Neutralität unter Beschuss

FPÖ-Protest bei Selenski-Rede, Systemparteien liegen Ukraine-Despot zu Füßen

Politik
TV: Goodmockups.com; Selenski: Screenshot ORF III (Bildzitat); FPÖ-Protest: Herbert Kickl / Facebook

Die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski im österreichischen Parlament wurde mit Spannung erwartet. Nachdem dieser knapp zwölf Minuten lang die übliche Leier zum Besten gab, entlarvten sich die Systemparteien in ihren jeweiligen Lobesarien auf denselben erneut. Anders die Freiheitlichen: Die Partei von Herbert Kickl war aus Protest vor der Rede aus dem Plenum ausgezogen und hinterließ einen symbolischen Protest gegen die Aufgabe der Neutralität durch die Vierparteien-Einheitsfront.

Sobotka fühlt sich geehrt - FPÖ mit Protestaktion

Am heutigen Donnerstag fand der Tabubruch statt: Obwohl Österreich ein neutrales Land ist, nutzte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen Trick, um mit dem Ukraine-Machthaber Wolodymyr Selenski das Staatsoberhaupt eines kriegsführenden Landes einzuladen. In seinen Begrüßungsworten schwärmte er von der "besonderen Ehre", die durch dessen Auftritt dem kleinen Österreich zuteil werde. Er bekundete die "uneingeschränkte und ungebrochene Solidarität" des offiziellen Österreichs, weil die Ukraine angeblich "für die europäischen Werte" stehe. Daher werde Österreich das korruptionsgebeutelte Land auch weiterhin finanziell unterstützen. 

Einen anderen Standpunkt hat die FPÖ: Sie befindet, dass die heimische Neutralität bedeutet, weder einen russischen noch einen ukrainischen Vertreter im Parlament sprechen zu lassen. Sie setzt sich für eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik ein und hat auch eine entsprechende Petition gestartet. Vor der umstrittenen Selenski-Rede verließen die FPÖ-Mandatare geschlossen den Plenarsaal. Auf ihrem Tisch positionierten sie Aufsteller mit den Botschaften "Platz für Neutralität" und "Platz für Frieden": In sozialen Medien begründete FPÖ-Chef Herbert Kickl diesen Schritt. 


Knapp zwölf Minuten Propaganda aus Kiew

Selenski sprach knapp zwölf Minuten lang und setzte dabei auf die üblichen sprachlichen Kniffe: Russland führe einen "totalen Krieg", während die Ukraine "alle freien Völker" verteidige. Er drückte auf die Tränendrüse und schilderte zivile Opfer des Krieges, wobei er darauf achtete, die Russen kollektiv als "Terroristen" zu bezeichnen. Immer wieder thematisierte er Vorfälle in Butscha, deren Verantwortung bis heute nicht zweifelsfrei geklärt sind. Er behauptete, die Ukraine habe niemals etwas haben wollen, das ihr nicht gehöre - und sich nicht ins Leben anderer Völker eingemischt. Die Schikanen der offiziellen Ukraine gegen die russischsprachige Bevölkerung im Donbass sparte er hierbei allerdings aus. 

Die Ukraine wird siegen: Dessen ist er sich sicher. Er pries dabei eine angebliche "ukrainische Friedensformel", die ein Vorbild für andere Länder sein könnte. Als er diese bei der UN-Vollversammlung vorstellte, sagte Selenski noch: "Für uns ist es ein Krieg ums Leben. Deshalb brauchen wir Verteidigungsunterstützung - Waffen, militärische Ausrüstung und Granaten." Das kann er so im offiziell neutralen Österreich natürlich nicht sagen. Also hofft er auf eine Zukunft, in der er sich bei Österreich für die Mithilfe bedanken kann. Er pries die "produktiven Treffen" mit Nehammer und Van der Bellen und lud auch Sobotka und weitere Parlamentarier auf einen Besuch in Kiew ein. 

