System hofft auf Anti-AfD-Effekt

Soziale Frage & Frieden im Fokus: Erste Reaktionen auf Wagenknecht-Partei

Politik
Bild: DIE LINKE/Martin Heinlein, Flickr, [url=https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]CC BY 2.0

Schon länger hatten es die Spatzen von den Dächern gepfiffen, dass Linken-Urgestein Sahra Wagenknecht nach der Bayern- & Hessen-Wahl eine neue Partei gründen könnte. Am heutigen Montag stellte sie mit vier Weggefährten einen Verein vor, der genau dieses Ziel verfolgt. Während das System sich erhofft, dass die Wagenknecht-Partei den Höhenflug der AfD ausbremsen kann, könnte diese in Wahrheit den etablierten Parteien stärker wehtun. Andere Stimmen zweifeln generell an der Zugkraft jenseits der Galionsfigur.

Soziale Frage & Ampel-Kritik als Markenkern

Oppositionelle Elitenkritik, aber von linker Seite: Diese Nische will Wagenknecht offenbar besetzen, wenn man ihrer Rhetorik bei der montäglichen Pressekonferenz folgte. Gleich eingangs ihres Auftritts bezeichnete sie die Ampel als "wohl schlechteste Regierung" in der Geschichte der Bundesrepublik, da sie "planlos, kurzsichtig und in Teilen inkompetent" agiere. Sie sprach sich gegen "blinden Ökoaktivismus" und gegen eine "Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers" aus. Hier positionierte sie sich auch zum Nahost-Konflikt deutlich: "Gaza ist ein Freiluftgefängnis seit vielen Jahren." 

Zudem sprach sie sich gegen die Verengung der Meinungskorridore aus: Jeder, der von Mainstream abweiche, werde heute diffamiert und stigmatisiert. Sie traut sich auf Nachfrage auch an das Migrationsthema: Die Masseneinwanderung sei keine Lösung gegen Armut. Im Vorstellungsvideo, das sie in sozialen Medien teilte, sprach Wagenknecht zudem von der Notwendigkeit sozialer Gerechtigkeit: "Statt Leistung zu belohnen, wurde von den Fleißigen zu den oberen 10.000 umverteilt". Außerdem thematisierte sie darin eine Notwendigkeit, die "individuelle Freiheit" und die "offene Diskussionskultur" zu achten. 

AfD oder Altparteien: Wem schadet Wagenknecht?

In der Reaktion der Systempresse waren die Inhalte allerdings zweitrangig: Dort stellt man sich vor allem zwei Fragen. Zum einen, ob Wagenknecht zum Totengräber für ihre bisherige politische Heimat wird - es droht der Verlust des Fraktionsstatus und damit die Kündigung von über 100 Mitarbeitern. Und zum anderen, ob sie der AfD möglichst viele Stimmen kosten kann, weil sie Proteststimmen auf sich versammeln könnte, die sich bislang eigentlich links der Mitte verorteten, allerdings aus Unzufriedenheit mit Altparteien erstmals mit der Wahl der patriotischen Opposition kokettierten. 

Entsprechend schreiben Mainstream-Blätter das politische Potenzial der Wagenknecht-Partei vorab hoch. Man beruft sich dabei auf Umfragen, wonach sich jeder Fünfte bis jeder Vierte prinzipiell eine Wahl für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) vorstellen könne und tut so, als wäre es ein wahrscheinliches Wahlergebnis. Dass sie allerdings nicht nur im Wählerteich der AfD, die immer häufiger wegen ihrer Standpunkte und nicht aus Protest gewählt wird, fischen könnte, wird häufig ausgeblendet. In der Tat könnte sie über die soziale Frage etliche ex-SPD-Wähler abholen - und über ihren Pazifismus viele Ex-Grüne, denen der neue Kriegstreiber-Kurs der Partei widerstrebt.

Der Ex-Linken-Abgeordnete Diether Dehm, medial gerne als "Wagenknecht-Vertrauter" beschrieben, kritisiert den Unwillen von Journalisten zu thematischen Fragen: 

"Sozial-konservative" Nische zu besetzen? 

