Safe Spaces gegen K.O.-Tropfen?

Rammstein zwischen Sex und Skandal - und der Mainstream spielt wieder Kulturkrieg

Kultur
Wikimedia: Martin Hangen, CC BY 3.0

Immer mehr Frauen äußern massive Vorwürfe gegen Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. Dieser habe mit Hilfe einer "Casting"-Direktorin junge Frauen für Sexparties rekrutiert. Der weltberühmte Künstler und Millionär (60) bestreitet die Vorwürfe und geht juristisch gegen Medien und Influencerinnen vor. Diese bleiben hartnäckig: Lindemann, so die Behauptungen, habe sie durch K.O.-Tropfen gefügig gemacht und sie zum Teil in bewusstlosem Zustand missbraucht. Ins Rollen brachte die Vorwürfe die Irin Shelby Lynn. Jetzt missbraucht der Mainstream das Thema, um in der Musikszene Kulturkrieg zu führen.

"Nicht schon wieder ein MeToo-Rufmord!"

Betrachtet man die Rammstein-Causa, findet man rasch zwei Fronten im Netz. Die eine reagiert auf die Sex-Vorwürfe so: "Nicht schon wieder ein MeToo-Rufmord!" - So reagieren derzeit viele Nutzer im Internet auf die Vorwürfe gegen Rammstein. Denn schon oft wurden Sex-Vorwürfe kampagnisiert, die sich vor Gericht als unhaltbar erwiesen. Eine Rehabilitierung der Existenz bleibt dennoch stets aus. Die aufgrund von Kampagnen gekündigten Verträge werden meist nicht wieder aufgenommen, zuvor erfolgreiche Männer kehren nicht zu ihrem alten Ruhm zurück, getreu dem Motto: "Irgendetwas bleibt immer hängen."

Anonyme Schilderungen von Bewusstlosigkeit und Schmerzen im Unterleib

Doch die andere Front, das sind zunehmend Influencer und weibliche Nutzerinnen, die vom Mainstream dankbar angenommen, das beängstigende Bild eines systematisierten, sexuellen Missbrauchs zeichnen. Die Vorwürfe: Frauen würden im Zuge von Rammstein-Konzerten in die mittlerweile berüchtigte "Row Zero" eingeladen, im Zuge von Partys durch K.O.-Tropfen handlungsunfähig gemacht und zum Teil sexuell missbraucht. Anonyme Screenshots von Augenzeuginnen- und Opfer-Berichten sollen die Thesen untermauern. Der Ablauf erscheint immer gleich: Die - mittlerweile gefeuerte - Russin Aljona Makeeva soll in Ghislaine Maxwell-Manier Frauen "gecastet" haben und sie in die Row Zero gelotst haben. Auf das Alter der Betroffenen werde dabei nicht geachtet, Ausweise würden nicht verlangt. Womit implizit auch der Vorwurf, dass Minderjährige betroffen sein könnten, geäußert wird. Sie würden sich nach dem Konsum von Getränken benommen fühlen. Manche von ihnen sollen Blackouts erleiden, beim Aufwachen plötzlich Lindemann dabei ertappen, wie er sie penetriere oder erst später mit Schmerzen im Unterleib aufwachen. Kondome würden dabei verweigert, es ist auch von Geschlechtskrankheiten die Rede. 

Was die Vorwürfe gemein haben: Zu den sexuell-missbräuchlichen Vorwürfen gibt es bis heute kein Gesicht. Das Gros baut auf anonymen Screenshots mit Schilderungen, deren Urheber nicht bekannt sind, auf. Die meisten wurden von Shelby Lynn geteilt und so fließt der Großteil der Argumentation wiederum bei der Irin zusammen. Die Vielzahl an Schilderungen ist jedoch umfangreich, ständige weitere Details die an die Öffentlichkeit kommen sowie Screenshots mit der - wohl nicht zufällig - gekündigten "Casting-Direktorin" zeichnen ein Bild, dass Shelby und anderen Frauen in den sozialen Medien Glaubwürdigkeit verleiht.

Lindemann wehrt sich auch in Österreich gegen Vorwürfe

Der Künstler wehrt sich nun mit einem hochkarätigen Anwaltsteam gegen die Vorwürfe. Medien sollen für ihre unzulässige Verdachtsberichterstattung geklagt werden und Influencerinnen und Nutzerinnen sozialer Medien für "unwahre" Unterstellungen.

Via Presseaussendung erklärt man auch in Österreich: 

"Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr. Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten."

- Rechtsanwälte Schertz & Bergmann


Die MeToo-Welle rollt: "Experten" führen jetzt Kulturkrieg gegen Rock'n'Roll

Doch die MeToo-Welle rollt. Mundtot lässt sich niemand mehr machen und der Mainstream, der hat sein Urteil längst gefällt. Man rückt in eigentümlicher Manier von den eigentlichen Vorwürfen ab und zeichnet ein diffuses Bild von "allgemeinen" "Machtstrukturen" und hantelt sich durch soziologische Konstrukte. Letzten Endes müsse die gesamte Musikbranche durchleuchtet werden. So erklärt die "Journalistin und Historikerin" Vanessa Spanbauer im ORF: "Ich würde sagen, dass es hier in vielen Fällen wahrscheinlich um keine rechtliche Ebene geht, sondern um eine moralische. Und in einzelnen Fällen könnte es natürlich auch eine rechtliche Ebene geben."


Auf die harten, strafrechtlich relevanten Vorwürfe bzgl. K.O.-Tropfen geht sie gar nicht erst ein. Stattdessen beginnt sie einen Feldzug gegen die Musikbranche und "ihre Strukturen" an sich: "Es ist wahrscheinlich, dass diese System nicht früher bekannt geworden ist, da es nicht so unbekannt ist in der Musikbranche, dass es solche Arten von Systemen gibt." Plötzlich sei das Groupietum an sich das Problem: "Allerdings ist dieses Aussuchen von Fans, die möglicherweise für sexuelle Handlungen bereit sind oder in so eine Situation gebracht werden können, nicht ganz so unytpisch für die Musikbranche." Man müsse darauf aufmerksam machen, dass es hier nicht nur um Rammstein geht: "Es ist wichtig, dass man sich um die gesamte Branche kümmert und schaut, wo passiert das noch." 

Safe Spaces gegen den Hausverstand

Der Mainstream nützt den Vorfall nun also offen, um Kulturpolitik zu betreiben und den Menschen Vorschriften zu machen, wie Rockkonzerte abzulaufen haben und wie nicht. Man errichtet bereits auf Konzerten "Safe Spaces", in die Frauen auf Konzerten flüchten können sollen. Man will also von einer bestimmten Seite die Chance ergreifen, einen zuvor unpolitischen Raum für eine völlig durchgeknallte Kulturpolitik, die kilometerweit an der Realität vorbeischrammt, an sich zu reißen.

So heißt es in der FAZ hierzu: "Der Einsatz der App „SafeNow“ steht ebenso zur Diskussion. Mithilfe der App können Frauen unter anderem ausgebildete Helfer informieren, sobald sich das Handy in einer sogenannten Sicherheitszone befindet. Um weitere sichere Rückzugsorte („Safe Spaces“) für Frauen zu ermöglichen, soll zudem geprüft werden, ob die Träger von Beratungsstellen für Frauen weitere Kapazitäten abrufen können."

Eine Absurdität, die kaum zu überbieten ist und mit dem ursprünglichen Sachverhalt so gut wie nichts zu tun hat. Was bringt ein Safe Space gegen die vorgeworfenen K.O.-Tropfen? Räumliche Distanz? Der Logik nach würde es ausreichen, die "Row Zero" oder "After-Parties" oder "Castings" zu meiden, bis die Vorwürfe geklärt sind. Anstatt sich eine weitere, mutmaßliche staatliche Überwachungsapp aufs Handy zu laden, wäre es wahrscheinlich sinnvoller, Frauen über logische Zusammenhänge zu unterrichten, nachdem Mütter dies offenbar in zu vielen Fällen unterlassen. Nämlich: "Wenn dich jemand auf eine 'nur-für-Frauen'-Party einlädt, dann geh nicht hin, wenn du nicht sexualisiert werden willst. Der Backstage-Bereich auf einem Rockkonzert ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit kein feministischer Debattierklub."

Das kaputte lyrische Ich

Der Fall zeigt, dass das lyrische Ich Lindemanns seiner tatsächlichen Persönlichkeit näher zu sein scheint, als manche bisher annahmen. Ging man davon aus, dass den Rammstein-Liedern möglicherweise eine tiefliegende Sozialkritik zugrunde lag, so sollte man sich wahrscheinlich überlegen, ob man hier nicht zu viel hinein interpretiert hat. Zu diesem Schluss scheint zumindest Lindemanns Verlag „Kiepenheuer & Witsch“ gekommen zu sein. Schon 2020 geriet Lindemanns Gedichtband in die Kritik. Der Spiegel schrieb von "Missbrauchslyrik". Darin wird die Vergewaltigung einer mit Rohypnol betäubten Frau idealisiert. Verlagsleiter Helge Malchow erklärte gegenüber dem Spiegel damals noch abgehoben-bildungsbürgerlich: "Die Differenz zwischen lyrischem Ich und Autor ist aber konstitutiv für jede Lektüre von Lyrik wie von Literatur allgemein und gilt für alle Gedichte des Bandes wie für Lyrik überhaupt."


Nun, nachdem die Kritik an Lindemann größere Wellen schlug und ein von ihm selbst produzierter Porno Kreise zieht, dürfte der Verlag zu einer anderen Ansicht in Bezug auf das "lyrische Ich" gekommen sein. Weil Lindemann den Gedichtband im Film, in dem er seinen Hardcore-Fetisch zelebriert, verwendet, kündigte der Verlag die Zusammenarbeit. 

Und damit ergibt sich zumindest ein Fazit, das man aus der Lindemann-Causa ziehen kann. Es ist vernünftig, innezuhalten und sich zu fragen: "Meint er vielleicht sogar ernst, was er da schreibt?" Denn wie auch der Verlag "Kiepenheuer & Witsch" erkennen musste, ist es wahrscheinlich nicht immer das "lyrische Ich", das in einer hochgeistigen "Überaffirmation" gesellschaftliche Verhältnisse oder dergleichen kritisiert. Denn vielleicht handelt es sich in Wahrheit einfach um eine Zelebrierung ihrer.



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