Vielerwartetes Interview

Putin zu Tucker Carlson: USA sprengten Nordstream, Westen verhindert Frieden

Welt
Screenshot: Twitter/X

In der Nacht auf Freitag ging das lang erwartete, zweistündige Interview zwischen dem kritischen US-Journalisten Tucker Carlson und dem russischen Präsidenten online. Anders, als im Westen gerne dargestellt, präsentierte sich Putin darin nicht als abgedrehter Irrer, sondern in besonnenem Ton als Staatsmann, der sich mit den Geschehnissen in der Welt gut auskennt und genau weiß, was er will. Darin kam die Rolle des Westens bei der Eskalation in der Ukraine zur Sprache, ebenso die vasallenhafte deutsche Haltung, der Nordstream-Anschlag - aber auch der westliche Theaterdonner um eine angebliche russische Bedrohung für ihre Länder.

Geschichte-Lehrstunde zum Einstieg

"Lassen Sie mich in 30 Sekunden oder einer Minute erklären...": Das Interview beginnt zuerst einmal mit einer 25-minütigen Geschichtestunde über das Verhältnis Russlands mit der Ukraine, das bis ins Jahr 862 zurückreicht. Die aus russischer Sichtweise fundierte, historische Einbettung ist ein Stilmittel, auf das Putin gerne setzt - und mit Carlson sitzt ihm ein studierter Historiker gegenüber. Es ist ein pompöser Aufbau als "große Vorgeschichte", denn natürlich kam mit dem Zerfall der Sowjetunion nicht das "Ende der Geschichte". Aber eine Hoffnung auch aus Russland, dass ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Westen möglich wäre, die dann enttäuscht wurde.

Immer wieder erinnert Putin an die gebrochenen Versprechen der USA und "ihrer Satelliten in Europa". Oder den Umstand, dass die CIA einst zugab, Aufständische im Kaukasus zu unterstützen, um Russland zu schwächen. Er thematisierte Abkommen, an die sich die Amerikaner nicht hielten und leere Beteuerungen zum Ausbleiben der NATO-Osterweiterung, die in der Einladung der Ukraine ins Militärbündnis und der Unterstützung des Maidan-Putsches gipfelten. Zu diesem meint Putin: "Auf der technischen Ebene haben sie alles richtig gemacht. Sie haben das Ziel erreicht und die Regierung ausgewechselt. Aber vom politischen Standpunkt aus war es ein kolossaler Fehler."

Hier könnt ihr das - bereits jetzt geschichtsträchtige - Interview in voller Länger ansehen: 

Westliche Waffen verlängern den Krieg

Putin erinnerte hier an den Umstand, dass der Konflikt nicht 2022 ausbrach, sondern bereits acht Jahre lang tobte, einschließlich des Beschusses des Donbass durch die Ukraine oder den Streit um die Krim. Man sei im Frühjahr 2022 sogar zum Frieden bereit gewesen. Nach Verhandlungen in Istanbul sei alles unterschriftsreif gewesen, Russland sei mit dem Rückzug aus der Nähe Kiews sogar in Vorleistung gegangen. Doch dann hätte der Westen - insbesondere der damalige britische Premier Boris Johnson - der Ukraine den Floh eines militärischen Sieges ins Ohr gesetzt.

Mit Biden pflege man keinen direkten Kontakt mehr, aber sein Angebot an den Westen und vor allem die amerikanische Führung sei einfach: "Wenn ihr wollt, dass die Kämpfe aufhören, solltet ihr aufhören, Waffen zu liefern." Stattdessen setze man im Westen sogar auf weitere Kriegstreiberei: "Sie versuchen ihre eigene Bevölkerung mit einer eingebildeten russischen Gefahr einzuschüchtern." Leute, die des kritischen Denkens fähig sind, sollten aber wissen, dass es sich dabei um Unfug handelt und man lediglich eine Gefahr aufbauschen möchte.

Kein Interesse an Polen oder Lettland

Auch die im Westen behaupteten expansionistischen Ziele stellte Putin in Abrede: "Wir haben kein Interesse an Polen, Lettland oder anderen Ländern. Warum sollten wir die angreifen? Wir haben dort kein Interesse." Der Westen mache seinen Leuten Angst, indem ständig davor gewarnt werde, was Russland angeblich als Nächstes plane, bis hin zum Atomkrieg-Schreckgespenst. Das Ziel sei hierbei aber nur die Schwächung Russlands. Und auch immer wieder die Provokation, etwa wenn US-Politiker plötzlich damit drohen, amerikanische Soldaten in der Ukraine mitkämpfen zu lassen.

