Soziale Kälte statt Entlastung

Billiger konsumieren: Kocher verhöhnt unter Preistreiberei leidendes Volk weiter

Politik
Familie: Freepik; Kocher: BMF/Wenzel, Wikimedia Commons, CC BY 2.0; Komposition: Der Status.

Österreich leidet unter der höchsten Inflation seit 70 Jahren. Und es gibt Indizien, wonach hohe Übergewinne in einigen Branchen diese noch weiter antreiben. Von Preisdeckeln auf bestimmte Güter des alltäglichen Lebens hält ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher nichts. Lieber sollen die Bürger ihren Konsum verändern und damit die Inflation bekämpfen. Diese Sichtweise ließ Kocher jedenfalls am heutigen Dienstag im Ö1-Morgenjournal durchklingen.

Konsumenten sollen "billigere Angebote" wählen

In mehreren Branchen steigen die  Preise für die Endkunden mehr als die Kosten für die Produzenten. Unter diesen befinden sich mit dem Energiesektor, Bauland- und Forstwirtschaft gleich mehrere Bereiche, bei denen die öffentliche Hand entweder stark beteiligt ist oder zumindest Aufträge dorthin vergibt. Die Rede ist von einer "Profit-Preis-Spirale", manche Ökonomen gehen davon aus, dass ein Gutteil der Inflation somit "hausgemacht" sei. In der Energiewirtschaft - ohnehin durch das Merit-Order-Prinzip bereits mit Übergewinnen gesegnet - seien die Aufschläge besonders deutlich: bis zu 40 Prozent. Das bedeutet einfache Mehrkosten für andere Firmen - und doppelte für die notleidenden Bürger.

Damit im Ö1-Morgenjournal konfrontiert, versuchte Kocher diese Erkenntnis zu überspielen: "Erstens ist das eine Annahme, wir wissen das nicht, denn die Kosten sind nicht bekannt". Die zugrundliegenden Daten seien schließlich "noch nicht endgültig". Nach einigem Gefasel über das angeblich hohe Arbeitspensum der Wettbewerbsbehörden nahm er das einfache Volk in die Pflicht: "Das macht natürlich auch der Konsument, indem er billigere Angebote wählt [...] Wenn irgendjemand die Preise stark erhöht, geht es auch darum, selbst zu entscheiden, dorthin zu gehen, wo die Preise nicht so stark gestiegen sind. Ganz wichtig, um die Inflation auch in nächster Zeit nach unten zu bringen."

Billigere Angebote bei Energie unmöglich

Freilich: Kocher argumentierte dies anhand des Beispiels der Gastronomie, in der die Preise ebenfalls massiv anstiegen. Allerdings argumentiert er hier gegen einen Strohmann: Denn andere Branchen sind eben nicht vergleichbar. In den vergangenen Monaten stiegen etwa bei Energieanbietern gerade auch die Neukundenpreise auf ein Vielfaches des Vor-Krisen-Niveaus. Für die Konsumenten, die - anders als beim Wirtshausbesuch - keine Wahl auf Verzicht haben, hieß dies in der Regel: Massive Preisanstiege als Bestandskunde oder massive Preisanstiege beim Anbieterwechsel samt neuer Vertragsbindung, welche die Stromkosten zwei Jahre lang nicht entlang des Marktpreises senken. 

Kocher will Lebensmittelpreise nicht senken

Auch im Lebensmittelbereich bleiben die Preise hoch - und das obwohl die Großhandelspreise zuletzt wieder sanken. Für den Kunden zeigt sicher der Unterschied an der Supermarkt-Kassa nicht, es entstehen neue Gewinnmargen. Laut Ö1 liege dies auch daran, dass drei große Ketten den Markt dominieren. Dennoch wendet sich Kocher entschieden gegen eine Verbilligung der Waren, etwa mit einer Niedrigpreisgarantie für Grundgüter des täglichen Lebens wie in Frankreich: "Ich halte starke Eingriffe auf Preise immer für gefährlich." Dies erklärte er damit, dass es angeblich in Ländern mit Preisdeckeln zu "Versorgungsengpässen" käme. 

Dass die Regierung mit Einmalzahlungen reagierte, verteidigte er hingegen. Dies, so Kocher, habe die "Kaufkraft in den unteren Einkommensschichten erhalten". Dass viele Bürger und auch Firmen weiter vor dem Ruin stehen, stellt er nicht in Abrede, aber: "Die Hilfen können nicht immer alle voll erreichen." Nun gehe es, gemeinsam mit der Geldpolitik die Inflation nach unten zu bringen. Auf weitere Hilfen hat er offenbar keine Lust, es gelte die Nachfrage zu senken, etwa mit höheren Zinsen. Die öffentliche Hand soll weniger ausgeben - auch das würde die Inflation senken. Vor wenigen Tagen hatte er die Rekord-Inflation übrigens noch bagatellisiert - Der Status berichtete. 

FPÖ: "Herzloser" Minister ist "Höchststrafe"

Scharfe Kritik kam von FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch: "Energie. Heizen, Miete, Lebensmittel, Treibstoff – seit über einem Jahr leiden die Menschen unter Rekordpreisen. Das ist hausgemacht durch eine verfehlte Coronapolitik und die Teilnahme Österreichs am Wirtschaftskrieg gegen Russland. Und dann geht dieser herzlose Minister her und sagt flapsig, die Menschen sollen halt einfach in ein billigeres Restaurant gehen. Das alleine zeigt, wie weit Minister Kocher von der Realität entfernt ist. Die Schlangen von den Sozialmärkten werden immer länger – Restaurantbesuche sind für viele Menschen überhaupt nicht mehr drinnen."

Der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz fügte hinzu: "Er vergisst[...], dass immer mehr Menschen schon seit vielen Monaten in der Armutsfalle sitzen, aus der sie nicht herauskommen. Die können nicht mehr lange durchhalten – und die Armut ist schon längst im Mittelstand angekommen. All das scheint diese kaltherzige Regierung aber nicht zu interessieren." Die verunglückten Gutscheinleistungen seien längstens verpufft, es brauche Maßnahmen wie Steuersenkungen auf Energie, Lebensmittel und Treibstoffe, wie die FPÖ dies seit Langem fordere, fordern die beiden und fügen hinzu: "Dieser Wirtschaftsminister ist die Höchststrafe für die unter der Teuerung leidenden Österreicher!"

ÖVP-Minister als "Trio Infernale"

Sogar die SPÖ unterbrach die jüngste Beschäftigung mit sich selbst, um Kocher zu kritisieren. "Anstatt als zuständiger Minister darauf zu reagieren, die Wettbewerbshüter auf den Plan zu rufen und durch Preisdeckel Preise zu senken, sollen jetzt die Konsumenten schuld sein, weil sie falsch einkaufen. Das ist wirklich dreist", ärgerte sich der rote Vizeklubchef Jörg Leichtfried. "Diese Regierung hat offenbar aufgegeben und versucht nicht einmal mehr, die Teuerung zu bekämpfen." Kocher, Kanzler Nehammer und Finanzminister Brunner seien das "Trio infernale einer gescheiterten Inflationspolitik und des Versagens im Kampf gegen die Teuerung." 

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