Zwischen Hexenjagd & Selbstfallern

Lehrstück in Systemkunde: Die verlorene Ehre des Hubert A.

Meinung
Hintergrund & Sprechblase: Freepik; Aiwanger: Michael Lucan, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 (freigestellt); Komposition: Der Status.

Wahlkampf-Zeit ist Schmutzkübel-Zeit - und die Sau, die aktuell durch's Dorf getrieben wird, ist "Freie Wähler"-Chef Hubert Aiwanger. Grundlage ist ein angeblich "antisemitisches" Flugblatt, das vor 35 Jahren als Gymnasiast in seiner Schultasche gefunden wurde. Seit über einer Woche dauert die Hexenjagd gegen den Vize-Ministerpräsidenten an, auch weil der Betroffene über das Stöckchen der Jagdgesellschaft sprang. Die ganze Affäre ist allerdings in mehrfacher Hinsicht ein Lehrstück für den Umgang mit politischen Kampagnen.

Jagdgesellschaft geißelt Jugendsünde

Der kleine Hubert hatte wohl Flausen im Kopf, wie es viele Buben in der Jugend haben. Man leistet sich Dinge, deren glimpfliches Ende oft mehr auf Glück als Verstand basiert. Man rebelliert ein wenig und testet Grenzen aus, von denen man eigentlich wissen sollte, dass sie einen Sinn haben. Man findet Dinge lustig, die den guten Geschmack überschreiten. Wenn man Glück hat, ist's ein reicher Geschichten-Fundus für Kinder & Enkel; wenn man Pech hat, wird man bei Bubendummheiten erwischt. Den Aiwanger-Buam passierte Letzteres. Im unlustigen, spätpubertären Pamphlet geht's um ein Preisausschreiben für den "größten Volksverräter", wo man geschmacklose Preise gewinnen kann.

Die Schulleitung verdonnerte Hubert, in dessen Schultasche man die Flugblätter fand, damals zum Strafreferat. Und 35 Jahre lang war die Sache gegessen, bis ein ehemaliger Lehrer nach seiner Brandrede bei der Erdinger Demo gegen das Ampel-Heizungsgesetz rot sieht und ihn bei der "Alpenprawda" denunziert. Die berichtet reißerisch und schon hat Bayern kurz vor der Wahl seinen Polit-Skandal. Doch anstatt die Mechanismen der Skandalisierung zu hinterfragen, distanziert er sich. Später tritt sein Bruder hervor und behauptet, der Urheber zu sein. Doch es ist zu spät: Die Jagdgesellschaft hat Lunte gerochen. Nun dominiert reißerische Verdachtsberichterstattung. 

Angriff wäre bessere Verteidigung gewesen

Ab sofort ist Aiwanger die reale Version der literarischen Katharina Blum im Roman von Heinrich Böll. Die Form der Berichterstattung zielt vordergründig auf möglichst viele "belastende Indizien" ab, die mitunter auch verdreht werden. Im Tagestakt folgen neue "Details": Schreibmaschinen-Gutachten, Klassenbilder - und am Ende behauptet ein Mitschüler, Aiwanger habe als Schulbub mal "den Hitlergruß gezeigt" und "Judenwitze gemacht". Eine hausgemachte Dynamik: Denn Aiwanger verkannte anfänglich, dass es nie um das Flugblatt ging. Sondern auszutesten, ob er nach dem Stöckchen springen würde. Und wie er es tat! Nun prasselt ein regelrechtes Vorwurfsgewitter auf ihn ein. 

Die Absicht der Kampagne ist nämlich, wie der SPD-nahe Informant selbst sagt: "Diese braune Socke Aiwanger zu stürzen." Für die "SZ", deren Autoren seit Monaten von einer grünen Regierungsbeteiligung träumen, die perfekte Gelegenheit, sich kurz vor der Wahl als politische Waffe einspannen zu lassen. Sie weiß: In Deutschland wiegt nichts so schwer wie ein "Nazi-Vorwurf". Denn dann hat die Vernunft eine Weile Pause: Indizien werden als Fakten dargestellt, Entlastendes ausgeblendet. Das einzige Ziel ist dann, möglichst viel Kot zu werfen, damit irgendwas kleben bleibt. Immer in kleinen Häufchen, damit der Betroffene keine Luft holen kann. Angriff wäre daher die bessere Verteidigung gewesen.

Er hätte zum Beispiel folgendes sagen können: "Als das Flugblatt entstand, ließ die 'Linke'-Vorgängerin noch auf Republikflüchtlinge schießen und die Grünen machten sich für Pädophile stark. Als Joschka Fischer einen Polizisten verprügelte, war er 25; als Olaf Scholz mit der SED-Parteijugend auf Kuschelkurs ging, sogar 30. Lasst die Empörten und ihre Zirkel mal vor der eigenen Tür kehren, bevor sie den Stab über einen aufmüpfigen Bauernbuben in Niederbayern brechen. Messt mich an meiner politischen Karriere und meinen heutigen Werten - und nicht an Dummheiten, die ich in der Jugend mal lustig fand". Zefix, sogar Strache kam ja einst mit der "Bubendummheiten"-Nummer durch!