Das sei laut Putin aber sinnlos: "Das würde die Menschheit an den Rande eines sehr ernsten globalen Konflikts bringen. Aber brauchen die USA das, und wozu? Tausende Meilen vom eigenen Territorium entfernt - haben sie nichts besseres zu tun. Ihr habt Probleme an der Grenze, mit der Einwanderung, mit dem Schuldstand über 33 Billionen Dollar." Anstatt auch offiziell in den Krieg in der Ukraine einzusteigen, sollten die USA lieber mit Russland verhandeln. Sein Land habe jedenfalls gezeigt, dass es bereit sei, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Putin sicher: USA sprengten Nordstream

Die perfekte Überleitung zu einem anderen Thema - nämlich der Frage nach der Sprengung der Nordstream-Pipeline. Hier muss der sonst so ernste Putin teils selbst schmunzeln, wird aber deutlich: Nach seiner Ansicht nach könne nur die USA dahinter stecken: "Ihr wart das. Gut, Sie haben vielleicht ein Alibi, aber die CIA hat keines. In solchen Fällen muss man immer schauen: Wer hat daran überhaupt ein Interesse. Und dann: Wer ist dazu überhaupt in der Lage?" Er äußerte auch Unverständnis für die deutsche Position: "Deutschland wird von den Interessen des kollektiven Westens geleitet und nicht seinen eigenen. Anders kann ich mir die Logik ihrer Untätigkeit nicht erklären."

So verzichte Deutschland freiwillig auf billige Energie aus der intakten vierten Nordstream-Röhre, die Jamal-Pipeline über Polen sowie die über ukrainisches Gebiet verlaufenden Pipelines. Man sehe sogar zu wie dort der Gashahn zugedreht wird: "Warum sagen die Deutschen [den Ukrainern] nicht: 'Schaut her, wir geben euch Geld und Waffen, also macht die Ventile auf, lasst das russische Gas für uns durch. Wir kaufen LNG zu Mondpreisen und das zwingt unsere Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaft in die Knie." Carlson müsse die Deutschen fragen, warum sie so handeln, wie sie handeln. Er hat aber nicht viel Hoffnung in die Ampel: "Das sind höchst inkompetente Leute." 

USA zerstört Dollar-Macht selbst

Putin attestierte der USA auch den strategischen Fehler, seine Dollar-Währung als Waffe eingesetzt zu haben. Immerhin habe Russland vor Ausbruch des Krieges auch einen großen Teil seiner Transaktionen in der globalen Leitwährung getätigt. Der Dollar sei stets der entscheidende Garant für die Weltmacht der USA gewesen. Nun sehe es anders aus: "Heute sind ein Drittel unserer Transaktionen in Rubel, ein weiteres Drittel in Yuan. Warum haben die USA das getan? Ich muss von Selbsttäuschung ausgehen. Sie dachten wohl, dass Russland komplett einbrechen würde, aber nichts dergleichen geschah."

Nun würden andere Länder, einschließlich der Öl-Staaten, bereits damit kokettieren, in Yuan zu handeln. Mit Folgen: "Wissen Sie überhaupt was da geschieht? Realisiert das überhaupt jemand in den USA? Was macht ihr da? Ihr schneidet euch selbst ab, alle Experten sagen das. Fragen Sie jedwede intelligente und denkende Person auch in den USA, was der Dollar für die USA bedeutet. Aber ihr bringt ihn mit euren eigenen Händen um." Ähnlich verhalte es sich mit der amerikanischen Einstellung zu China: Russland kooperiere mit dem Nachbarn, Europa tue es auch, aber die USA würden sich selbst damit schaden, die Zusammenarbeit mit Peking einschränken zu wollen.

Aufstieg und Niedergang von Weltmächten

In der zweiten Stunde des Interviews wurden einige dieser Themen vertieft, zudem sprach man auch über den technologischen Fortschritt im Bezug auf künstliche Intelligenz und die Inhaftierung eines US-Journalisten in Russland Auch für eine weitere Geschichtsstunde über den Aufstieg und den Niedergang auch mächtiger Nationen vom römischen Reich über das Reich von Dschingis Khan fand sich noch Raum. Letztendlich kam man aber wieder auf den Ukrainekrieg zurück und die Frage, ob Russland und die USA verhandeln sollten. Hier wiederholte Putin: "Wir sind bereit zu verhandeln. Es ist der Westen - und die Ukraine ist natürlich ein Satellitentaat der USA - der sich weigert."

