Verteidiger der Demokratie?

Westen baut vor: Frage um Legitimität Selenskis angeblich 'Kreml-Propaganda'

Politik
Bild: President Of Ukraine, Public Domain, Flickr

In der Ukraine regt sich zunehmend die Kritik an Machthaber Wolodymyr Selenski. Nicht nur an seinem zunehmend autoritären Führungsstil, der Ausschaltung von Medien und der Opposition, sondern auch an Umbesetzungen von Führungspositionen und vor allem an der Legitimität des Präsidenten, dessen Amtszeit am 20. Mai regulär enden würde. Doch wurde die Wahl ja bekanntlich abgesagt. Nun preschen westliche Denkfabriken bereits vor und versuchen, Kritik an Selenski bereits im Vorfeld als Kreml-Propaganda zu framen.

Im Westen fürchtet man offenbar zunehmend die mangelnde Zustimmung des Ukraine-Machthabers Wolodymyr Selenski. Nachdem wegen des Konflikts mit Russland die Präsidentenwahlen abgesagt wurden - nur für die Zahlung von 5 Milliarden Euro wäre Selenski zur Abhaltung bereit gewesen - scheint man daranzugehen, die Erzählung um den "großen Verteidiger westlicher Werte" etwas abzuändern bzw. umzuframen. Denn Kritik an Selenski gab es schon lange. Doch nicht nur die Gleichschaltung von Medien oder das faktische Verbot der Opposition wurde bisher im Westen als kriegsbedingt begründet und für unerlässlich erklärt.

Alles nur Kreml-Propaganda?

Nun beginnt man sich aber um die Legitimation Selenskis Sorgen zu machen. Denn offiziell würde seine Amtszeit am 20. Mai enden, womit auch seine weitreichenden Vollmachten Geschichte wäre. Und so prescht die US-amerikanischen Denkfabrik "Carnegie Endowment for International Peace", die unter anderem von der US-Regierung finanziert wird, vor. Sie gilt die als einer der drei größten Think Tanks neben Brookings Institution und Chatham House, 2018 galt sie sogar als der einflussreichste Denkfabrik. Interessanterweise fiel dies in die Zeit, als von 2014 bis 2021 der ehemalige CIA-Direktor William J. Burns Präsident war.

Und bei diesen einschlägigen Vordenken teilt man diese Sorge. Und baut zugleich vor. In einem Bericht, ob Selenskis Legitimität wirklich in Gefahr sei, heißt es: "Es ist unvermeidlich, dass der Kreml versuchen wird, jede Andeutung zu fördern, dass die ukrainische Regierung illegitim ist - das ist seit einem Jahrzehnt ein Grundpfeiler der russischen Propaganda." Also jede Kritik an dem Machthaber nur Propaganda?

Fehlende Legitimation

Allerdings, so stellt man zudem fest, gibt es Ungereimtheiten in der ukrainischen Verfassung, die die Frage nach der Rechtmäßigkeit, sollte Selenski nach dem 20. Mai im Amt bleiben - worauf Selenski auch hinarbeitet - stellen. So verbietet die Verfassung eigentlich die Abhaltung von Wahlen unter Kriegsrecht und beinhaltet zudem in Artikel 108 die Regelung, dass der Präsident so lange im Amt bleibt, bis sein Nachfolger gewählt ist. In Artikel 109 wird allerdings die Amtszeit des Präsidenten auf 5 Jahre beschränkt. Und hier liegt ein Knackpunkt, der Selenski auch bei der ukrainischen Bevölkerung Probleme bereiten könnte.

Denn eigentlich hatte er zu seiner Amtseinführung erklärt, nur eine Amtszeit als Präsident dienen und die Korruption ausmerzen zu wollen. Mit dem einen Versprechen hat es noch nicht ganz funktioniert und das andere scheint derzeit eben obsolet. Denn Selenski will weiter an der Macht bleiben - und so profitiert er von der Regeln, dass das Wahlrecht eben keine Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen während eines Kriegszustandes vorsieht. Parlamentswahlen wurden daher schon zuvor abgesagt, regulär hätten sie im Oktober 2023 stattfinden sollen. Selenski könnte somit auf dem Papier zugleich legitimer Präsident und illegitimer Diktator sein.

Parlamentspräsident soll übernehmen?

Und in der Ukraine ist Selenski längst nicht mehr der unhinterfragte Führer. Seine Kritiker argumentieren, dass er am 20. Mai abtreten sollte und der Sprecher des Parlaments als Präsident agieren sollte. Dabei beruft man sich auf den Fall aus dem Jahr 2014, als Präsident Viktor Janukowitsch aus dem Land floh und anschließend Parlamentspräsident Oleksandr Turtschynow als amtsführender Präsident übernahm, bis er an Wahlsieger Petro Poroschenko übergab.

