Neuer Überwachungsstaat

Insider packt aus: Deutscher Verfassungsschutz wird immer mehr zur Stasi

Ein Verfassungsschutz, der nicht mehr seiner eigentlichen Aufgaben nachkommt, sondern als politische Behörde dem Kampf gegen die Opposition oder Bürger dient, die einfach Kritik am Staat, der Regierung und den herrschenden Zuständen üben? Wer derartiges äußert, könnte bald selbst recht schnell ins Visier der Behörde geraten. Gegenüber einer Zeitung packt nun ein Verfassungsschutzmitarbeiter aus und warnt vor der Entstehung eines Überwachungs- und Spitzelstaat.

Ungewohnte Töne im Blätterwald

Es sind Artikel, die man selten in normalen Mainstreammedien liest. Vor allem, da derartige Kritik in der Regel, sofern sie von unabhängigen Medien oder Politikern geäußert wird, sofort mit der Stigmatisierung als "rechtsextrem" oder "Verschwörungstheorie" einhergeht. Eine Ausnahme stellt nun die "Schwäbische Zeitung" dar. Denn diese traf sich mit dem sächsischen Verfassungsschutzmitarbeiter Gregor S. - der Name wurde von der Redaktion geändert - und dessen Anwältin, die schon zu DDR-Zeiten aufgrund ihres Engagements in Kreisen der Kirche und der Friedensbewegung ins Visier der Staatssicherheit geriet.

Innerhalb der Behörde ist S. inzwischen kaltgestellt, deshalb wohl auch die anwaltliche Begleitung, denn er hatte Kritik an Strukturen und nachrichtendienstlicher Arbeit geübt und Verbesserungsvorschläge gemacht. Dieser Aspekt wird auch in dem Artikel gehörig Raum eingeräumt. Aber andere Aussagen des Verfassungsschützers haben mehr Brisanz.

Angst vor Überwachungsstaat nicht unberechtigt

So schildert S., dass er einst nach einer Bundeswehrzeit zum Verfassungsschutz ging, um dem Land weiter zu dienen und es vor Extremisten und Terroristen, sei es von links, rechts, islamistischen Hintergrund etc. zu schützen. Doch aufgrund der Defizite und Unprofessionalität würde sich der Dienst an diese gewaltbereiten bzw. auch kriegserfahrenen Gruppen nicht mehr so recht herantrauen.

Stattdessen würde man sich ein anderes Feindbild suchen, welches ungefährlicher wäre. "Die Ängste vieler Menschen, dass hier derzeit ein Überwachungsstaat wie in der DDR aufgebaut wird, diese Ängste sind nicht ganz unberechtigt, ja", so der 36-Jährige. Denn die Schlagseite des Inlandsgeheimdienstes zeige sich etwa auch in der Schaffung einer neuen Extremismus-Kategorie "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates".

Gestern legal, heute ein Fall für den VS 

Dies ist für S. eine "eine Umdeutung und Pervertierung der Sprache", durch die neue Stichwörter - und auch Feindbilder - geschaffen würden und bisher unbescholtene Menschen zum Verdachtsfall erklärt. "Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Plötzlich wird versucht, auch Menschen zu diskreditieren, zu dämonisieren und auszugrenzen, bei denen das vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen wäre. Bei denen man gesagt hat, das ist doch alles im völlig normalen und verfassungsmäßigen Rahmen", so der Verfassungsschützer. 

Volle nachrichtendienstliche Klaviatur

Und diese Entwicklung hat eine weitere Brisanz, die man sonst nur aus Regimen oder schlechten Spionagefilmen im Umgang mit Dissidenten kennt. Denn diese neuen "Feindbilder" würden mit der gleichen nachrichtendienstlichen Intensität bearbeitet, die man eigentlich bei der Verfolgung von Terroristen, aber nicht von normalen Bürgern erwarten würde. Aber irgendwie muss die Behörde ja ihre Ressourcen einsetzen, wenn man sich an die "schweren Jungs" nicht mehr rantraut.

So gibt S. dann auch Einblick, was abläuft: "Wenn man etwa eine Organisationsstruktur aufklären will, guckt man sich natürlich auch an, mit wem die Zielpersonen verkehrt. Und dann überprüfen wir auch diese Leute. Wir durchleuchten das Umfeld, den Arbeitgeber, die Geliebte, die Kumpels, die zum Grillen kommen, also eigentlich alles, was wir finden können. Wir versuchen, ein Gesamtbild zu bekommen. Das machen wir nach handwerklichen Regeln, und diese Regeln sind für alle gleich, egal ob Linksextremist oder Staatsdelegitimierer. Wir machen alles, was das Handwerk hergibt und fahren alles auf, was wir bei echten Extremisten auch auffahren."

Fehlen dann nur noch Operative Vorgänge und Maßnahmen der Zersetzung, wie sie auch die Staatssicherheit der DDR gegen unliebsame Bürger nutzte.

Politische Instrumentalisierung

Und das könne nun "auch jemanden treffen, der lediglich die Grünen nicht mag und ein nach offizieller Lesart staatsdelegitimierendes Plakat aufhängt, ein entsprechendes Schild bei einer Demo hochhält oder einen entsprechenden Post in sozialen Medien absetzt. Das reicht schon aus", gibt die Schwäbische Zeitung S. wieder. Und auch auf anderer Seite fürchtet S., dass der Nachrichtendienst nicht so eingesetzt wird, wie er sollte. So sei "die ganz große Gefahr, dass der Dienst instrumentalisiert wird, etwa für politische Zwecke".

Und er gibt gleich Einblick in die Praxis: "Es gibt Informationen, die sollen aufgenommen werden, die werden dann auch weiterverarbeitet und daraus erfolgen dann auch weitere Maßnahmen. Und es gibt Informationen, die sind nicht erwünscht, die sind unbequem. Und die werden dann ignoriert.“ Dies seien vor allem "Informationen mit Bezug auf extremistische Tendenzen oder Entwicklungen, auf radikale Strömungen innerhalb etablierter Parteien. Die möchte man nicht sehen und nicht hören."

SPD, Grüne, Linke...

In dem Artikel liest sich dies wie folgt: "Konkret würde es hier, so der Vorwurf des Mannes, um 'die SPD, die Grünen und die Linke' gehen. So würde man 'gewisse gewaltbereite Strömungen etwa bei der Linken' nicht sehen wollen, bei den anderen Parteien seien es auch 'strukturelle, organisatorische und ideologische Überschneidungen' mit Szenen, die ihrerseits eigentlich relevant 'für den Dienst' seien. 'Aber da traut sich der Verfassungsschutz schon gar nicht mehr ran.' Offiziell sei der Verfassungsschutz zwar politisch neutral. 'In der Realität ist es aber nun mal so, dass diese Behörde eine Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums ist.'"

Dies ist für S., der einst aus Überzeugung zum VS gegangen ist, eine Aushöhlung des Rechtsstaat. Und seine Kritik wird noch härter: Denn der Verfassungsschutz ist für ihn "eine Kakistokratie, also eine Herrschaft der Schlechtesten", erklärt er gegenüber der Zeitung. Und was derzeit in der Behörde geschehe, sei "ein Pervertieren von Werten, ein Pervertieren der Grundpfeiler dessen, wie man sich die neue Gesellschaft nach Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht hat. Das alles sehe ich als Bürger und auch als Beamter."

Und weiter: "Ich denke, man muss sich ernsthaft fragen, ob die Verantwortlichen innerhalb des Systems dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Mindestens aber müsste man viel, viel kritischer mit den Entscheidungsträgern in den Diskurs gehen, intern und öffentlich."

Interessante Beantwortung der Anfrage

Ein besonderes Licht auf den Zustand der Behörde und die Realität in Deutschland im 21. Jahrhundert wirft dabei die Antwort, die der Verfassungsschutz, der von der Schwäbischen Zeitung mit den Vorwürfen von S. konfrontiert wurde, der Zeitung zukommen lies. Darin heißt es, so gibt die Zeitung wörtlich wieder: "Ohne die von Ihnen zitierten Aussagen im Einzelnen bewerten zu wollen, verweisen wir auf den Namensartikel von Thomas Haldenwang (Präsident des Bundesamtes, Anm. d. Red.) vom 1. April 2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu diesem Thema."

Dieser Haldenwang-Artikel in der FAZ ("Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde"), brachte nicht nur den ehemaligen Stern-Journalisten Hans-Ulrich Jörges aus der Fassung, der dem Chef der Schlapphüte "eine alarmierende Grenzüberschreitung" attestierte, sondern auch bekannte Juristen und Verfassungsrechtlicher wie Volker Boeme-Nessler und Robert Scholz waren entsetzt und warfen Haldenwang Verfassungsbruch vor. Dass die Behörde nun just auf den umstrittenen Artikel ihres Chefs verweist, lässt auch an den intellektuellen Fähigkeiten einiger Mitarbeiter der Behörde zweifeln.

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