Ihm sei auch wichtig, dass er die Ukraine damit nicht offen beleidigen wolle: "Aber wir verstehen doch beide, was passiert mit der finanziellen Unterstützung. Aus den USA kamen alleine 72 Mrd. Dollar, Deutschland zahlt am zweitmeisten, auch aus anderen europäischen Ländern gehen dutzende Milliarden in die Ukraine. Es gibt eine riesige Einfuhr von Waffen. Vielleicht solltet ihr in diesem Fall der ukrainischen Führung sagen, sie sollten an den Verhandlungstisch kommen und ihr absurdes Dekret, nachdem niemand mit Russland verhandeln darf, aufheben." 

Ein Erklärungsversuch für die Geschichtsstunden Putins, die für viele westliche Ohren so beachtlich wie unerwartet kommt: 

Alle Seiten sollen ihr Gesicht wahren

Er glaubt auch, dass es möglich für alle Seiten ist - auch für die NATO - gesichtswahrend aus der Geschichte rauszukommen: "Lasst sie überlegen, wie sie das mit erhobenem Haupt machen können. Wo ein Wille ist, dort gibt es einen Weg. Bislang hörte man ja nur das Geschrei von der strategischen Vernichtung Russlands auf dem Schlachtfeld. Jetzt merken sie langsam, dass das sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Meiner Meinung nach, wird das nie geschehen. Es scheint mir, dass es den Mächtigen im Westen auch allmählich dämmert. Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, dann müssen sie nachdenken, was sie als nächstes tun sollten. Wir sind zum Dialog bereit." 

Letztendlich handle es sich um einen Bruderkrieg. Putin erzählte die Anekdote von ukrainischen Soldaten russischer Herkunft, die von russischen Soldaten umzingelt waren. Auf die Aufforderung, sich zu ergeben und das Angebot auf freies Geleit, hätten sie sich plötzlich ihrer russischen Wurzeln besonnen und erklärt, dass sie als solche sich nicht ergeben könnten - und starben alle. Nachdem die Ukrainer seiner Ansicht nach Teil des russischen Sprach- und Kulturraumes sind, hätte dieser Krieg mehr von einem Bürgerkrieg. Der Westen glaube, die Feindseligkeiten würden für immer spalten. Er glaubt aber, dass der gemeinsame orthodoxe Glaube die Seelen wieder zusammen bringen kann. 

USA "unschlagbar" im Propagandakrieg

Freilich: Putin ist ein intelligenter Mann, der die Feinheiten des staatsmännischen Wirkens in über 20 Jahren an der Macht verinnerlicht hat. Er weiß, wie er sich im Sinne der eigenen Interessen ausdrückt. Und er weiß auch, wie die Menschen im Westen und auch ein kritisches US-Publikum denkt. Manche Aussagen könnten somit direkt darauf abzielen, mehr Verständnis für seine Vorgehensweise im Westen zu erzeugen. Auf dem geopolitischen Parkett sind vielbeachtete Ansprachen oft voller Propaganda. Carlson erklärte offen, sich dessen bewusst zu sein - aber glaubt, dass mündige Bürger beide Sichtweisen verdient haben, um sich eine eigene Meinung zu bilden. 

Auch zu diesem Thema hatte Putin übrigens etwas zu sagen: "In einem 'Propagandakrieg' wäre es sehr schwierig, die USA zu besiegen. Denn die USA kontrollieren weltweit die Medien und viele europäische Medienhäuser. Die wichtigsten Geldgeber großer europäischer Medien sind amerikanische Geldinstitute. [...] Natürlich könnte man versuchen, ihnen Paroli auf diesem Gebiet zu bieten, aber das wäre sehr kostenintensiv. Wir können einfach nur auf unsere Informationsquellen hinweisen." Am Ende glaubt er, dass die Wahrheit siege, verwies dabei auf die Nordstream-Causa: "Es ist der ganzen Welt klar, was passiert ist. Sogar amerikanische Analysten sprechen direkt darüber." 

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