Hilflos durchs kaputte Deutschland

Sonntags um halb neun ist die Welt nicht mehr in Ordnung

Soziales
wikimedia: Willem_90 (public domain)

In ihrem neuen Essay schildert Maria Schneider exemplarisch, wie sich der Niedergang deutscher Städte im Alltag zeigt. Sowohl Polizisten als auch Bürger stehen Belästigungen, Übergriffigkeiten und Gewalt oftmals phlegmatisch, ignorant oder einfach hilflos gegenüber. Von Zivilcourage kann nicht die Rede sein, Viele schauen gekonnt weg.

Dieser Beitrag von Maria Schneider erschien zuerst auf dem Blog beischneider.net

Wer die Massenmigration hautnah erleben will, muss einfach einmal Straßenbahn fahren. Es ist Sonntag morgen um halb neun. Seit zwei Wochen bereise ich ganz Deutschland wieder intensiv per Bahn. Über jede Fahrt könnte ich mehrere grauenhafte Geschichten schreiben. Entsprechend erschöpft bin ich also, als ich in Karlsruhe die Gleisunterführung verlasse und nebenbei einen jungen Mann in einer Bäckerei fotografiere. Er trägt ein Netzoberteil und Netzstrumpfhosen und gleicht einem aus der Hölle entsprungenen Dämon. Auf ein Foto der somalischen Frau in wallendem Gewand, aus dem lediglich ihr dunkles Gesicht hervorlugt, verzichte ich. Dergleichen Aufzug habe ich erst gestern als Dreiergruppe fotografiert.

Hilflose Polizei

Ich trete aus der Bahnhofshalle heraus und höre lautes, deutsches Gequatsche mit starkem, rumänischem (?) Akzent. Ein kräftiger, braunhäutiger Mann mit Glatze, Bart und grauem Ziehkoffer quatscht drei Polizisten, die vor der Halle stehen, alle sechs Ohren ab. Der große blonde, durchtrainierte Polizist scheint sich wegzubeamen und grinst überlegen vor sich hin. Die Polizistin mit blondem Pferdeschwanz – ich schätze sie auf 40 Jahre – herrscht den „Rumänen“ hingegen aufgebracht an: „Mach jetzt endlich mal den Mund zu. Wenn Du weiterreden willst, dann geh’ in den Zoo. Dort gibt es Elefanten mit noch größeren Schwänzen. Und hör’ auf, die Leute anzusprechen. Das ist Nötigung und Belästigung!“

Nach einem erneuten Wortwechsel und einer spöttischen Verbeugung, mit der er der Polizei zeigt, was er von ihr hält und wie die wahren Machtverhältnisse aussehen, schlendert der Rumäne entspannt lächelnd zu seinem bettelnden Landsmann, der an eine Stahlsäule gelehnt auf dem Boden sitzt und gebannt in sein Handy schaut, aus dem seine Muttersprache plärrt. Neben ihm liegt sein kleines, verdrecktes Akkordeon. Der Rumäne blickt auf ihn herab, wirft ihm eine lässige Bemerkung hin, wendet sich dann ab und läuft samt ratterndem Koffer zur Straßenbahnhaltestelle, an der auch ich stehe.

Augenkontakt vermeiden

Dort spricht er ein Ehepaar mit einem Kinderwagen an und wünscht ihnen frohe Weihnachten. Er bedrängt sie regelrecht körperlich und überschreitet damit den natürlichen Abstand, der zwischen Westeuropäern herrscht. Das Ehepaar lächelt betreten und macht gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich kommt meine Straßenbahn – er betritt sie vorne durch erste Türe. Ich nehme die zweite Tür und setze mich mit Bedacht auf einen Einzelplatz.

Der Rumäne wünscht den ersten Fahrgästen wieder „frohe Weihnachten“ und erzählt etwas Unverständliches zu Corona. Ich beobachte ihn alarmiert, während ich zugleich das Prinzip „Teflonpfanne“ anwende, um ihm jede Andockmöglichkeit zu nehmen. Zugleich schotte ich mich geistig ab und mache mich damit quasi „unsichtbar“.

Zwei Reihen vor mir sitzt eine ältere, korpulente Deutsche, mit der ich schon am Bahnhof leicht irritierte Blicke wegen des seltsamen Verhaltens des Rumänen ausgetauscht hatte. Direkt vor mir ist ein Fahrkartenautomat, der den Fahrradfahrer dahinter verdeckt. Dieser ist das nächste Ziel des Rumänen.

Nun sehe ich ihn aus größerer Nähe in voller Pracht. Seine Muskeln zeichnen sich unter seinem weißen T-Shirt ab. Die kurze Jeans ist abgetragen und einige Nähte sind durchlöchert. Er beugt sich ganz nah zum Radfahrer, der mit dem Rücken am Fenster zu lehnen scheint, und betätigt dessen Fahrradklingel. Laut ertönt der Glockenton. Erneut wünscht er „Frohe Weihnachten“, bewundert das schöne Rad und sagt noch etwas, das ich nicht verstehe. Dann weicht er langsam zurück, merkt belustigt an: „Ich sehe, Sie haben Angst vor mir", und flaniert weiter, als befände er sich an einer Strandpromenade. Ich vermeide jeden Augenkontakt und schaue stur geradeaus. Und so sucht er seine nächsten Opfer weiter hinten auf und schleudert einer alten Frau im Vorübergehen an den Kopf: „Sie sehen aus wie meine Oma bei Corona.“