Zur großen Gretchenfrage wird dabei auch, wie sie es mit der AfD hält. Tatsächlich distanzierte sie sich in der ersten Pressekonferenz bereits von einer Zusammenarbeit; allerdings muss das freilich nicht in Stein gemeißelt sein. Gerade bei den Landtagswahlen in Thüringen im nächsten Jahr könnte sie ihrem einstigen Parteifreund Bodo Ramelow viele Stimmen abspenstig machen; bei entsprechendem Wahlergebnis - vorausgesetzt sie zieht dort nicht zugunsten ihrer Ex-Partei zurück - könnte die normative Kraft des Faktischen eine "Anti-System-Querfront-Koalition" nach slowakischem Vorbild unabhängig heutiger Beteuerungen durchaus spruchreif werden. 

Angesichts des Erfolgs des system- & westkritischen Kurses des dortigen Wahlgewinners Robert Fico räumt etwa der Journalist Thomas Oysmüller (TKP-Blog) Wagenknecht großes Wählerpotenzial ein. Er erwartet sich eine politische Kraft, die Konzerne & Großkapital beschränkt, sich um die eigene Nation sorgt, Mensch & Umwelt stellt, für das freie Wort sowie Völkerverständigung einsetzt. Er befindet: "Das Gespenst, gegen das sich alle alten Mächte - von Berliner Radikalen bis zu Erfurter Polizisten, von der Antifa bis zur Jungen Alternative - zur heiligen Hetzjagd zusammenschließen, wird jetzt Wirklichkeit." Er glaubt, dass das Projekt "realpolitisch Deutschlands allerallerletzte Chance" sei.

Widersprüche und eigene Leute als Stolperstein?

Andere Stimmen geben sich über die Chancen einer Wagenknecht-Partei deutlich abwartender. Wie Der Status berichtete, meint etwa der sozialpatriotische Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser, dass die AfD eine solche Partei nicht fürchten müsse. Er glaubt etwa, dass Wagenknecht beim Migrationsthema den Rückhalt der altlinken Basis verlieren könnte. In einem Podcast analysierten Kaiser und der patriotische Verleger Philip Stein ("Jungeuropa") die Ziele und Perspektiven der neuen Wagenknecht-Bewegung.

Sie warnen davor, ihre ex-kommunistische Sozialisation in den Vordergrund zu kehren und glauben, dass man sie eher entzaubern kann, wenn man auf Widersprüche in ihrer Programmatik hinweise. Die prinzipielle Anschlussfähigkeit einer Mischung aus traditionell "linker" Sozial- & Wirtschaftspolitik und "rechter" Migrationspolitik habe Potenzial, man sehe dies an den dänischen Sozialdemokraten. Allerdings würden etwa Pushbacks an der Grenze ihrer altlinken Basis schwer zu vermitteln sein. 

Häufig wird auch ins Spiel gebracht, dass Wagenknecht bislang vor allem als Einzelkämpferin auffiel und wie bei ihrem "Aufstehen"-Projekt an der Geschlossenheit ihres eigenen Anhanges scheitern könnte. Diesen Verdacht äußerte auch Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl.

Auch andere Kommentatoren bringen diese Problematik ins Spiel, etwa in Form des Abstimmungsverhaltens ihrer engsten Getreuen Amira Mohamed Ali im Bundestag: 

Der "Feldzug Blog" wiederum verortet mangelnde Zugkraft in der Eigendarstellung. Der Pitch sei "unfassbar langweilig und kraftlos", die gewählte Bildsprache sei zudem kaum geeignet, in der ostdeutschen Provinz der AfD besonders viele Wähler abspenstig zu machen. Außerdem wurde die inhaltliche Schwerpunktsetzung kritisiert:

+++ Folgt uns auf Telegram: t.me/DerStatus & auf Twitter/X: @derStatus_at +++

Dir gefällt unsere Arbeit? Unterstütze uns jetzt mit deiner Spende, damit wir weiterhin berichten können!

Kontoinhaber: JJMB Media GmbH
IBAN: AT03 1500 0043 9102 6418
BIC: OBKLAT2L
Verwendungszweck: Spende

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten