SPÖ-Leute zum 'Selenski-Schwänzen'

Rote kritisieren Selenski-Gewerkschafts-Knebel, nicht aber Medien- & Partei-Verbote

Politik
Selenski: Wikimedia Commons, CC0; Kollross: 26pg05, Wikimedia Commons; Silvan: StefanHinzn, Wikimedia Commons (beide CC BY-SA 4.0; Komposition: Der Status.

Während die FPÖ die umstrittene Selenski-Rede im Parlament mit einem sichtbaren Zeichen des Protests boykottierten, stahl sich etwa die Hälfte der SPÖ-Politiker heimlich aus der Affäre. Mit diesem Umstand konfrontiert, suchten viele unter ihnen teils wortgleiche Ausreden. Einige brachten den Mut auf, die Innenpolitik des ukrainischen Machthabers zu kritisieren. Allerdings war auch diese Kritik halbgar: Sie sprachen sein Vorgehen gegen Gewerkschaften an, nicht aber sein Verbot von Oppositionsparteien & kritischen Medien.

Mehrheit mit unglaubwürdigen Ausflüchten

Die schwarz-grün-pinke Kriegstreiber-Einheitsfront war am Donnerstag nahezu vollzählig im Plenum und bauchpinselte das Kiewer Regimes ausgiebig. Für Aufsehen sorgte auch der Protest der FPÖ, die sich angesichts der heimischen Neutralität dagegen ausgesprochen hatte, den Präsidenten eines kriegsführenden Landes im Parlament reden zu lassen. Und die Sozialdemokratie, bei der aktuell bis zu 73 Kandidaten um den Parteivorsitz rittern? Die ist offenkundig auch in dieser Frage zerstritten. Ein Teil nahm Teil, ein anderer blieb ursprünglich kommentarlos fern. Im Nachhinein versuchen sie sich zu rechtfertigen - mit teils skurrilen Begründungen. 

Die linksliberale Wiener Stadtpostille "Falter" fragte bei den 21 Abwesenden nach. Die übliche Ausflucht hörte sich so an: Politische Gründe für die Abwesenheit gibt es nicht; private Terminkollision oder zufälliger Arzttermin; zudem eine PR-Veranstaltung für Sobotka. Aber natürlich sei man hyper-solidarisch mit der Ukraine. Die Mandatarin Melanie Erasim wies weiterhin auf die "Hetze" seitens der NEOS wegen des Fernbleibens hin. Einige von ihnen, namentlich Rudolf Silvan und Andreas Kollross, beide aus Niederösterreich, scherten hingegen auch inhaltlich aus. Sie erlaubten es sich nämlich, Kritik an Selenskis Politik zu üben. 

Kritik an Vorgehen gegen Gewerkschaften

Silvan äußerte sich als Vertreter der heimischen Neutralität, geißelte ÖVP & NEOS dafür, diese abschaffen zu wollen und appellierte daran, dass Österreich als Vermittler auftreten soll. Die Selenski-Rede tue der Neutralität hingegen nicht gut. Zudem sei dieser kein Unschuldslamm: "Was mir aber wichtiger ist, hier anzuführen, ist, die Innenpolitik von Präsident Selenski zu betrachten. Ich habe als Gewerkschafter ein massives Problem damit, wenn man offensichtlich den [...] Angriffskrieg Russlands dazu benutzt, um im eigenen Land Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte einzuschränken." 

Die Gewerkschaften in der Ukraine hätten "viele Feinde, angefangen mit der Schattenwirtschaft: Mehr als 30 Prozent der ukrainischen Arbeitsverhältnisse stehen außerhalb der Legalität. Dazu kommen das Kartell der Oligarchen, die fast die gesamte Großindustrie kontrollieren, aber auch viele Beamte und Parlamentarier. Unmittelbar nach dem Wahlsieg Selenskis wurde im Parlament eine Neufassung des Arbeitsrechts eingebracht. [...] Im Ergebnis dürfen die Unternehmer Tarifverträge einseitig kündigen. [...] Auch Kündigungen wegen Abwesenheit, Krankheit oder Urlaub sind jetzt möglich. Gewerkschaften sollen zu bloßen Organen der "Bürgerkontrolle" degradiert werden."

Oppositions-Verbot im Halbsatz bagatellisiert

Ähnlich äußerte sich Andreas Kollross, roter Bürgermeister in Trumau: "Ich kann Ihnen und allen Menschen in Österreich versichern, dass ich solidarisch bin mit dem ukrainischen Volk. [...] Nicht solidarisch bin ich mit dem Präsidenten der Ukraine, weil ich als Sozialdemokrat niemals mit einem Präsidenten solidarisch sein werde, der Gewerkschaften verbietet und auch immer wieder gegen die Opposition vorgeht. Der Umkehrschluss, dass ich deshalb zu Putin solidarisch sei oder gar dessen kriegerisches Handeln akzeptiere, trifft deshalb nicht zu." Er kritisierte, dass jeder, der Kritik an Selenski übe, in der veröffentlichen Meinung sofort als "Putinversteher" klassifiziert werde.

Weiter als bis zu "immer wieder gegen die Opposition vorgehen" reicht die Kritik des roten Parlamentariers nicht. Tatsächlich ließ Selenski nämlich sämtliche kritische Opposition im Vorjahr verbieten. Darunter befand sich mit der "Sozialistischen Partei der Ukraine" eine der ältesten Parteien des Landes und mit der "Oppositionsplattform Für das Leben" die bis dahin größte oppositionelle Kraft in der Werchowna Rada. Dies wurde mit dem Krieg begründet. In Wahrheit ließ Selenski deren Chef allerdings bereits im Frühjahr 2021 erstmals unter Hausarrest stellen. Zudem ließ Selenski damals drei Fernsehsender schließen, die er verdächtigte, mit dessen Politik zu sympathisieren. 

Gewerkschaften wichtiger als Pressefreiheit?

Es war erst der Anfang der totalen Gleichschaltung in der Ukraine, zu Jahresende 2021 wurden weitere oppositionelle Sender geschlossen. Nach dem Kriegsausbruch nahm die Vereinheitlichung der Propaganda endgültig überhand. Die Programmerstellung wurde den Eigentümern der Sendern entzogen, sie senden nun nahtlos dieselbe Propaganda, so etwas wie Medienvielfalt gibt es im von Korruption zerfressenen Land nicht mehr. Viele Medien verbot man mit der Behauptung, sie seien ein "Werkzeug des Kreml". Aber selbst pro-ukrainische Sender gerieten ins Visier, wenn sie zu lästig sind - darunter ein Medienprojekt, das am Maidan entstand und seit einem Jahr im Internet senden muss. 

All diese Entwicklungen, die weit von demokratischen Werten entfernt sind, haben die Roten entweder nicht am Schirm oder bagatellisieren diese durch beiläufiges Ansprechen im Nebensatz. Bei den eigenen Genossen ist die Solidarität schon größer, denn die Einschränkung der Gewerkschaften konnten die betreffenden Personen absatzweise einordnen. Dieses selektive Vorgehen führte in der Folge auch zu Kritik, etwa vonseiten des Journalisten Thomas Oysmüller vom TKP-Blog:

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