US-Armee, Ukrainer oder Cthulhu?

5 Ukrainer, 2 Pässe, 1 Jacht: Bullshit-Bingo des Westens zu Nordstream-Terror

Meinung
Symbolbilder (3): Freepik; Komposition: Der Status

Seit fünf Monaten schweigt das offizielle Deutschland zum Terror auf seine Energie-Infrastruktur. Dafür hat der Nordstream-Anschlag nun den Blätterwald erobert. Nur Wochen, nachdem der renommierte US-Journalist Seymour Hersh vom System als Gottseibeiuns diffamiert wurde, weil er Indizien vorlegte, wonach die USA und Norwegen hinter der Sabotage stehen, lancieren US-Geheimdienste ihr eigenes Narrativ: Eine "pro-ukrainische" Gruppe soll dafür verantwortlich sein. Die skurrile Geschichte lässt dabei kein Klischee aus.

Was habt ihr bei eurem letzten Segeltörn so gemacht? Gewiss war es weniger abenteuerlich als das, was die CIA-Zentrale in Langley in der jüngsten Episode von "Fünf Freunde vor Bornholm" vorgesehen hat. Nur dass "fünf Freunde", anders als in der Jugendbuchreihe, keine Clique von Heranwachsenden beschreibt, sondern eine "pro-ukrainische Gruppe" von "Putin-Gegnern". Und dass der Hund hier nicht die Spürnase ist, sondern irgendwo am Meeresgrund der Ostsee begraben liegt. Und anders als bei der Hersh-Enthüllung sind anonyme Tippgeber diesmal für die Systemmedien kein Problem: Immerhin kommt die Story ja von den Guten und dann wird das schon so stimmen, oder so. 

Diese absurde Geschichte sollen wir glauben

Die Geschichte geht so: Zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und eine Ärztin mieten sich ein Boot von einer polnischen Firma, die Ukrainern gehört. Sie stechen dann in einer der am meisten überwachten Meeresregionen der Welt in See. An Bord haben sie Sprengstoff, der die Wirkung von einer 500 Kilo TNT-Bombe hat. Das fällt weder der NATO noch Russland auf, weshalb die Bomben-Clique punktgenau wenige Kilometer vor dem Eintritt in dänische Gewässer 70 Meter hinabtauchen und den Sprengstoff platzieren kann.

Nachdem sie ihre geheimnisvolle Mission zielgerichtet zu Ende bringen, lassen sie ihren Kahn ungereinigt stehen, sodass man Sprengstoff-Reste entdeckt sowie zwei professionell gefälschte ukrainische Pässe. Ihr wisst schon: Das sind diese Reisedokumente, welche Wirtschaftsmigranten gerne auf der Flucht verlieren, aber Attentäter bei Terroranschlägen stets mitführen. Immer Spaß mit Pässen: Einst sprengte der deutsche Geheimdienst sogar ein Loch in ein Gefängnis, weil man Informanten in die RAF einzuschleusen wollte. Auch damals spielte ein gefälschter Pass eine zentrale Rolle in der Operation... 

Als ich noch über die obligatorischen Pass-Funde ulkte, hatte meine Kollegin bereits den Nachweis dafür aufgetrieben: 

Alles, nur nicht Washington im Verdacht

Was, das alles überzeugt sie nicht? Auch nicht, dass so reputable Blätter wie die "New York Times" und die "Zeit", sowie der deutsche Staatsfunk, fast zeitgleich dasselbe Narrativ lancieren? Dann sind Sie ein Verschwörungstheoretiker. Anders natürlich als der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius: Der wird schon seine Gründe haben, wenn er zwar nach fünf Monaten das eiserne Schweigen Berlins bricht und den Bericht an sich für plausibel hält, aber über eine "False-Flag-Aktion" spekuliert, mit dem Ziel die westliche Unterstützung für die Ukraine zu brechen. Wer am Narrativ zweifelt, ist aber gewiss ein ganz extremistischer, anti-westlicher Putin-Versteher und Friedensschwurbler.

Und weil das ja keiner sein will, hat auch der ORF bereits die richtige Einordnung parat. Als "Drahtzieher" sei Russland im Verdacht gestanden, habe aber "jede Verantwortung zurückgewiesen" und "mit dem Finger auf Washington" gezeigt. Gegen die Hersh-Enthüllung bringt man vor, dass diese "nicht in einem großen Medium" stattfand und sich auf eine "anonyme Quelle" stützte (die allerdings beim Pro-Ukrainer-Ausflug kein Problem mehr ist). Man zitiert das Dementi der US-Regierung von der "vollkommenen Erfindung". Zum Drüberstreuen folgt dann noch folgendes Bonmot: "Unabhängige Faktenprüfer haben auf Ungereimtheiten in dem Hersh-Bericht hingewiesen."

