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Ulbricht-Doktrin als Vorbild?

Es soll 'demokratisch aussehen': Wahl-Verlierer rudern zum Schein zurück

Politik
Fotos (5): (C) Alois Endl; Ulbricht: Deutsche Fotothek, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 DE; Komposition: Der Status.

Dass eine "Loser-Koalition" die künftigen Geschicke in Österreich leiten soll, gilt als ausgemachte Sache. Gab doch die Systemparteien-Einheitsfront sogleich bekannt, an der Kickl-FPÖ vorbei regieren zu wollen. Man stellte sogar laute Überlegungen an, ihr entgegen bisheriger Gepflogenheiten den 1. Nationalratspräsidenten zu verweigern. Doch seit dem Dienstagnachmittag schwenkt man auf eine neue Strategie um: Die FPÖ soll nun einen "Sondierungsauftrag" haben, damit's dann so aussieht, dass die Wahlverlierer quasi aus Staatsräson die Macht an sich reißen.

Klarer Wahlausgang - und das Schachspiel beginnt

Das Ausmaß der veränderten Kräfteverhältnisse nach der Wahl am Sonntag ist historisch. Nur einmal in der zweiten Republik - nämlich direkt nach "Knittelfeld" - gab es eine größere Verschiebung von einer Partei zur andern. Damals betraf dies den Austausch zwischen zwei Regierungsparteien. Diesmal brach die schwarz-grüne Regierung um 17% ein - die Grünen verloren 40% ihrer Wähler, die ÖVP als erste Kanzlerpartei zweistellig. Die SPÖ profitierte davon trotz angerichteter Themenlage nicht und unterbot ihr bislang schwächstes Ergebnis. Die NEOS gewannen minimal dazu - und die FPÖ verdoppelte sich fast auf 30% und errang erstmals den ersten Platz.

Diese Spitzenposition war bislang mit klaren Usancen verbunden: Die stärkste Partei bekommt vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung und stellt den 1. Nationalratspräsidenten. Doch beim FPÖ-Wahlsieg sollte plötzlich alles anders sein: Alexander van der Bellen zögert beim Auftrag an Herbert Kickl. Und gleich mehrere Grün-Politiker überlegten, der FPÖ das Parlamentspräsidium zu verweigern, nachdem man die umstrittene Vorsitzführung von ÖVP-Drahtzieher Wolfgang Sobotka fünf Jahre lang problemlos tolerierte. Gesundheitsminister Johannes Rauch wollte sich gar ein Beispiel am fragwürdigen Altparteien-Schachspiel in Thüringen nehmen.

Perfider Plan: Kickl auflaufen lassen, selber Retter spielen

Doch nun dämmert den Systemparteien, was Der Status-Redakteurin Bernadette Conrads in ihrer Analyse erklärte: Je mehr sie die Demokratie mit Füßen treten und über den Wählerwillen drüberfahren, desto mehr Bürger treiben sie zur FPÖ. Also setzt man auf die Weisheit des einstigen DDR-Staatschefs Walter Ulbricht: "Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben." Und so ließ Nehammer, der zuvor noch tobte, dass man Kickl nicht regieren lassen dürfe, weil er WHO & WEF kritisiert, plötzlich wissen: Ja, der FPÖ stehen Präsidium und "Sondierungsauftrag" zu. Das Kalkül ist klar: Man lässt sich auf Alibi-Gespräche mit Kickl ein, um dann abzublocken.

Anschließend will es die ÖVP mithilfe wohlgesonnener Medien so darstellen, als habe dieser nichts zustande gebracht. Dann will der eigentlich abgewählte Kanzler der Retter der Nation sein, der trotz einer schmerzhaften Wahlniederlage gemeinsam mit der SPÖ die Verantwortung übernimmt. Schon 1999 zog die ÖVP als Drittplatzierte ins Kanzleramt ein, die SPÖ blieb als eigentliche Wahlsiegerin außen vor. Zuvor waren rot-schwarze Verhandlungen nach einem wochenlangen Streit ums Finanzressort gescheitert. Diesmal will man dem Glück womöglich etwas nachhelfen und demokratische Usancen nur zum Schein wahren. Denn ernsthafte Verhandlungen plant man wohl nicht.

Bures will doch Präsidium-Tradition wahren

Interessant ist die Herangehensweise aber auch bei der SPÖ. Deren langjährige 2. NR-Präsidentin Doris Bures will nun die Tradition bei der Präsidiumswahl wahren, aus Sorge, bei freier Mehrheitsfindung künftig selbst außen vor zu bleiben: "Wenn wir davon abgehen, könnten die Regierungsfraktionen mit ihrer Mehrheit im Parlament künftig alle drei Nationalratspräsidenten stellen." Zugleich gibt es bei den zerstrittenen Roten auch Gegenstimmen wie Alexander Ackerl, den Chef der "Jungen Generation Wien", der seine Ablehnung eines blauen NR-Präsidenten skurrilerweise u.a. mit dem Verhalten des letzten schwarzen NR-Präsidenten begründet.

Bei den beiden kleinen Fraktionen unterscheidet sich die Herangehensweise. Die Grünen beharren auf ihrer Position, trotz geschrumpfter Wählergunst das Anrecht zu haben, sich als Moralapostel aufzuspielen. Sie wollen eine FPÖ-Nationalratspräsidenten um jeden Preis verhindern. Die NEOS tendieren dazu, die Tradition zu wahren, sofern sich eine "untadelige, überparteiliche Person" dafür findet, schließt aber nicht aus, dass diese aus den Reihen der FPÖ kommt. Die Namen, die bei blauen Kandidaten am häufigsten fallen, sind Susanne Fürst, Norbert Nemeth und die beiden Ex-Präsidentenkandidaten Walter Rosenkranz & Norbert Hofer, der zuletzt als 3. NR-Präsident fungierte.

Auch Doskozil im taktischen Geplänkel

Interessant ist auch die Sichtweise des burgenländischen SPÖ-Landeshauptmanns Hans-Peter Doskozil, der sich im Vorjahr bis zur umstrittenen Babler-Kür zwei Tage lang als Chef-Genosse wähnen durfte. Er sieht im roten Wahl-Fiasko keinen Regierungsauftrag für seine Partei, außerdem solle die FPÖ als Wahlsieger mit deren Bildung beauftragt werden. Damit schlägt er intern und extern mehrere Klappen: Dass die SPÖ nun auch im Burgenland auf den dritten Platz zurückfiel, kann er dem Babler-Kurs umhängen. Käme Blau-Schwarz doch, so wohl seine Hoffnung, könnte er sich im Landeswahlkampf im kommenden Jahr als Gegenpol positionieren und diesen Eindruck untermauern.

Darüber hinaus kann sich Doskozil dann die Türen offen halten. Er gilt etwa als eine der Stimmen innerhalb der SPÖ, die mit der "Vranitzky-Doktrin" wenig anfangen können. Die Weigerung, mit der FPÖ im Bund zusammenzuarbeiten, half vor allem der ÖVP. Diese kann sich so seit 38 Jahren sicher sein, in die Regierung zu kommen und fortlaufend weitere Posten an den Schalthebeln der Republik beanspruchen. Dennoch trat er zur Bundeschef-Wahl einst in der Hoffnung auf eine "Austro-Ampel" (SPÖ/Grüne/NEOS) an. Diese ist weit von einer Mehrheit weg. Dass mit ihm an der Spitze ein Duell mit der ÖVP um Platz 2 drin gewesen wäre, ist hingegen nicht abwegig.

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