Verhältnismäßigkeit war gestern

Rechtsstaat dreht durch: Schon wieder Razzien wegen Internetpostings

Politik
Symbolbild: Andreas Trojak, CC BY 2.0, Flickr

Wieder einmal fanden in Deutschland Hausdurchsuchungen statt. Allerdings nicht gegen Mörder, Gewalttäter oder die organisierte Kriminalität, sondern gegen Bürger, die im Internet ihre Finger auf der Tastatur nicht im Zaum halten konnten und Dinge posteten, die als "Hass im Netz" gelten. Wohl um zu beeindrucken und abzuschrecken, legt man auch nicht mehr viel Wert auf die Verhältnismäßigkeit, sondern schießt mit Kanonen auf Spatzen.

Wachsam gegen "Gedankenverbrecher"

Das Polizeiaufgebot dürfte beachtlich gewesen sein. Bei insgesamt 28 Objekten allein in Bayern fanden am Mittwoch Hausdurchsuchungen durch die Polizei statt. 31 Beschuldigte wurden vernommen. Die Einsatzkräfte beschlagnahmten bei den Durchsuchungen Beweismittel. Die Tatverdächtigen sind den Angaben der Polizei zufolge 7 Frauen und 24 Männer im Alter zwischen 19 und 72 Jahren, so die mehr oder weniger gleich lautenden Meldungen in allen Medien.

Allerdings ging es nicht um Clan-Kriminalität, Kinderpornos, Menschen- oder Drogenhandel, Waffenschmuggel oder vielleicht Geldwäsche oder Steuerhinterziehung. Vielmehr waren es "Gedankenverbrechen", der Beschuldigten, die sich im Internet manifestierten. Deshalb wurden wohl auch keine Waffen, Drogen oder Schwarzgeld beschlagnahmt, sondern andere Tatwerkzeuge -  etwa Mobiltelefone und Laptops. Aber auch in Hamburg und anderswo fanden am bundesweiten Aktionstag gegen Hasspostings Hausdurchsuchungen statt.

Die "Hass im Netz"-Leier

Die Taten der 19- bis 72-Jährigen sind in den Augen der Staatsanwaltschaft allerdings nicht weniger scheußlich. Wie den Medienberichten zu entnehmen ist, soll einer der Beschuldigten in einer WhatsApp-Gruppe "volksverhetzende und verfassungsfeindliche Sticker, welche eine Abneigung gegen Juden, Ausländer, Menschen mit Behinderung, die sog. Antifa und den Islam zum Ausdruck bringen" verschickt haben.

Ein anderer Beschuldigter soll auf der Facebookseite eines Fußballvereins Migranten als Messerstecher und "Eigentumsumlagerer" bezeichnet haben. Die Delikte der anderen werden sich wohl auch in ähnlichen Bahnen bewegen, wobei man sich für die Berichterstattung bereits die Höhepunkte herausgegriffen haben dürfte.

Ein dehnbarer Begriff

Dabei ist das Posten verfassungsfeindlicher Symbole bekanntermaßen strafbar, ebenso Aufrufe zu Gewalttaten. Und auch Beleidigungen, Beschimpfungen etc. sind rechtlich belangbar und ohnehin ein Zeichen keiner guten Kinderstube. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich erklärte zu den 28 Hausdurchsuchungen: "Hate Speech hat nach dem Ende der Pandemie einen neuen Höchststand erreicht. Entwicklungen wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Folgen bieten Hass und Hetze neuen Nährboden", stellt man sogleich die obligate Verbindung dazu dar, dass es hier eigentlich darum geht, die eigene Deutungshoheit über die Justiz zu bewahren.

"Hasskriminalität hat sich zu einer echten Gefahr für die Demokratie entwickelt", erklärte Eisenreich weiter. Das Vorgehen gegen unliebsame Meinungen hat man offenkundig zur obersten Priorität erklärt: "Im vergangenen Jahr registrierte das Bundeskriminalamt allein 3.396 politisch motivierte Hasspostings – ein Plus von mehr als 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr." Dabei sollte man aber als kritische Leser nicht vergessen, dass "Hass im Netz" ein sehr dehnbarer Begriff ist, der in den vergangenen Jahren immer weiter ausgeweitet wurde, ebenso wie die sogenannte Verhetzung.

Verhältnismäßigkeit passe

Und diese Vorwürfe sind immer schnell bei der Hand - und verlaufen oft im Nichts, wie kürzlich erst wieder der Fall des niederösterreichischen Zweitem Landtagspräsidenten Gottfried Waldhäusl zeigte. Für seinen Sager, hätte man die Asylpolitik der FPÖ durchgezogen, wäre Wien heute noch Wien, folgten neben einer Empörungskampagne auch Anzeigen wegen des Tatbestands der Verhetzung. Nun hab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass die Ermittlungen aufgrund mangelnden Anfangsverdachts eingestellt wurden. Ob bald eine Reform des Verhetzungsparagraphen ansteht, bleibt abzuwarten. Aber bei den Hausdurchsuchungen stellt sich vielmehr die Frage nach der Verhältnissmäßigkeit.

Mit Kanonen auf Spatzen

Die angeblich ohnehin unterbesetze und überforderte Polizei noch in Razzien zu hetzen, wegen Propaganda- und Meinungsdelikten, wirkt überzogen. Offenbar waren die Beschuldigten ja bereits ausgeforscht und bekannt. Wieso hat man sie also nicht zur Befragung einfach einmal vorgeladen? Zur "Klärung eines Sachverhalts", wie es im Beamtendeutsch der DDR bzw. Mielkes Schnüffeltruppe so schön hieß. Stattdessen fährt die Staatsgewalt die schweren Geschütze auf - gegen Bürger ist es aber auch einfacher, als gegen gewissen kriminelle Strukturen, die inzwischen Stadtviertel übernehmen, wo sich weder normale Polizeibeamte noch Rettungskräfte ohne ausreichend Schutz hineinwagen.

Dabei dürfte Verdunklungsgefahr - nach öffentlichen Postings im Internet - in den seltensten Fällen bestehen. Gemeinhin gilt oder galt bei Hausdurchsuchungen: "Die Maßnahme kann unverhältnismäßig sein, wenn die Schwere des Delikts sehr geringfügig ist, wenn der Beweis auch mit anderen Beweismitteln zu führen ist..." Das heißt, die Hausdurchsuchung muss in einem "angemessenem Verhältnis zur Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen". Und eigentlich sind die Behörden auch angehalten, bevor eine Durchsuchung schließlich angeordnet wird, alle naheliegenden, weniger eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen. Ist ein milderes Mittel vorhanden, ist eine Wohnungsdurchsuchung ungerechtfertigt. Aber diese Zeiten sind wohl vorbei...

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