. Nutzer fanden das Antwortschreiben in den historischen Dokumenten des "United States Holocaust Memorial Museum". Die "Gruppe Wirtschaft - Entjudungsreferat" gab dem "Hochbaureferat" des "Reichsprotektorats in Böhmen und Mähren" am 4. Juni 1941 eine positive Rückmeldung auf ein zuvor erfolgtes Telefongespräch. Grundsätzlich muss sich der angebahnte Kauf des "arisierten" Objekts durch die Schallenbergs entsprechend des Schriftverkehrs über Monate erspannt haben. Gleichzeitig dürfte der Schallenberg-Opa das Objekt bereits bewohnt haben. Dafür müsse er weiter Miete bis zum Kauf leisten, heißt es im Schriftverkehr, mit dem Betreff: "Hauskauf Dr. Herbert Graf Schallenberg-Krassl".

Das "Entjudungsreferat" hatte positive Nachrichten für Herrn Schallenberg-Krassl:

"Unter Bezugnahme auf das Telefongespräch vom 29.Mai 1941 übersende ich Ihnen in der Anlage die Schätzung des Architekten SCHICKETANZ samt den mir vorliegenden sonstigen Belegen, sowie einen Bauplan und bitte nach Möglichkeit bald eine Wertnachprüfung vorzunehmen. Ich lege auch das Schreiben des Herrn Dr. Rolf HALLER vom 8. Februar 1941 und des Baumeisters Rudolf ROLLIG vom 15. Januar 1941 bei und bemerke dazu, daß die Bezahlung der Hypothokenzinsen für die Beurteilung des Kaufpreises nicht in Betracht Kommen kann, da Graf Schallenberg-KrassI, solange er nicht Eigentümer ist, einen Mietbetrag zahlen muß, der mindestens den von ihm bezahlten Hypothekenzinsen entsprechen dürfte. Ich beabsichtigte einem Kaufpreis von K 1.035.555.- zuzustimmen,wobei eine Hypothek von K 400.000.- in Abzug zu bringen ist, sodaß eine Barzahlung von K 635.555.- erfolgen sollte. Dabei habe ich allerdings die mit Schreiben vom 8. Februar 1941 gemachten Einwendungen noch nicht berücksichtigt. Gez.Dr. Hofmann."

Post für Schallenberg: Das "Entjudungsreferat" beschäftigte sich intensiv mit dem Hauskauf des Herrn Schallenberg. Quelle: ushmm.org

Die "arisierte" "jüdische Villa" Mendel

Aus einem weiteren Dokument geht hervor, dass es sich bei dem Objekt um die "Villa Mendel" in Prag handle. Vermutlich war es also eine Familie Mendel, deren Villa "arisiert" wurde, sodass Herrn Schallenbergs Vorfahr die Villa zum günstigen Preis von 1,035.555 Kronen (umgerechnet etwa 687.298,68 Euro) kaufen konnte. Bei der "Arisierung" handelte es sich zur Zeit des Nationalsozialismus um die zielgerichtete Enteignung jüdischen Besitzes. Die Behörden nahmen extra eine Schätzung der Villa vor, um den Kaufpreis bestimmen zu können. Das deutet darauf hin, dass die Schallenbergs die ersten Interessenten an der "frisch arisierten" Villa waren und gute Kenntnisse über den neuen Markt der "arisierten" Immobilien hatten. Ob der Kauf letztlich zustande kam, ist nicht bekannt.

Die Schätzung des Wertes der Villa Mendel wurde am 5. Juni 1941 an die Geheime Staatspolizei in Prag mit der handschriftlichen Bemerkung "Jüdische Villa." übermittelt:


"Vollumfängliche Verantwortung für Österreich": Dachte Schallenberg auch an seine Vorfahren?

Im Zuge von Holocaust-Gedenken findet der beflissene Außenminister Schallenberg und Enkel des Grafen, der den Arisierungs-Kauf anstrebte, große Worte zur historischen Verantwortung. Über eine etwaige historische Verantwortung seiner Familiengeschichte verlor Schallenberg jedoch in der Öffentlichkeit noch nie ein Wort. Das ist bemerkenswert, zumal Politiker sonst sehr oft auf persönliches Story-Telling Wert legen.

So hätte Schallenberg beispielsweise im Zuge seines Mauthausenbesuchs und des Holocaustgedenkens mit dem israelischen Außenminister am 27. Jänner 2022 die perfekte Gelegenheit dazu gehabt, seine historisch aufregende Familiengeschichte zu würdigen. Dabei hätte das Herrn Yair Lapid und die anderen Mitglieder der israelischen Delegation bestimmt interessiert. Doch eine historische Verantwortung seiner Familie fand letztlich keine Erwähnung, jene Österreichs hingegen schon. Die Schuld-Assoziationen, die Schallenberg beim emotionalen Holocaustgedenken durch den Kopf gegangen sein müssen, lassen sich nun jedoch erahnen. 

Schallenberg umarmt Yair Lapid beim Holocaustgedenken:

Österreichisches Außenministerium, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Im Jänner 2022 erklärte Außenminister Schallenberg im Zuge eines Holocaustgedenkens mit dem israelischen Außenminister Yair Lapid in Mauthausen:

"Es ist ein besonderer und für mich persönlich sehr berührender Moment. Am Internationalen Holocaust-Gedenktag hier Seite an Seite zu stehen, ist ein starkes Zeichen dafür, dass wir gemeinsam in die Zukunft blicken, ohne die Vergangenheit zu vergessen."

Auf der Seite des Außenministeriums heißt es: "Gleichzeitig mahnte er Österreichs vollumfängliche historische Verantwortung für die NS-Gräueltaten ein." Dies tat Schallenberg mit folgenden Worten:

"Viel zu lange hat sich Österreich nur als Opfer des Nationalsozialismus gesehen. Wir haben uns gescheut, unsere historische Verantwortung anzuerkennen. Heute nehmen wir diese Verantwortung vollumfänglich wahr. Unsere Verantwortung bezieht sich dabei beileibe nicht bloß auf die Vergangenheit. Sie bedeutet entschlossenes und konsequentes Handeln gegen jede Form von Antisemitismus - jetzt und in der Zukunft."



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