Wenn das Rüstzeug für das neue Deutschland fehlt

Doch was ist das? Vor mir stehen an der Tür zwei ältere, untersetzte Männer – beide vielleicht um die 60 Jahre alt – die ebenfalls osteuropäisch wirken. Ihre Augen wandern besorgt zwischen dem unsichtbaren Fahrradfahrer und dem Rumänen hin und her, der sich mittlerweile mit seiner Belästigungstour bis ans Ende der Straßenbahn vorgearbeitet hat. Beide steigen aus und weisen den Fahrer durchs Fenster auf die Belästigungen hin. Das erstaunt mich und ich frage mich, was ihre Motivation sein mag, da solche Belästigungen inzwischen zum traurigen Alltag gehören und mich kaum mehr erregen. Dieses ungewöhnlich Verhalten führt dazu, dass ich erst jetzt überlege, was eigentlich mit dem Radfahrer los ist. Also löse ich meine Tarnkappenstarre auf und luge um den Fahrkartenautomat herum. Voller Erstaunen erblicke ich ein junges Mädchen, das völlig in Tränen aufgelöst ist!

Ich frage sie: „Weinen Sie wegen dieses Mannes?“ Beschämt nickt sie, während die Tränen weiter über ihr Gesicht strömen. Ich schätze sich auf höchstens 16 Jahre. Ihr blondes Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden und alles an ihr wirkt proper und behütet. Sie wirkt wie ein aus dem Nest gefallener Vogel – ohne jedes Rüstzeug für diese neue Deutschland. Dazu passt auch, dass sie wegen dieser noch glimpflich ausgefallenen Belästigung völlig die Fassung verloren hat. Während sie mit ihrem durchweichten Taschentuch ihr nasses Gesicht abtupft, landen ihre Tränen als dunkle Flecken auf ihrem grünen T-Shirt. In welchem Zustand wäre sie wohl, wenn der Mann sie tatsächlich körperlich angegriffen hätte? Ich mag es mir gar nicht ausmalen!

Resignation

Mein Mutterherz geht auf. Am liebsten würde ich sie ganz fest in den Arm nehmen und trösten. Doch zum einen steht das Fahrrad zwischen uns und zum anderen möchte ich nicht erneut ihren persönlichen Raum verletzen. Also sage ich: „Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn er weiter zudringlich gewesen wäre, hätte ich eingegriffen.“

Nun öffnet sich die Kabinentür und der Fahrer blickt suchend umher. Ich deute nach hinten und sage: „Der Mann ganz hinten mit der Glatze.“ Er läuft vor zum Rumänen, ermahnt ihn und rüttelt auf dem Rückweg nebenbei noch einen Penner wach: „Bitte aufstehen, wir sind hier kein Hotel!“ Als er an mir vorbeikommt, halte ich ihn an: „Warum werfen sie diesen Mann nicht heraus? Er hat diese junge Frau belästigt und zum Weinen gebracht.“

„Dann müßte ich jetzt hier stehen bleiben, die Straßenbahn räumen und warten, bis die Polizei kommt.“ Dann richtet er allgemein das Wort an die Fahrgäste: „Sind Sie alle damit einverstanden, dass ich erst bis zur Endstation fahre?“ Er wertet das Schweigen als Zustimmung und ich informiere ihn: „Er wurde schon am Bahnhof von Polizisten ermahnt. Mehr haben sie aber nicht getan.“

„Ja, das ist immer so“, antwortet er resigniert. „Er bekommt einen Platzverweis und kommt dann immer wieder.“ Sprach’s und verschwand wieder in seiner Kabine.

Das Mädchen schluchzt weiterhin still vor sich hin. Ich denke an meine Pastorenfreundin, die mir den „hilfreichen“ Tipp gab: „Einfach ausblenden …“, und unterdrücke einen Seufzer. Schwer lastet meine Verzweiflung ob der Dummheit, Arroganz und Kaltschnäuzigkeit solcher Frauen auf meiner Brust.

Inzwischen wird meine Haltestelle angesagt. Ich möchte nicht aussteigen, ohne dem Mädchen irgendeine Art von Trost gespendet zu haben. Und so stehe ich auf und stelle mich vor ihr Rad: „Das nächste Mal, wenn so etwas passiert, machen Sie sich laut bemerkbar. Bleiben Sie nicht still.“ Sie nickt, während Tränen weiterhin über ihr verquollenes Gesicht laufen und leise weiterschluchzt.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Die korpulente Frau vom Bahnhofsvorplatz sitzt immer noch da. Sie hat im Gegensatz zu mir die Belästigung hautnah mitbekommen und nichts getan. Auch jetzt schaut sie uns nur kurz an und wendet den Blick wieder ab. Eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters steht einen Meter von mir entfernt an einer Haltestange und blickt mit großen Augen und unbewegtem Gesicht durch mich hindurch.

Ich nehme meine kleine Pfefferpistole aus der Tasche und zeige sie dem Mädchen: „Merken Sie sich den Namen Guardian Angel. Das ist eine legale Waffe. Kaufen Sie sich die Pistole und führen Sie sie immer mit sich. Sie kostet nur 38 Euro.“ Die Damen neben mir schweigen weiter und machen auf Drei Affen – nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Das Mädchen flüstert: „Danke.“ Ich lächle sie ermutigend an und steige aus.

Noch jetzt bin in Aufruhr während ich diese Zeilen schreibe. Wut, Verzweiflung, Ohnmacht und Angst wechseln sich ab. Erneust steigen Tränen in mir auf, wenn ich an das Mädchen denke, dessen Welt zusammengebrochen zu sein scheint. Und ich frage mich: Wo soll dies noch hinführen? Wann endet dieses Entsetzen? Wann fassen sich die Menschen in diesem Land endlich ein Herz und sagen: „Es ist genug!“

Nein, die Welt ist schon lange nicht mehr in Ordnung. Auch an diesem Sonntag nicht.

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