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Zweierlei Maß bei politischer Rhetorik

Wer 'Schafott' sagt, sei Nazi: Meint SPD-Chef damit auch seinen Kanzler?

Politik
Bild: Raimond Spekking, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

In den letzten Tagen empörten sich zunächst mehrere einschlägige linke Kleinstparteien und Agitatoren über die Rede von AfD-Co-Chef Tino Chrupalla in Gotha. Unter anderem problematisierte man, dass dieser die SPD auf das politische "Schafott" wünschte. Am Sonntagabend dann sprang SPD-Chef Lars Klingbeil auf den Zug auf. Er nahm die Aussage als Beispiel, um zu belegen, dass es sich bei der AfD angeblich um eine Nazipartei handle. Hätte er nur einmal die eigene Parteigeschichte studiert, denn mit demselben Vokabular äußerte sich in der Vergangenheit u.a. der heutige SPD-Kanzler Olaf Scholz.

"Schafott"-Sager: Empörung kommt von ganz links

Alles begann am Samstag mit der Rede von Chrupalla - und einem übereifrigen Staatsfunk-Mitarbeiter. Denn "Deutschlandfunk"-Korrespondent Henry Bernhard twitterte noch in den frühen Abendstunden darüber. Nur wenige Stunden später warf sich der Historiker Jens-Christian Wagner, der für seine regelmäßige Agitation gegen Oppositionspolitiker bekannt ist ins Getümmel. Er sprach von einer "Hinrichtungs-Fantasie, die gewaltbereite Neonazis zur Tat anstiften kann." Wer AfD wähle, würde Gewalt wählen - "sprachlich und im schlimmsten Fall ganz real".

Die Sache verselbständigte sich in der Folge: Am Sonntag verfasste das einschlägig linksradikale "Zentrum für politische Schönheit", das bereits mehrfach mit geschmacklosen Aktionen - von Online-Prangern für Demobesucher über das Beschatten von Björn Höcke aus dem Nachbargarten bis zur Instrumentalisierung der Asche von Holocaust-Opfern - für Schlagzeilen sorgte, einen ellenlangen X-Thread. Ebenfalls mit im Gemenge: Die "Piraten Saarland", die sich bereits vor zwei Wochen in die Nesseln setzten, als sie aus heiterem Himmel behaupteten, ein patriotischer Buchautor habe "den Hitlergruß" gezeigt. In Wahrheit dirigierte & winkte jener belegbar mit beiden Händen.

Überall Nazis: Klingbeils nächste Anti-AfD-Tirade

Irgendwo am Weg erreichte die Kunde wohl auch SPD-Chef Lars Klingbeil, der aus seiner Antifa-Vergangenheit keinen allzu großen Hehl macht. Und so regte er sich im ARD-"Bericht aus Berlin" auf. Er steht dazu, die AfD als "Nazis" zu bezeichnen. Dies begründete er mit damit, dass Chrupalla am Vortag eben gesagt habe, die SPD gehöre aufs (politische) Schafott. Für Klingbeil ein Grund, um sofort das Ende der Demokratie heraufzubeschwören: "Ich bin Vorsitzender einer Partei, die weiß, was es bedeutet, wenn Menschen aus der eigenen Partei umgebracht werden aufgrund ihres politischen Engagements."

Daraus leitet er politische Konsequenzen ab: "Das ist eine Sache, die mich tief bewegt, wenn von AfD-Mitgliedern so über die Sozialdemokraten geredet wird. Und ich finde, dann muss man auch klar aussprechen, was ist. Die AfD ist keine Partei, die ein bisschen rechts neben der CDU steht [...] Aber die AfD will ein ganz anderes Land. Die will eine ganz andere Republik, Da ist vieles von dem, was wir heute in der 'offenen Gesellschaft' machen können, nicht mehr möglich. Und ich finde Nazis, muss man Nazis nennen." Allerdings stellt sich nach seiner Aussage die ernsthafte Frage, ob Klingbeil seine eigene Parteigeschichte studiert hat.