Sie pflanzen uns mit Sprengstoff

Dass diese "unabhängigen Faktenprüfer" eigentlich gar nichts widerlegten, sondern sich vor allem der Lächerlichkeit preisgaben, verschweigt der Staatsfunk geflissentlich. Der ARD-"Faktenfinder" hatte offenbar den Praktikanten auf den Google-Übersetzer angesetzt und dann irgendetwas von "pflanzenförmigem Sprengstoff" gefaselt, das aus der Originalquelle schlicht nicht hervorgeht - Der Status berichtete. Jetzt also das Narrativ der abstrakten Tätergruppe, von der niemand weiß, wer sie finanziert hat.

Das Selenski-Regime will es schon einmal nicht gewesen sein - das hob auch sein Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hervor: "Das wäre sicher ein Kompliment gegenüber unseren Spezialeinheiten, aber das ist schlichtweg nicht unser Handeln." Also zurück zum Start - und weil sich Washington und Langley ebenfalls nicht gegenseitig bezichtigen werden, müssen eben ominöse "Putin-Gegner" herhalten, deren Nationalität offengehalten wird.

Vor der gestreuten Geschichte rückt ein weiterer Aspekt in den Fokus: Denn eigentlich hatten US-Geheimdienst doch angeblich im Vorjahr vor ukrainischen Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines gewarnt. Aber irgendwie unterblieb das aufmerksame Auge auf die Region: Was laut "Faktenprüfern" niemals im Zuge der BALTOPS-Mission von Militärs durchgeführt wurde, soll ein dilettantisches Fünferteam geschafft haben, in dem es wochenlang mit Sprengstoff an Bord durch die Ostsee schippert. So heruntergewirtschaftet ist die US-Weltpolizei nicht einmal in Zeiten, in denen sie aus surrealer Angst vor China oder UFOs mit 400.000-Dollar-Raketen auf 12-Dollar-Hobby-Ballons feuert.

Lange Geschichte der False-Flag-Aktionen

Der Westen tischte uns im Laufe der Jahre schon einige abenteuerliche Geschichten auf, insbesondere wenn es darum ging, völkerrechtswidrige Angriffskriege zu argumentieren. Mal werden sie entlarvt wie die Brutkasten-Lüge, mal folgen immerhin jahrelange Spekulationen über mögliche Ungereimtheiten. Etwa zur Frage, wie unerfahrene Terroristen hochkomplexe Flugmanöver punktgenau in zwei Hochhäuser oder ins Erdgeschoss des Verteidigungsministeriums vollziehen können. Aber lassen wir das - denn im aktuellen Fall kann pikanterweise nicht einmal die mutmaßliche Blendgranate der "pro-ukrainischen Gruppen" wirklich die mögliche CIA-Beteiligung widerlegen.

Zuzutrauen wäre es ihr angesichts ihrer langen Geschichte an False-Flag-Operationen. Was mit der gescheiterten "Invasion in der Schweinebucht" auf Kuba begann, ging mit der Umleitung von Erlösen aus iranischen Waffendeals an Milizen in Nicaragua weiter. Ab Ende der 70er Jahre rüstete die CIA afghanische Mudschaheddin-Kämpfer auf, aus denen sich dann später die Taliban bildeten. In Chile operierte man jahrelang verdeckt, um schließlich den demokratisch gewählten Präsidenten mithilfe eines Militärputsches zu stürzen. Und 1982 ließ die CIA sogar eine Gas-Pipeline in Sibirien sprengen. Aber wer kommt schon auf die absurde Idee, dass sie ihre Finger erneut im Spiel gehabt haben könnte...?

USA, Pro-Ukrainer oder doch Cthulhu?

In einer idealen Welt würde man die Vielzahl an Thesen miteinander abgleichen und irgendwo würde sich in der Schnittmenge der wahre Hintergrund ergeben. Da könnten im Zweifelsfall sogar Teile mehrerer Berichte, die ursprünglich widersprüchlich erschienen, sich ineinander fügen. Doch bei der Nordstream-Aufklärung geht es offenkundig längst nicht mehr um die Wahrheitsfindung, sondern darum, einen dem Westen möglichst nützlichen Verantwortlichen zu finden. Was mit Spekulationen der Transatlantiker-"Bild" über eine angebliche russische Elite-Einheit begann, findet nun mit dem nicht sonderlich glaubwürdigen Bericht über die "pro-ukrainische Gruppe" eine irrlichternde Fortsetzung.

Aber wenn man schon nicht an ehrlicher Aufdeckung interessiert ist, weil womöglich "die Falschen" - nämlich "Verbündete", denen man in bestem Vasallentum keine Grenzen aufzeigen will - dahinter stecken könnten: Ich habe einen Vorschlag zur Güte. Wir lassen das mit den Schuldzuweisungen und einigen uns auf die Theorie, dass in Wahrheit das Lovecraft-Wesen Cthulhu dahinter steckt. Dieses hätte dann seinen üblichen Aufenthaltsort in R'lyeh am Boden des Pazifiks für etwas Sommerfrische in der Ostsee verlassen und erwachte dort unerwartet. Damit wäre dann auch das ominöse Blubbern an der Wasseroberfläche geklärt. Viel unrealistischer als die nun lancierte West-Version ist's auch nicht.

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