Hamas-Terrorist heißt 'Freitag': IDF rechtfertigt Spital-Angriff mit irren Lügen
Im Krieg stirbt bekanntlich - auf allen Seiten - die Wahrheit zuerst. Doch im Nahost-Konflikt versteigen sich die Akteure immer mehr zu absurden Behauptungen, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Die Propaganda-Videos, mit denen Israel seinen Angriff auf das Rantisi-Spital - das auf krebskranke Kinder spezialisiert ist - zu rechtfertigen versucht, stellen dabei jedes "Pallywood"-Filmchen der Gegenseite in den Schatten. Ein Wandkalender als "Beleg" für die Haltung von Geiseln ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Terroristen sollen wie Wochentage heißen
Freitag kennen wir seit der Kindheit als treuen Begleiter des Robinson Crusoe, den dieser vor einem Eingeborenen-Stamm rettet. Und Wednesday Addams lehrte Generationen gleichermaßen das Gruseln und Schmunzeln. Aber vielleicht muss ja die Rezeptionsgeschichte des Boomtown Rats-Hits "I Don't Like Mondays" umgeschrieben werden, sodass er sich nicht mehr auf einen Schul-Amoklauf, sondern eine Anti-Terror-Operation bezieht. Zu diesem grotesken Schluss kann man zumindest bei der jüngsten Propaganda kommen, die Israel zur Rechtfertigung seiner überschießenden Vergeltung im Gazastreifen benutzt.
Dabei führt ein IDF-Sprecher in einem Video durch einen Keller unterhalb des Spitals. Seine Erzählung ist einfach: Provisorische Sanitäranlagen, Vorhänge und Baby-Fläschchen seien ein unumstößlicher Beweis für die Haltung israelischer Geiseln tief unter dem Krankenhaus. Als Haupt-"Belastungs"-Indiz nimmt er einen Wandkalender, der am 7. Oktober beginnt: "Auf arabisch sagt diese Liste: Wir sind in einer Militäroperation gegen Israel. Das ist eine Wächterliste, wo jeder Terrorist seine Schicht mit seinem Namen zeichnet." Doch dies entspricht keineswegs der Wahrheit: Denn die arabischen Schriftzeichen bezeichnen lediglich die Wochentage...
Der palästinensische "Al Jazeera"-Journalist Muhammad Shehada klärte über die absurde Falschnachricht auf:
Not a Borat Sketch! The IDF Spokesman points to a random calendar at the Rantisi hospital as "evidence" of a "hostage keepers' list" with "terrorists' names".
— Muhammad Shehada (@muhammadshehad2) November 13, 2023
But the ONLY thing on that "list" is literally the days of the week (Saturday-Friday).
No tunnels, no weapon stash...🧵 pic.twitter.com/5kgPHtKfrA
Weitere Einwände gegen IDF-Propaganda
Auch bezweifelt Shehada die israelische Darstellung, wonach sich unterhalb des Spitals jemals Geiseln befunden hätten. Für die übrigen "Indizien" hat er ebenfalls einleuchtende Erklärungen. So ließen sich hastig installierte Sanitäreinrichtungen und Utensilien für Kleinkinder auch mit einer Notunterkunft für Zivilisten erklären. Außerdem hinterfragt er, wie die Hamas-Kämpfer denn die angeblichen Geiseln unbemerkt aus dem Komplex hätten schmuggeln sollen:
3\ The women's clothes, diapers, milk & improvised toilet are b/c 1000s of civilians sought shelter at the hospital.
— Muhammad Shehada (@muhammadshehad2) November 13, 2023
The curtains are for video conferences & media appearances in that MEETING ROOM.
