Mediale Manipulation?

Mit Uralt-Video: 'Bild'-Reporter befeuert Hetze gegen Palästinenser

Welt
Screenshots (3): Twitter; Komposition: Der Status.

Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst - und zwar auf allen Seiten. Die Macht der Bilder wird als Mittel der psychologischen Kriegsführung eingesetzt, auch um global die Sympathien auf seine Seite zu ziehen, Gräuelpropaganda inklusive. Ein "Bild"-Reporter teilte nun ein Video, in dem ein palästinensisches Mädchen empört auf einen israelischen Soldaten losgeht, um eine angebliche Hamas-Indoktrination der Kinder zu argumentieren, die eine harte Vergeltung rechtfertigen soll. Doch nichts ist so, wie eigentlich dargestellt.

Altes Video als Beleg für "Judenhass"

Eindrückliche Bilder und aggressives Gemurmel in einer fremden Sprache: Damit kann man dem Publikum seine eigene Deutung mitgeben. Und so schrieb Iman Sefati - der gebürtige Iraner, dessen Familie einst nach Deutschland floh, behandelte für die "Bild" bereits die Proteste im Land seiner Väter - auf Twitter/X: "Es ist schrecklich, dass Kinder in Gaza mit Hass und Propaganda gegenüber Juden und dem Westen aufwachsen. Hamas muss vernichtet werden, um die Kinder von Hass zu befreien."

Doch in Wahrheit handelt es sich um kein aktuelles Video - und es stammt nicht einmal aus dem Gazastreifen. Übrigens: Es ist nicht das erste Mal, dass die "Bild" sich mit einem falschen Video in die Nesseln setzt. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Vorjahr präsentierte man der Weltöffentlichkeit das Video einer Explosion in China im Jahr 2015 als vermeintlichen "Beleg" für russische Bombardements. Nachdem die Falschnachricht herauskam, ruderte die Zeitung kleinlaut zurück.

Sequenz völlig aus dem Kontext gerissen

Denn die Sequenz stammt in Wahrheit aus dem Jahr 2012 und spielt sich in Nabi Saleh, einem Palästinenser-Dorf nahe Ramallah im Westjordanland, wo die Hamas gar keine Macht ausübt ab. Beim Mädchen, welche die Faust schwingt, handelt es sich um die bekannte palästinensische Aktivisten Ahed Tamimi, die erst am Montag erneut von israelischen Kräften festgenommen wurde. Als 11-Jährige protestierte sie damals gegen die versuchte Verhaftung ihres großen Bruders.

Das Video wurde seinerzeit von Palästinensern hochgeladen und verbreitete sich in der islamischen Welt. Tamimi wurde zum Symbol für den Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Siedlerpolitik. In der Folge lud sogar der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Mädchen ein. Für Tamimi war es der Startschuss für eine Karriere an vorderster Front der palästinensischen Sache: Ihre Familie kämpft für eine Ein-Staaten-Lösung, ein sekuläres Israel mit zwei gleichberechtigten Völkern. 

Der Status-Redakteur Julian Schernthaner ordnete die Herkunft des Videos ein: 

Tamimi & Israel: Leidvolle Radikalisierung?

Ihre Familie und insbesondere ihr Vater war zuvor bereits bei Protesten gegen israelische Siedler und Soldaten federführend, die seit 2009 fast wöchentlich stattfanden. Auslöser war ein handfester Streit über Landnutzungsrechte. Israelis aus einer benachbarten - und völkerrechtlich illegalen - Siedlung hatten eine Wasserquelle beansprucht. Diese gehörte seit Generationen der Familie Tamimi.Später sollte sogar der Oberste Gerichtshof in Israel (!) zugunsten der Eigentumsrechte der Familie entscheiden, die Siedler mussten ihre Anlagen wieder abreißen. 

Doch wie so oft im jahrzehntealten Konflikt schaukeln sich die Dinge hoch, und so gerieten Tamimi und ihre Verwandten immer wieder mit der israelischen Armee und in der Folge auch mit dem Gesetz in Konflikt. Mehrfach wurde sie dabei auch gegenüber israelischen Soldaten handgreiflich und verbüßte dafür eine Haftstrafe. In der öffentlichen Debatte forderte Bezalel Smotrich, der heutige Finanzminister Netanjahus, damals einen Schuss in die Kniescheibe der Aktivistin. Nach der jüngsten Eskalation im Konflikt soll wiederum sie sich weiter radikalisiert haben. 

Angeblich soll sie auf Instagram geschrieben haben: "Kommt, Siedler, wir werden euch abschlachten. Wir warten auf euch in allen Städten des Westjordanlandes. Was Hitler mit euch gemacht hat, war ein Nichts. Wir werden euer Blut trinken und eure Schädel essen. Wir warten auf euch." Ihre Mutter dementiert allerdings, dass sie dort überhaupt ein Konto besitze. Dass Sefati das Zitat (das im Video übrigens nicht vorkommt) in seinem Beitrag paraphrasiert, legt allerdings nahe, dass er sehr wohl über den Ursprung des Videos bescheid weiß... 

Manche Beobachter bezweifeln ihre Urheberschaft, da die brutale Aussage kaum in Einklang mit ihrer üblichen Rhetorik zu bringen ist:

Die Macht der "falschen Bilder"

Es ist nicht das erste Mal, dass das berühmte Video mit der damals 11-Jährigen Aktivistin außerhalb seines Kontextes verwendet wird. So machte es auch nach Ausbruch des Ukraine-Krieges die Runde, mit der Behauptung, ukrainische Kinder würden sich gegenüber russischen Soldaten zur Wehr setzen. Dass die Erzählung funktionieren konnte dürfte wohl auch am "westlichen" Erscheinungsbild des Mädchens liegen. Damals war sie blond, heute hat sie rotbraune Haare, außerdem trägt sie europäische Kleidung. Dies widerspricht dem Bild, das viele Menschen vom durchschnittlichen Palästinenser haben. 

Dass das Video diesmal allerdings nicht als Indiz dafür genommen wird, wie sich Kinder den Soldaten entgegen stellen, sondern angeblich verhetzt gegen besonnene Militärs zum Angriff blasen, ist allerdings ein Novum. Detail am Rande: Es ist nicht die erste alte Sequenz aus dem Westjordanland, mit der aktuell im Gaza-Konflikt argumentiert wird. Vor einigen Wochen verbreitete sich das Video eines palästinensischen Vaters, der seinen Sohn einer Gruppe israelischer Soldaten entgegen schickt. Auch dort stellte sich heraus, dass das Video bereits sieben Jahre alt ist und eben nicht aus Gaza stammt. 

Für den SPÖ-nahen PR-Berater Rudi Fußi war dies sogar ein Grund, um entmenschlichende Sprache anzuwenden: 

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