Selenski gibt versehentlich Ukraine-Minen zu

Der Zweck eines solchen Besuches: Alle auf die bedingungslose Unterstützung der Ukraine einzuschwören. Dort könnten die Politiker "mit eigenen Augen sehen, was es bedeutet, mit Russland konfrontiert zu sein und was Russland in die Welt und die Ukraine trägt." Er will dabei um das Verständnis werben, wie wichtig "jede einzelne Stimme" bei der Unterstützung der Ukraine sei, und wie wichtig es sei, hier "moralisch nicht neutral" zu sein. Es gehe nicht um Geopolitik oder militärisch-politische Angelegenheiten, sondern um Menschlichkeit und Zivilisiertheit, so der Politiker, der auf der Münchener Sicherheitskonferenz geächtete Streumunition forderte und demnächst radioaktive Uranmunition kriegt.

Er bedankte sich derweilen für die österreichische Unterstützung - etwa in der Energiewirtschaft oder bei der Entminung. Apropos Minen: Hier hatte Selenski betont, dass nicht weniger als 174.000 Quadratkilometer seines Landes vermint seien - eine Fläche doppelt so groß wie Österreich. Doch er macht die Rechnung ohne den Wirt: Der Donbass, die Regionen Saporoschje und Cherson sowie die Krim machen nur 130.000 Quadratkilometer aus. Vor wenigen Monaten sprachen Medien sogar von 250.000 Quadratkilometern von vermintem Land. Das heißt: Auch die Ukraine vermint ihr eigenes Gebiet - um dann im Westen diese Minen Russland unterzuschieben. Er wolle ja nur "Sicherheit und Ruhe"...

Lopatka lobhudelt westliche Kriegstreiberei

Bei der Einheitsfront verfing diese Propaganda - und so zeigten sich vor allem schwarze und pinke Vertreter vollmundig als Selenski-Jünger. Der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka, trat als Rednerpult und bedankte sich für die "mutige Haltung im Freiheitskampf". Der Krieg habe eine "globale Dimension". Die Aufrüstung durch NATO & EU verteidigte er: "Der Westen konnte hier gar nicht anders, als die Ukraine zu unterstützen, wir sind unserer Werteordnung verpflichtet [...] und haben das gegen ein diktatorisches Regime wie das von Putin selbstverständlich zu verteidigen". 

Als Grund dafür gab auch er an, dass die Ukraine für eine "offene Gesellschaftsordnung" kämpfe - es ist bester Globalisten-Sprech im Sinne von Regimewechsler George Soros, der auch beim Maidan-Putsch seine Finger im Spiel gehabt haben soll. Jedenfalls, so Lopatka, würde der Ausgang des Krieges darüber entscheiden, wie die "freie westliche Welt" im Vergleich zu "China, Russland und anderen Diktatoren" dastünde. Immerhin bekannte er sich zu Friedensverhandlungen - allerdings nicht ohne den Freiheitlichen für dieselbe Stoßrichtung zu unterstellen, "Putin-Freunde" zu sein und "die Botschaften von Radio Moskau zu vertreten." 

Bilderberger-Beate und ihr Heldenmythos

In dasselbe Horn stieß auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Die Obfrau der einzigen Partei, die sich auch offiziell für die Beseitigung der Neutralität einsetzt, sprach sogleich von einer "heldenhaften Verteidigung" der Ukraine und einem "heldenhaften Einstehen für unsere europäischen Werte". Der Kampf des Kiewer Regimes gelte "der Freiheit, der Demokratie, der Gerechtigkeit und auch und gerade der internationalen Friedensordnung". Es gehe in diesem Konflikt "ganz simpel um die Frage, in welcher Welt wir leben wollen", weshalb es gelte, die "westliche demokratische Ordnung, unsere internationale Friedensordnung zu bewahren". 

Meinl-Reisinger, die jeden, der für Neutralität und gegen die Selbstmord-Sanktionen eintritt für einen "Volksverräter" oder "nützlichen Idioten" des Kreml hält, schwelgte sodann in Erinnerungen, als sie im Juni selbst im ukrainischen Parlament war und die EU-Flagge ins Plenum getragen wurde. Sie sprach vom Streben nach "Freiheit & Selbstbestimmtheit", das flöße Putin Angst ein. Diese Worte kommen übrigens von derselben Frau, die vor etwas mehr als einem Jahr die Mentalakrobatik vollbrachte, eine strafbewehrte, staatliche Impfpflicht als "liberalen" Vorstoß zu bewerten - und dabei die Freiheit und Selbstbestimmtheit von Millionen Österreichern mit Füßen trat. 

Russland, so ist sich sicher, führe einen Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern "gegen Europa und den gesamten Westen". Dabei setze es auf Desinformationskampagnen, Cyber-Angriffe und systematische Versuche, die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren. Wer zu irgendeinem anderen Schluss kommt, dem spricht sie hingegen jedes Recht auf eine eigene Meinung hat. Nur wer sich auf die Seite der Ukraine stellt, habe das Recht für Frieden zu sprechen, so Meinl-Reisinger sinngemäß. Dabei geißelte sie die FPÖ für ihr Eintreten für Neutralität und Frieden. Sie stelle sich damit auf die "falsche Seite der Geschichte" und mache sich "zum Kollaborateur von diktatorischen Regimen".

Erneut faktenbefreite Brandstätter-Hetze

Noch radikaler drückte sich ihr Parteikollege Helmut Brandstätter, der von Sobotka übrigens Sonderlob bekam, aus. Der Ex-Journalist behauptete auf Twitter sogar faktenwidrig, der Auszug der Freiheitlichen aus dem Plenum sei eine "Anweisung von Putin". Erst kürzlich schockierte er mit einem üblen Hitler-Vergleich im Parlament, mit dem er FPÖ-Chef Kickl wegen des Eintreten für die Neutralität zu beflegeln suchte - Der Status berichtete

Es blieb nicht die einzige Entgleisung: Denn die Teilnehmer der Friedens-Mahnwache vor dem Parlament, die sich für die Neutralität stark machen, titulierte er als "Putin-Freunde" und wollte dies an einer einzelnen (!) Russland-Flagge festmachen. Nach dieser Logik müsste er selbst ein Fan des radikalen ukrainischen Nationalistenführers, NS-Kollaborateurs und glühenden Antisemiten Stepan Bandera, der in der Ukraine als Volksheld verehrt wird sein. Fand sich doch kürzlich bei einer Pro-Ukraine-Kundgebung, auf welcher er sprach, eine einzelne Flagge der "Ukrainischen Aufständischen Armee", die in der Westukraine ab 1942 schwere Verbrechen gegen Polen und Juden verübte. 

Rot-grüne Unschlüssigkeit sichtbar

Nicht so recht, wo sie stehen sollten, wussten im Übrigen die beiden verbleibenden Parteien im Parlament. Die SPÖ ist nicht nur in der Vorsitzfrage zerstritten, sondern offenbar auch in der Frage der Neutralität. Nur etwa die Hälfte der SPÖ-Abgeordneten war bei der Selenski-Rede anwesend. Schließlich ergriff Klubobmann Jörg Leichtfried das Wort und hielt eine fade Rede.

Auf der einen Seite erwähnte er seine Sorge vor der Lieferung von Uran-Munition an die Ukraine - auf der anderen Seite lobhudelte er die Selbstmord-Sanktionen, die gerade viele Hackler massiv treffen: "Das gemeinsame Vorgehen der EU ist wichtig und auch international ein notwendiges Signal." Dass sich die FPÖ für die Aufhebung ebendieser Knieschuss-Sanktionen sowie ein Ende der Waffen-Finanzierungen über die "EU-Friedensfazilität" einsetzt, kanzelte der SPÖ-Mann als "über 30 pro-russische Anträge" ab. 

Die Freiheitlichen als "Verräter der Neutralität": Diese absurde Deutung versuchte auch die grüne Außenpolitik-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedic. Diese schickte ihre Partei nur eine Woche vor, nachdem Klubobfrau Sigrid Maurer sich "immer noch im Krieg mit Russland" wähnte. Sie versuchte irgendwie zu vermitteln, dass die Grünen ja eh die pazifistischen Wurzeln noch nicht ganz verraten hätten: Man sei für einen "gerechten Frieden", wo Putin mit "seinen Großmachtsfantasien" scheitere.

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