Sprachpolizei lässt grüßen

System kürt 'Unwort des Jahres': Remigration folgt Corona-Diktatur & Klimaterroristen

Kultur
Zensur/Frau: Zensursula, Flickr, CC BY 2.0; Screenshots (2): Wikipedia (Bildzitat); Komposition: Der Status.

Ein ziemlich guter Maßstab zur Frage, welche Dinge die Menschen in Deutschland einerseits bewegen, aber über die andererseits nicht gesprochen werden soll, ist seit Jahren die Kür zum sogenannten "Unwort des Jahres". Für diese Jury-Bestimmung ist seit Jahren ein Zusammenschluss einschlägiger Sprachwissenschaftler zuständig. Die jüngste Wahl gewinnt "Remigration", nachdem bereits Begriffe wie "Corona-Diktatur", "Klimaterroristen", "Lügenpresse" oder "Volksverräter" das Rennen machten. Es ist also so etwas wie das sprachpolizeiliche Scherbengericht, welchen bösen Worte ein braves Bürgerlein nicht mehr äußern sollte.

Faselei vom "rechten Kampfbegriff"

Apropos "Sprachpolizei": Natürlich schaffte es auch dieser Begriff, nämlich 2021, auf die Shortlist, unterlag aber letztendlich knapp "Pushback". Im Vorjahr markierte man das Wort "Klimaterroristen" als besonders böse, denn "gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt". Der neue Platzhirsch unter den Unwörtern ist aber "Remigration", spätestens seit der Vorwoche, aber auch schon davor, in aller Munde.

Es sei ein "rechter Kampfbegriff" und eine "beschönigende Tarnvokabel", die angeblich "tatsächliche Absichten verschleiert". Das Wort gereiche "in rechten Parteien [...] zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte". Es wirkt so, als hätten sich die Linguisten der selbsterklärten "sprachkritischen Aktion" mit Autoren des Correctiv-Artikels zusammengesprochen, der nun als Hebel für AfD-Verbotsforderungen dient.

Schiefe Optik der Preisverleihung

Dabei ist die Abschiebung etwa ausreisepflichtiger Illegaler und straffälliger Migranten oder die Setzung von Anreizen zur freiwilligen Ausreise für Integrationsunwillige in mehreren europäischen Ländern geltendes Recht und politischer Konsens. Besonders skurril am neuen "Unwort": Ohne dieses zu nutzen, hatten in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund der Eskalation im Nahost-Konflikt plötzlich auch CDU- und sogar SPD-Politiker in Richtung einer Abschiebe-Offensive argumentiert.

Zur Entscheidung kam ein Gremium von sechs Personen - vier Sprachwissenschaftler, eine Journalisten und ein kooptiertes Mitglied. Letztere Rolle wurde für die jüngste Wahl vom CDU-Linksausleger Ruprecht Polenz ausgeführt, der seinerzeit als Union-Generalsekretär nach wenigen Monaten abgesäbelt wurde, weil er sogar für Merkels Begriffe (!) zu sanft gegenüber rot-grünen Vertretern war.

Instrument sprachpolizeilicher Feindmarkierung

Überhaupt zeigt die Auswahl der letzten Jahre deutlich, dass es hier vor allem um die Bestrebungen einer Blase geht, die sich für etwas besser hält - und die entscheiden will, welche Worte fortan "pfui" sind. Häufig trifft es dabei oppositionelle Begriffe: Im Jahr 2020 war "Corona-Diktatur" das Unwort des Jahres. Es werde "von rechtsextremen Protagonisten gebraucht, um regierungspolitische Maßnahmen der COVID-19-Pandemie zu diskreditieren."

Die Bezeichnung abgehobener Systempolitiker als "Volksverräter" (2016) oder der gleichgeschalteten Einheitsmedien als "Lügenpresse" (2014) führte ebenfalls bereits zu diesem Preis. Auch "Gutmensch" (2015) oder "Klimahysterie" (2019) wurden in den vergangenen Jahren zum "Unwort" gestempelt. Manche dieser Wörter sind Dauerbrenner: So war "Gutmensch" bereits fünf Jahre vor seinem Titel einmal einer der unterlegenen Finalisten. 

Manchmal wandelt sich eine Bedeutung... 

Manchmal verkürzt ein Paradigmenwechsel aber die Halbwertzeit. So gewann 2010 das Wort "alternativlos" die Wahl. Es "suggeriere sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe". Es ist also ein Treppenwitz der "Unwort"-Geschichte, wenn der Preis sich in den letzten Jahren gegen Kritiker an einer "alternativlosen" Corona-, Klima- oder Migrationspolitik richtet. 

Ähnlich sieht es bei einigen unterlegenen Finalisten aus: Noch 2015 war der "Russlandversteher" ein böses Wort, weil "ein ganzes Wort pauschal für eine politische Richtung haftbar" gemacht werde und Menschen "mit dem Ausdruck 'Putin-Versteher' auf einen Autokraten" reduziert würden. Wie sich die Zeiten ändern können... 

Politische Schlagseite bei vielen "Wort-Wahlen"

Eine politische Schlagseite beim Wahl zu (Un-) Wörtern des Jahres gibt es im deutschsprachigen Raum aber ohnehin bei nahezu allen vergleichbaren Preisen. So wurde 2021 in Deutschland der Begriff "Wellenbrecher" die Corona-Schikanen der Regierung lobhudelnd zum "Wort des Jahres" gemacht. Beim "Jugendwort des Jahres" wurde im Vorjahr "Stolzmonat" vorab als vermeintlich politischer Begriff von der Wahl ausgeschlossen. 

Österreich kürt seine eigenen Wörter & Unwörter des Jahres. Nicht immer unterscheidet man sich dabei zwingend von den deutschen Kollegen: "Klimaterroristen" gewann mit einem Jahr Verspätung beim "Unwort", während Corona kürte man 2021 das Wort "Querdenker" in dieser Kategorie. Die Begründung ließ tief blicken: "Heute sind in dieser neuen Gruppe von Querdenkern jedoch überwiegend Coronaleugner, Impfverweigerer und Verschwörungstheoretiker zu finden." 

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