Eine ähnliche Regelung gibt es etwa auch in Österreich, wo bei Ausfall des Bundespräsidenten die drei Nationalratspräsidenten die Geschäfte weiterführen. Parlamentspräsident in der Ukraine, ist derzeit allerdings Ruslan Stefantschuk, Mitglied der Pro-Selenski-Partei "Diener des Volkes", und dieser hat erwartungsgemäß bereits erklärt, nicht übernehmen zu wollen und Selenski bis zu kommenden Wahlen als Präsident die Stange zu halten.

Selenski will keinen Verfassungsgerichtsentscheid

Dieses Vorgehen passt aber vielen nicht. Selbst aus Selenskis eigener Partei wird Stefantschuk angezählt. So erklärte etwa der Fraktionsvorsitzende Dawyd Arachamija, dass sich seit Beginn des Krieges vieles geändert habe und die damals getroffen Absprachen nicht mehr unbedingt Gültigkeit hätten, weshalb das Parlament auch einen anderen Sprecher wählen könnte, der ab 20. Mai die Präsidentengeschäfte übernimmt. Lösen könnte den Streit das Verfassungsgericht.

Doch, so heiß es im dem Bericht: "Selenskis Büro ist nicht bereit, es einzuschalten. Erstens könnte ein solcher Schritt als Beweis dafür gewertet werden, dass selbst in Selenskis Team Zweifel an seiner Legitimität bestehen. Zweitens befindet sich Selenski in einem langwierigen Streit mit den Richtern des Verfassungsgerichts über deren Widerstand gegen die Anti-Korruptionsgesetze. Das Gericht könnte daher durchaus ein Urteil fällen, das die Situation nur noch komplizierter machen würde."

Mehr Waffen für Selenski

Sodann heißt es weiter: "Natürlich werden die gegen Selenski erhobenen Vorwürfe der Illegitimität für sich genommen die einfachen Ukrainer kaum beunruhigen, doch wenn sie mit erheblichen militärischen und sozialen Problemen einhergehen, könnten sie noch ernster werden." Und dies ist wohl die Hauptsorge. Denn derzeit sind zwar 69 Prozent der Ukrainer der Überzeugung, dass Selenski bis zur Aufhebung des Kriegsrechts Präsident bleibt sollte und 53 Prozent würden ihn gern in einer zweiten Amtszeit sehen, aber diese Werte sind zunehmend am Sinken.

Wohl auch ein Grund, weshalb Selenski zuletzt etwa den beliebten Oberkommandieren entließ und auch zunehmend andere Positionen mit Marionetten besetzt. Für den Westen heißt es also wohl, mehr Waffen liefern und erhebliche militärische Probleme zu verhindern, die zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung in der Ukraine führen könnten. Denn, wenn die Bürger einerseits keine Kanonen geliefert bekommen, andererseits aber weiter als Kanonenfutter an die Front geschickt werden, war's das wohl mit dem unverbrüchlichen Gehorsam gegenüber dem Schauspieler im Präsidentenamt.

Zunehmende Kritik

Die Stimmen, die einen Zweifel an dessen fortgesetzter Legitimation äußern, sind zahlreich. So etwa auch der ehemalige Parlamentssprecher Dmytro Rasumkow, der erklärt, dass die Amtszeit des Präsidenten am 20. Mai endet und er die Macht an den Parlamentspräsidenten abtreten sollte. Auch der ehemalige Parlamentsabgeordnete Oleksandr Dubinskij, gegen den derzeit wegen Hochverrats ermittelt wird, beschuldigte Selenski, die Macht an sich zu reißen. Und sie sind nicht die ersten, die sich immer kritischer Gegenüber dem "starken Mann in Kiew" äußern.

Bereits Ende des vergangenen Jahres warf der ukrainische Ex-Innenminister Jurij Lutsenko Ukraine-Machthaber Selenski einen zunehmend autoritären Führungsstil vor und beklagte, dass unter der Ausschaltung der Medien und auch des Parlaments die Demokratie in der Ukraine zunehmend leide. Später legte er noch nach und forderte, dass auch die Eliten an die Front gehen sollten. "Die Armee sollte nicht nur aus Arbeitern und Bauern bestehen, jeder sollte für die Ukraine kämpfen. Das erfordert allein der Gerechtigkeitssinn", so der Politiker.

Zweifel an Selenski gilt als "Verrat"

Und auch Klitschko kritisierte den Selenski-Stil zuletzt deutlich, als er erklärte: "Die Bewegung, die wir im Moment sehen, kann ich nicht als Demokratie bezeichnen. Es riecht nach Vertikalismus und Autoritarismus." Aber natürlich gibt's auch da ein praktisches Gegen-Narrativ. So weiß der US-Think Tank zu berichten: "Natürlich werden die Propagandisten des Kremls ihr Bestes tun, um die Zweifel an Selenksis Legitimität zu verstärken." Und in der Ukraine sperrt man zur Not ein paar "Verräter" mehr hinter Gitter.

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