Weg für Ukraine wird freier

NATO-Gipfel: Geschacher wie am türkischen Basar und Zugeständnisse an Ukraine

Politik
Bild: Freepik

Der NATO-Gipfel in Vilnius brachte interessante Ergebnisse. Schweden darf der NATO beitreten, die Türkei hob ihre Blockade auf. Allerdings hat dies einen fahlen Beigeschmack, denn man beugte sich Erdogans Druck und will sich nun für einen EU-Beitritt der Türkei einsetzen. Selenskis Maximalforderungen wurden hingegen nicht erfüllt, es gibt jedoch deutliche Erleichterungen für einen NATO-Beitritt der Ukraine.

EU & West-Bündnis verschmelzen immer weiter

Was hat die NATO mit der EU zu tun? Eigentlich nichts, abgesehen davon, dass viele EU-Mitgliedstaaten ebenfalls NATO-Mitglieder sind. Und vielleicht, dass die EU seit dem Ukraine-Krieg als verlängerter Arm der USA agiert und mehr deren Interessen und somit die der NATO verfolgt als objektiv die Interessen der EU-Staaten und der Bürger. Dadurch wird die Verquickung immer enger, so dass sich weltweit Staaten zunehmend vom "Westen" abwenden, in dem sie keinen ehrlichen Partner mehr sehen und sich dabei Gegenpolen etwa den BRICS-Staaten annähern.

Dass es eine Trennung zwischen dem angeblichen Verteidigungsbündnis und etwa der EU nicht mehr gibt, zeigte zuletzt das Gerangel um die NATO-Mitgliedschaft von Schweden. Der türkische Präsident Erdogan riss die Frage als Faustpfand für die eigene Verhandlungsposition an sich. Dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kann dies aber egal sein, er hat sein Ziel vorerst erreicht, wie er bereits am Montag Abend auf Twitter kundtat.

Tausche NATO- für EU-Mitgliedschaft

So war es für Erdogan nicht mehr nur die Kurden-Frage, wegen der er den schwedischen Beitritt in das Militärbündnis blockierte - Schweden solle die von der Türkei als Terrorgruppe eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK "zerstören" - sondern plötzlich stand auch wieder der EU-Beitritt der Türkei auf dem Tapet. "Ich möchte eine Tatsache unterstreichen. Die Türkei hat 50 Jahre lang vor der Tür der EU gewartet. Fast alle NATO-Mitglieder sind auch EU-Mitglieder. Ich wende mich nun an diese Länder, die die Türkei seit über 50 Jahren haben warten lassen, und ich werde mich erneut an sie in Vilnius wenden", verlautbarte Erdogan Anfang der Woche.

Dabei sind die Probleme in dem mehrheitlich asiatischen Land, wegen denen Brüssel die Beitragsverhandlungen auf Eis legte, keinesfalls ausgeräumt. Der offizielle Grund waren etwa Massenverhaftungen nach dem gescheiterten Militärputsch gegen Erdogan 2016. Dabei hätte der Werte-Westen sich in Wahrheit selbst am Liebsten bis zuletzt des starken Manns am Bosporus entledigt: Nachdem er stets die Anliegen seines Landes am internationalen Parkett vertrat und sich darüber hinaus sogar als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine anbot, kokettierte man in Europa zuletzt mit einem "Regimewechsel". Doch Erdogan gewann im Mai erneut die Präsidentenwahl deutlich. 

EU nur noch Verhandlungsmasse

Dass Erdogan schließlich den Weg bei den Verhandlungen zwischen ihm, Stoltenberg und dem schwedischen Ministerpräsidenten Kristersson für eine NATO-Mitgliedschaft freigab, dürfte an weitreichenden Zugeständnissen gelegen haben. So kündigte etwa Stoltenberg die Schaffung eines "Sonderkoordinators für Terrorismusbekämpfung" in der NATO an, um dem türkischen Wunsch im Kampf gegen die Kurden nachzukommen. Zudem hätten Schweden und die Türkei auch eine bilaterale Sicherheits-Vereinbarung getroffen, so Stoltenberg. Und zu guter Letzt machte Schweden an Erdogan die Zusage, den EU-Beitrittswunsch Ankaras aktiv zu unterstützen.

Die EU ist also noch mehr zu einer NATO-Verhandlungsmasse degradiert worden. Von selbstständiger europäischer Politik ist man immer weiter entfernt, wenn nun sogar die NATO "mitverhandelt", wer aufgenommen werden soll. EU-intern dürfte eine Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Erdogan-Regierung für weiteren Ärger sorgen, wurden diese doch schon in der Vergangenheit in seltener Einigkeit auf beiden Seiten des politischen Spektrums kritisch gesehen. Als überaus kurzsichtig und nicht von Fachkenntnis getrübt fällt so auch die Jubelmeldung der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock aus, die Schwedens Aufnahme auf Twitter feiert.

Zugeständnisse auch an Selenski

Aber auch in Sachen Ukraine kam Bewegung in den NATO-Gipfel. Zwar wurden die Maximalforderungen des ukrainischen Machthabers Wolodymyr Selenski nicht erfüllt, aber es gab weitreichende Zugeständnisse. "Es ist beispiellos und absurd, wenn es keinen Zeitplan gibt, weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft der Ukraine", tönte Selenski noch vor dem Gipfel. Zwar muss er ohne Zeitplan nach Hause fahren und auch eine Einladung in die NATO, wie man es in Kiew gefordert hatte, gab es nicht, aber Selenski kann den Gipfel dennoch als Erfolg verbuchen: Mehr Waffenlieferungen, Munition und Geld.

Aber auch wenn es keine Sicherheitsgarantien oder gar einen "sofortigen" NATO-Eintritt gibt, wie dies einige Länder gern gehabt hätten - Der Status berichtete - wird der Weg in das Militärbündnis verkürzt. Denn die Gipfelerklärung verzichtet ausdrücklich auf einen "Membership Action Plan". Zwar besteht man weiter auf Reformen im von Korruption gebeutelten Land. Aber sollte der Krieg vorbei sein oder ein Waffenstillstand geschlossen, könne der Beitritt dann ähnlich schnell gehen, wie der von Finnland. Und der Rest ist zwar vorerst aufgeschoben aber nicht aufgehoben: Man konnte ja in den letzten Monaten gut beobachten, wie nach und nach alle Forderungen aus Kiew doch erfüllt werden.

+++ Folgt uns auf Telegram: t.me/DerStatus und auf Twitter: @derStatus_at +++

Dir gefällt unsere Arbeit? Unterstütze uns jetzt mit deiner Spende, damit wir weiterhin berichten können!

Kontoinhaber: JJMB Media GmbH
IBAN: AT03 1500 0043 9102 6418
BIC: OBKLAT2L
Verwendungszweck: Spende

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten