Wirkungslose Sanktionen

Kein Firmen-Exodus: Nur 9 Prozent kehrten Russland den Rücken

Wirtschaft
Bild: W. Bulach, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Zu Beginn des Ukraine-Krieges und im Laufe der endlosen Sanktions-Pakete gegen Russland überschlugen sich auch die Meldungen, wie westliche Unternehmen geschlossen Russland den Rücken kehren würden. Doch eine Studie der schweizerischen Universität St. Gallen (HSG) und der Wirtschaftshochschule IMD kommt zu einem anderen Ergebnis. Weniger als 9 Prozent der westlichen Firmen haben Russland wirklich verlassen.

Es las sich wie ein Exodus des "Who ist Who" der Industrie und der Wirtschaft: Endlose Listen von Unternehmen, die im vergangenen Jahr Russland verließen und aufgrund des Ukraine-Krieges ihre Geschäfte im neuen "Reich des Bösen" beendeten. Von einer Vernichtung der russischen Wirtschaft und einem "in die Knie zwingen" des Riesenreichs war die Rede. Einige Politiker frohlockten und glaubten in ihrer Einfalt wohl selbst wirklich an das, was sie sagten. Und nun fast ein Jahr später ist Russland weder auf den Knien, noch liegt die russische Wirtschaft darnieder. Wer die Sanktionen mehr spürt, ist - gelinde gesagt - ein heiß diskutiertes Thema.

Nicht einmal 9 Prozent verließen Russland

Doch was für einige Firmen sicherlich eine gute Werbung war, sich dementsprechend vermarkten ließ und von Politik und Medien gefeiert wurde, trifft nur auf die wenigsten zu. Denn nicht einmal 9 Prozent der westlichen Firmen hat Russland bisher verlassen. Zu dem Ergebnis kommen Forscher der schweizerischen Universität St. Gallen (HSG) und der Wirtschaftshochschule IMD in einer Studie.  "Unsere Analyse zeigt, dass Ende November 2022 8,5 Prozent der EU- und G7-Unternehmen mindestens eine ihrer russischen Tochtergesellschaften veräußert hatten", schreiben die Studienautoren Simon Evenett und Niccolò Pisani. Ein massiver Exodus aus Russland sieht anders aus.

Nur 120 Firmen sind weg

Für die Studie wurden hauptsächlich Kapitaldaten von Unternehmen, die ihren Hauptfirmensitz in der EU und G7-Staaten haben untersucht und überprüft, ob sich etwa Veräußerungen von russischen Tochtergesellschaften seit Beginn des Krieges bestätigen. Als "zurückgezogen" werden Firmen auch gewertet, wenn sie nur einen Teil ihrer Tochterfirmen in Russland - aber nicht alle - verkauft haben.

Und die Ergebnisse sind aus Sicht der Sanktionen-Schreier ernüchternd. Denn von den 1.404 Unternehmen, die ihren Hauptsitz in der EU oder einem G7-Staat haben und die vor dem Krieg rund 2.405 Unternehmensbeteiligungen oder Tochterfirmen in Russland hatten, hatten sich neun Monate nach Kriegsbeginn gerade einmal 120 zurückgezogen.

Mehr US-Firmen zurückgezogen

Insgesamt, so die Studie, zogen sich mehr US-Unternehmen aus Russland zurück, als solche mit Sitz in der EU, Japan, Kanada oder Großbritannien. In Zahlen heißt dies: Während sich 30 US-Unternehmen zurückzogen, waren es aus Finnland 15, 14 aus Deutschland, 13 aus Großbritannien usw. Wobei die Studienmacher auch darauf hinweisen, dass sich bei einigen Firmen der Rückzug auch aufgrund von Hürden beim Verkauf der Tochtergesellschaften oder durch die russische Regierung verzögern kann.

Andere Firmen wären noch am Markt, weil sie ihre russischen Geschäftspartner oder Kunden nicht im Stich lassen wollen oder sie wollen wegen ihrer Wichtigkeit, etwa bei Medikamenten ihren Betrieb nicht einstellen. Zudem gäbe es aber auch Rückkehrmöglichkeiten. So kann wohl McDonald's seine russischen Betriebe innerhalb von 15 Jahren zurückkaufen. Auch für Nissan gibt es wohl derartige Rückerwerbs-Regelungen. Ein völlständiger Rückzug muss also auch keinesfalls dauerhaft sein. Allerdings erwarten die Studienautoren in Zukunft noch weitere Verkäufe.

Oftmals unprofitablere Unternehmen verabschiedeten sich

Von den 1.284 noch in Russland aktiven Unternehmen kommen mit 250 die meisten aus Deutschland. Gefolgt von Zypern, wobei hier oft russische Eigentümer vermutet werden. Interessant ist laut den Studienautoren jedoch, dass bei den Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben, die Profitabilität oftmals eher gering war oder es sich um Betriebe mit einer großen Belegschaft handelte. Denn die Gewinne der veräußerten Firmen machten vor Steuern nur 6,5 Prozent der Gewinne aller EU- und G7-Unternehmen aus, aber immerhin 15,3 Prozent der gesamten Belegschaft.

So zeigt sich auch, dass sich vor allem Dienstleistungsunternehmen oder Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes aus Russland verabschiedet hätten. Firmen aus den Bereichen Landwirtschaft oder Rohstoffabbau seien eher noch im Land geblieben. So decken sich die Zahlen auch mit Untersuchungen der "Kiev School of Economics" (KSE), derzufolge nur 5 Prozent der Unternehmen Russland verlassen hätten. Dass in der aktuellen Studie die Zahlen etwas höher sind, dürfte daran liegen, so vermuten die Studienmacher, dass der Druck auf Unternehmen aus der EU oder den G7-Staaten besonders hoch sei.

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