Oligarch nicht mehr nützlich: Selenski lässt seinen Ex-Gönner Kolomojski verhaften
Für die nächsten 60 Tage muss Igor Kolomojski in Untersuchungshaft. Vorgeworfen werden dem Oligarchen, der in der Ukraine mehrere Banken und Medienhäuser kontrollierte und halbstaatliche Energieunternehmen besaß, unter anderem Geldwäsche und Betrug. Der Vorgang ist interessant, da Kolomojski der größte Förderer des heutigen Präsidenten Wolodymyr Selenski auf dessen Weg ins Präsidentenamt war. Offenbar hat der Mohr nun seine Schuldigkeit getan. Für Stirnrunzeln sorgt auch, dass Selenski praktisch zeitgleich den Verteidigungsminister auswechselt.
Oligarch als jahrelanger Selenski-Förderer
Der umtriebige Geschäftsmann, der außerdem noch die Staatsbürgerschaften von Zypern und Israel besitzt, war seit Jahrzehnten ein großer Fisch in der Ukraine. Nachdem er die "PrivatBank", die größte ukrainische Bank, gründete, übernahm er große Teile der Stahl-, Öl-, Chemie-, Energie- und Nahrungsmittelindustrie des osteuropäischen Landes. Zudem besaß er mehrere Fluggesellschaften und dazu die Mehrheit am Medien-Imperium "1+1", eines der wichtigsten - mittlerweile gleichgeschalteten - Medien im Land. Zeitweise agierte er als Gouverneur der Industrieregion Dnipropetrowsk. Vor vier Jahren bezeichnete ihn eine internationale Rangliste als dritteinflussreichsten Mann in der Ukraine.
Diesen Einfluss wusste er zu nutzen: Er finanzierte 2014 den Aufbau mehrerer radikaler Kampfverbände. Unter ihnen das Asow-Regiment, das im Vorjahr im Kampf um Mariupol von westlichen Medien rasch von der "Neonazi-Miliz" zur "Verteidigerin westlicher Werte" umgeframt wurde. Doch sein Meisterstück kam noch: Auf "1+1" lief die Satire-Sendung "Diener des Volkes", in dem Selenski einen zum Präsidenten beförderten Lehrer spielt. Als er auf dem Sender seine Kandidatur für das reale Amt bekanntgab, betrachteten ihn Kritiker als Strohmann Kolomojskis, der sich im Clinch mit Selenski-Vorgänger Petro Poroschenko befand.
Erst profitieren, dann eliminieren?
Doch kaum an der Macht, ließ Selenski nicht Dankbarkeit walten: Nun wurde ihm der mächtige Oligarch im Rücken lästig. Er ließ ein Oligarchen-Gesetz einführen, im Vorjahr nutzte er die Kriegssituation, um die Öl- und Gasfirmen seines Ex-Förderers zu enteignen. Nun soll Kolomojski tatsächlich wegen Geldwäsche und Betrugs vor Gericht landen. Im seit Jahrzehnten von Korruption geplagten Land ein seltener Vorgang. Unklar ist bei der Motivation einzig, ob er einen innenpolitisch einflussreichen Mann, der ihm nun nicht mehr nützlich ist, loswerden will. Oder ob er ihn zum Bauernopfer macht, um gegenüber dem Westen vorzugaukeln, man unternehme etwas gegen die Korruption im Land.
Denn, dass Kolomojski mutmaßlich "Dreck am Stecken" hat, ist nichts neues. Eine Journalisten-Organisation wählte ihn 2020 zum viertkorruptesten Amtsträger weltweit und begründete dies mit einer "Geschichte von Unternehmensrazzien, Betrug, Unterschlagung und politischen Intrigen“, wobei er "viele ideologische und korrupte Milliardäre, von den Koch-Brüdern bis zu Arron Banks, die die Demokratie zum persönlichen Vorteil untergraben haben" vertrete. Sogar in den USA (!) liegt wegen seiner Machenschaften gegen ihn ein Einreiseverbot vor. Nun versucht ihn Selenski, der selbst in ominöse Offshore-Geschäfte verwickelt war, loszuwerden. Auch, weil er 2019 eine Abkehr vom Westen forderte?
Personalrochade im Verteidigungsressort
Während der innenpolitische "Vatermord" sich in den kommenden Monaten noch zum Polit-Thriller innerhalb der Ukraine entwickeln könnte, machte Selenski an anderer Front Nägel mit Köpfen. Schon in den vergangenen Wochen hatte er wegen Korruptionsvorwürfen mehrere Gouverneure ausgetauscht, nun folgt - inmitten einer zäh vorangehenden Gegenoffensive - der Abtritt des Verteidigungsministers Oleksij Resnikow. Zuletzte tauchten auch in seinem Umfeld Korruptionsvorwürfe auf, die in Zusammenhang mit westlichen Militärhilfen steht. Im Fokus ist unter anderem ein nebulöser Vertrag mit einem türkischen Unternehmen, die Winteruniformen liefern sollte, deren Preis plötzlich rapide anstieg.
Seinen Platz einnehmen soll nun Rustem Umjerow, der Chef des staatlichen Vermögensfonds. Auch Umjerow, Gründer einer Investmentfirma in den Bereichen Kommunikation, Informationstechnologie und Infrastruktur, ist eigentlich Oligarch - weil er allerdings zu den Guten gehört, gilt er im Westen als "Philanthrop". Als Politiker war der gebürtige Krimtatare vehementer Verfechter der umstrittenen Entscheidung, die dortige Bevölkerung von der Wasserzufuhr abzuschneiden, solange Russland dort die Hoheit hat. Seine ASTEM-Stiftung finanziert das sogenannte "Emerging Leaders"-Programm für Ukrainer an der US-Eliteuni Stanford, auch sonst soll er gute Kontakte mit dem Westen pflegen.
Das ist der neue starke Mann im Verteidigungsministerium:
Screenshot: Telegram
Transatlantiker feiern "westliche Werte"
Entsprechend groß ist der Jubelschrei im transatlantischen Lager über die mutmaßliche Beförderung Umjerows zum Verteidigungsminister. So verklärte der "Bild"-Reporter Paul Ronzheimer, der im Laufe des Konflikts regelmäßig mit einem massiven Mangel an kritischer Distanz zur ukrainischen Führung auffiel, die Personalentscheidung zum Sieg jener "westlichen Werte", für welche die Kriegstreiber die ukrainische Jugend bis zum letzten Mann an die Front schicken. Er schrieb: "Ein jüdischer Präsident will einen muslimischen Verteidigungsminister benennen [...] Wie sollen die Russen-Bots diese Diversität in der ukrainischen Führung bloß ertragen?"
Ein jüdischer Präsident will einen muslimischen Verteidigungsminister benennen. Selenskyj schlägt Rustem Umerov (gebürtig von der Krim) dem Parlament vor. Wie sollen die Russen-Bots diese Diversität in der ukrainischen Führung bloß ertragen? 😀
— Paul Ronzheimer (@ronzheimer) September 4, 2023
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