Als Scholz das "politische Schafott" auspackte

Denn das "politische Schafott" ist ein Begriff im polit-medialen Diskurs, der zwar brachial klingen mag, allerdings eine lange Geschichte hat. Und kein geringerer als der heutige SPD-Kanzler Olaf Scholz sagte nämlich einst: "Jeder, der sich etwas hat zu Schulden kommen lassen, gehört aufs politische Schafott." Damit rechnete der damalige SPD-Chef von Hamburg and heutige "Cum Ex"-Kanzler im Jahr 2002 mit einem Spenden- & Bestechungsskandal der SPD in Köln ab. Beim Bau einer Müllverbrennungsanlage kam es zuvor zu verdächtigen Zahlungen aus der Wirtschaft an die Roten. Scholz richtete zuem aus: "Politisch darf keiner überleben, der in diesen Skandal verwickelt ist." 

Gleich wie Chrupalla richtete Scholz seine Worte an Sozialdemokraten. Die zwei Hauptverdächtigen wurden zwar zu milden Bewährungsstrafen verurteilt, doch sind beide - im Alter von 73 bzw. 88 Jahren - noch am Leben. Auch Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder ist noch quicklebendig. Diesem richtete Ex-Unionsgeschäftsführer Peter Ramsauer (CSU) im Jahr 2003 aus: "Schröder muss sich warm anziehen, wenn er die nächsten Wochen überleben will". Ein Misstrauensvotum sei allerdings unwahrscheinlich, da es verlange, dass "SPD und Grüne freiwillig aufs politische Schafott steigen." Und die Union gehört ja, so Klingbeil, zu den "anständigen, vernünftigen Demokraten"...

Nicht Inhalt, sondern Sprecher zählt?

Dass in Deutschland bei politischer Kampfrhetorik nicht zählt, was gesagt wird, sondern einzig und allein, wer es sagt, ist nichts Neues. So sagte 1994 der damalige Grünen-Sprecher Ludger Volmer: "Wir werden den Kanzler jagen". Als Ex-AfD-Chef Alexander Gauland dann 23 Jahre später ähnliche Worte nutzte ("Wir werden sie jagen"), war die Herkunft der Aussage plötzlich vergessen.

Daran hat sich seither nichts geändert: Noch in diesem Jahr wechseln ausgerechnet Grüne mit der Empörung über den Gauland-Spruch politisches Kleingeld. Dass nicht nur AfD-Politiker Max Krah, sondern auch Adenauer und Strauß die Kollektivschuld deutscher Soldaten ablehnten, passt ins Bild der Aufregung, die über seine historisch korrekte Aussage in einem Interview mit einer italienischen Zeitung geschah.

Zweierlei Rhetorik-Maß auch in Österreich

Das politische Kurzzeitgedächtnis bei pointierter Rhetorik ist allerdings nicht nur in Deutschland omnipräsent. Seit einem Jahr empört sich in Österreich der polit-mediale Komplex darüber, dass Herbert Kickl ein "Volkskanzler" sein will.Der Status berichtete über die aufgebauschte Aufregung. Die üblichen Verdächtigen sehen darin angebliche Parallelen zu Hitler, während in Wahrheit Leopold Figl (ÖVP) und Bruno Kreisky (SPÖ) lange Jahre dieses Prädikat zuteil wurde. Ihre Nachnachfolger Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) wären es gerne gewesen, es war ihnen allerdings keine ausreichend lange Zeit im Kanzleramt beschieden.

Ebenso empört man sich darüber, dass die FPÖ die "Systemparteien" kritisiert. Auch hier wittert der Mainstream gerne einen vermeintlichen NS-Bezug. Der nunmehrige EU-Politiker der NEOS, Helmut Brandstätter, unterstellte dies der FPÖ sogar offen im Nationalrat. Dabei vergaß er offenbar zu recherchieren, denn gleich mehrere Politiker seiner Partei nutzten den Begriff in den letzten zehn Jahren. Als die Kärntner Grünen mit dem Begriff Wahlkampf machten, war der heutige Bundespräsident Alexander van der Bellen noch grüner Parteichef, ohne seine Parteifreunde dafür zu rügen.

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