Again, if hostages were there, how were they moved out in front of your tanks? pic.twitter.com/QIu8dn9vwH
Auch die "Waffenlager"-Behauptung sei bereits aus früheren Jahren bekannt. Er fragt daher offen, ob israelische Medien, welche die Story nun ohne Double-Check übernehmen, es vielleicht bei anderen Aspekten des Krieges mit der Wahrheit womöglich ebenfalls weniger genau nahmen:
5\ The "weapon stash" trick is so old & obvious, it was openly advocated for by Israel's ex-Prime Minister Yair Lapid in 2010 to legitimize the Israeli attack on the Mavi Marmara Freedom Flotilla Ship where they killed 10 civilians that tried to break the naval blockade on Gaza! pic.twitter.com/59y665qJmK
— Muhammad Shehada (@muhammadshehad2) November 13, 2023
Für die Existenz von Tunnelsystemen oder Waffen im Spital hätten die Israelis nach dem Sturm allerdings keinerlei Belege produzieren können. Der laut IDF-Video näheste Tunneleingang befinde sich angeblich hunderte Meter vom Spital entfernt - beim bekannten Haus eines bekannten Hamas-Kämpfers:
7\ The IDF forcibly emptied the Rantisi Paediatric Hospital of all patients & refugees & took over it completely.
— Muhammad Shehada (@muhammadshehad2) November 13, 2023
They inspected virtually every detail of the building & couldn't provide ANY hard evidence that there were tunnels inside the hospital or rockets/arms fired from it!
Staatsfunk übernimmt IDF-Version
Nicht nur den israelischen Medien ist dies egal, sondern auch der deutschen "Tagesschau" und dem österreichischen ORF. Völlig ohne jede kritische Hinterfragung nimmt und verkauft man den Inhalt des Videos für bare Münze. Berichtet wird dort auch von "Geheimdienst-Informationen", wonach sich vor Ort Geiseln befunden hätten. Sprich: Derselbe Geheimdienst, der monatelange Vorbereitungen zum Hamas-Angriff am 7. Oktober, von dem angeblich sogar Journalisten vorab unterrichtet waren, übersehen haben will, möchte nun unterirdische Waffendepots mit chirurgischer Präzision lokalisieren können....
Es ist nicht das erste Mal, dass der Propagandakrieg um Angriffe auf ein Krankenhaus für journalistische Fragezeichen sorgt. Schon vor einigen Wochen stellte sich die Frage, wer ein Spital in Gaza bombardiert hatte. Ursprünglich übernahmen westliche Medien die Hamas-Darstellung eines israelischen Beschusses, ehe man nach einem Dementi Israels einen 180-Grad-Schwenk vollzog und fortan von einem palästinensischen Irrläufer sprach. Dass neben "Al Jazeera" auch der britische Sender "Channel 4" wenige Tage später nachweisen können wollte, dass auch an dieser Version etwas faul sein muss, fand international dann nur noch beschränkt Aufnahme...
Vorsicht bei Kriegspropaganda beider Seiten
Das heißt nicht, dass nicht ein Funken Wahrheit in der IDF-Version stecken kann. So versucht ein weiterer Twitter-Nutzer - ein selbsterklärter "intersektionaler Ökologe" - die Einwände Shehadas zu widerlegen. Er erinnerte, dass Vorhänge vor fensterlosen Wänden bereits in Geisel-Videos zu sehen waren, wohl um deren humane Behandlung zu suggerieren. Allerdings zeigt die selektive Einordnung des angeblich gefundenen Materials - einschließlich der erwiesenen Falschbehauptung des "Terroristen-Wandkalenders" - zumindest, dass man in Konflikten immer bei der Kriegspropaganda beider Seiten vorsichtig sein muss, ehe man sie in alle Windrichtungen verbreitet.
Next Shehada lies about the 🏥 basement holding area for the 🇮🇱10/7 hostages that’s filled with evidence that it was being used to hold & house them while having access to medical care. The curtained windowless room fits the hostage videos we’ve seen released by Hamas of Mia Sham https://t.co/qPOwXp7gP0 pic.twitter.com/09VuyiYlr3
— Evon 𓄂𓃭 (@knowmium) November 14, 2023
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