Auf eigene Propaganda hereingefallen

Haben Russen unterschätzt: Schwierige Lage an Ukraine-Front

Politik
Bild: Freepik

Selbst Ukraine-Machthaber Wolodymyr Selenski räumt nach dem Rückzug bei Awdejewka ein, dass die Lage an der Front äußerst schwierig sei. Zumal die russische Armee bereits neue Vorstöße unternimmt. Es liegt aber nicht nur daran, dass derzeit keine Hilfslieferungen aus den USA kommen, sondern auch, dass der Westen die Russen völlig unterschätzt hat, wie westliche Analysten nun zugeben.

Pöbeln gegen westliche Verbündete

Für die Ukraine läuft es schon länger nicht ganz rund. Zuerst scheiterte die mit westlicher Unterstützung und massiven medialen Vorschusslorbeeren begleitete Offensive im Sommer 2023, dann folgte Streit innerhalb der ukrainischen Polit-Kaste und zwischen Politik und Militärführung. Letzterer endete mit der Entlassung des bis dato beliebten Oberbefehlshabers Walerij Saluschni, der auch Ukraine-Machthaber Selenski in Umfragen gefährlich wurde. Dazwischen hatte sich Selenski in einer gewissen Hybris auch mit einigen seiner "westlichen Verbündeten" angelegt.

So etwa mit Polen, welches zum Schutz der eigenen Landwirtschaft einen Import-Stopp auf ukrainischen Billig-Agrarprodukte verhängte - so wie etwa auch Ungarn oder die Slowakei. In seiner gewohnten Art polterte Selenski, dass man Klage bei der Welthandelsorganisation gegen die Importbeschränkungen einbringen werden. Und in einer Rede vor der UN pöbelte er indirekt gegen Polen, als er erklärte: "Einige Länder täuschen Solidarität nur vor und unterstützen indirekt Russland." In Warschau ließ man sich derartiges Verhalten - anders als zum Beispiel in Berlin - nicht bieten und legte sowohl die Beziehungen als auch die Hilfslieferungen auf Eis.

Nun ist Katerstimmung

In einem Video auf X legt der frühere Schauspieler, wenn auch schon deutlich kleinlauter nach. So berichtet er von einem Frontbesuch in der Region Charkow und fordert wie üblich mehr Waffen, mehr Luftabwehr an der Front und an Waffen mit größerer Reichweite und weitere Hilfen.

I am returning from our warriors' positions in the Kharkiv region.

The situation on the frontline is extremely difficult in several areas, particularly where Russian forces have concentrated the majority of their reserves.

They are taking advantage of delays in military aid… pic.twitter.com/1KFIZy5c7E

Zudem sprach er auch die Proteste polnischer Bauern und Unternehmer an der Grenze zur Ukraine an. Diese Blockade der Grenzübergänge durch die Polen sei ein verheerendes Signal der "Erosion der Solidarität" und bedürfe endlich der Klärung. Außerdem betonte er, dass es nur fünf Prozent der ukrainischen Landwirtschaftsexporte über die polnische Grenze exportiert würden. Verkneifen konnte er sich allerdings auch jetzt eine weitere Spitze, die das Verhältnis mit Polen kaum verbessern dürfte, nicht. Denn er erklärte, dass das Problem nicht beim Getreide, sondern in der Politik liege.

Russen massiv unterschätzt

Was sowohl die Lageexperten in der Ukraine und auch im Westen kaum erfreuen dürfte, ist eine Analyse, die dieser Tage im US-Magazin "The New Yorker" erschien. Darin geht man auf die Entwicklung des Krieges ein und auch auf die bestimmenden Faktoren. Dabei heißt es unter anderem zur gescheiterten ukrainischen Offensive 2023 und den Gründen dafür: "Der wichtigste Faktor war das russische Militär. Es war besser, als man ihm nach seiner katastrophalen Leistung im ersten Kriegsjahr zugetraut hatte. Es war nicht demoralisiert, inkompetent oder schlecht ausgerüstet. Die russischen Soldaten und ihre Offiziere kämpften auf Leben und Tod."

So wird etwa der  ehemaliger Marinesoldat und Analyst des russischen Militärs am Foreign Policy Research Institute Rob Lee zitiert: "Die Menschen zogen aus dem ersten Monat des Krieges sehr eindeutige Schlüsse. Und ich denke, dass viele dieser Schlussfolgerungen falsch waren." So sieht er keine Indizien für die ständig wiederholten Mainstream-Narrative, dass das russische Militär aus dem letzten Loch pfeife und weder Munition noch Ausrüstung habe. Vielmehr hätte das russische Militär sich schnell angepasst. "Sie brauchen oft schmerzhafte Lektionen, aber dann passen sie sich an."

So ist für Lee auch weder Kiews Strategie, noch die zu späte Lieferung moderner Waffen des Westens ausschlaggebend für das Fiasko vom Sommer 2023: "Das meiste kam von der russischen Seite", ist er überzeugt.

Westen fiel auf eigene Propaganda rein

Gestützt wird diese Einschätzung von Dara Massicot von der "Carnegie Endowment for International Peace", die mehr oder weniger unverblümt erklärt, dass der Westen auf seine eigene Propaganda hereingefallen ist und sich faktisch in einer autosuggestiven Phase durch die Übertonung der russischen Fehler zu Beginn des Krieges in unrealistische Erwartungen und Selbstgefälligkeiten hineinsteigerte. "Die Behauptungen, das russische Militär sei ein inkompetenter, lernunfähiger Clown, der kurz vor dem Zusammenbruch stehe und so weiter, sind nicht hilfreich und haben echten Schaden angerichtet", rechnet Massicot ab.

"Sie sind nicht zusammengebrochen. Sie sind immer noch da. Sie haben im Feld gestanden und über zwei Jahre hinweg westliche Waffen und Hilfe im Wert von Milliarden absorbiert." Warnende Stimmen, die darauf hinwiesen, dass der Krieg kaum zu gewinnen sei und daher diplomatische Lösungen hermüssten, wurden lange Zeit als "Putin-versteher" und "Kollaborateure" geschmäht. Doch inzwischen dürfte es kaum noch einen "westlichen Experten" geben, der ernsthaft an die Rückeroberung der Krim oder der gesamten Ost-Ukraine glaubt.

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