Kritik sollte politischer Natur bleiben

Erst viel zu spät merkte Aiwanger, dass man ihm nicht an die Schmutzwäsche, sondern an die Gurgel will. Seine letzte Hoffnung ist nun, dass die Bürger die Aufregung nicht verstehen und ihm einzelne Kommentatoren beispringen. Wissend, dass die "Cancel Culture" in der gärenden Unzufriedenheit des Volkes, mittels des "Jetzt erst Recht"-Effekts eher zur Solidarisierung mit dem Angepatzten als mit den Fingerzeigern führen kann. Aber sein ehemaliger Lehrer tourte dem Vernehmen nach monatelang durch Bayern, um sein Dossier zu erstellen. Es ist damit zu rechnen, dass seine gesamte Jugend noch die nächsten Wochen genüsslich von den üblichen Verdächtigen ausgeschlachtet wird. 

Aber auch andere Akteure haben ihre Hausaufgaben offenbar noch nicht gemacht. Dies zeigte sich in der Reaktion der bayerischen AfD, die - aus welchem Grund auch immer - den Rücktritt Aiwangers forderte. Ja, ich verstehe die Überlegungen, die "Brandmauer" der Altparteien lächerlich zu machen. Oder die Hoffnung, ausgiebiger im selben Wähler-Teich zu fischen. Aber das ginge viel besser, indem man seine politischen Verfehlungen aufzeigt. Die Energiewende, gegen die Aiwanger nun wettert, forderte seine Partei einst selbst. Und wenige Monate, nachdem er den widerständigen (inzwischen Ex-) Ungeimpften gab, trug er wie ein Schoßhündchen die 2G-Schikanen Söders mit. 

Keinen falschen Verlockungen erliegen

Wer es damals verabsäumte, aufgrund fehlender Glaubwürdigkeit den Rücktritt des zum Söder-Beiwagerl weichgespülten Möchtegern-Volkstribuns zu fordern, sollte es auch nicht als "tiefhängende Frucht" tun, wenn die Mainstream-Meute diesen nach mildester Kritik zum Gottseibeiuns erklärt. Ja, wenn Leute wie Aiwanger nun aussortiert werden, kriegen sie einen Schluck der eigenen Medizin, hatte der "Freie Wähler"-Chef doch selbst stets eine große Klappe, wenn es darum ging, gegen die AfD auszuteilen. Aber die Hoffnung auf kurzfristigen Metergewinn kann einen noch teuer zu stehen kommen. Denn durchs "Mitmachen" legitimiert quasi letzten Endes "sogar die AfD" diese Zersetzungsmethode. 

Wenn schon ein "Mini-Abweichler" wie Aiwanger zum Abschuss freigegeben wird, ist's so sicher wie das Amen im Gebet, dass dieselben Keulen bald noch härter gegen die AfD geschwungen werden, da sie tatsächlich dem Konsens des Systems gefährlich wird. Notfalls wird dann skandalisiert, dass man mit "bösen" Personen aus dem Vorfeld bei einer Podiumsdiskussion teilnahm oder eben, dass man auf einer Corona-Demo zwei Reihen entfernt vom besten Freund der Schwester des Dorf-Hooligans gesehen wurde. Und wer kann denn garantieren, dass kein heutiger AfD-Regionalpolitiker vor 35 Jahren als Jugendlicher denselben Clown wie der minderjährige Aiwanger frühstückte? Richtig, niemand.

AfD-EU-Wahl-Spitzenkandidat Maximilian Krah hingegen brachte die notwendige "Doppelstrategie" auf den Punkt: 

Nackt ist vor allem der Landeskaiser

Aber auch junge AfD-Funktionäre aus Bayern sind der Ansicht, dass mit der aufgebauschten Hetzjagd auf Aiwanger ein großes Unrecht geschieht. Daniel Halemba (22), Student der Rechtswissenschaften, Kreisvorsitzender der AfD Würzburg und Listenzweiter im Wahlkreis Unterfranken etwa formulierte folgenden Kurzkommentar mit dem Titel "Söders neue Kleider", den wir euch nicht vorenthalten wollen: 

"Nun ist es also so weit: ein Kind – oder vielmehr ein Jugendlicher – hat gerufen: „Aber der Kaiser ist ja nackt!“ – Und Markus Söder steht entblößt da. Dies geschah schon vor 35 Jahren, und wurde doch dieser Tage zum Offenbarungseid für Markus Söder: Es gibt in der BRD ein Jugendstrafrecht, weil wir glauben, dass junge Menschen sich ändern können. Straftaten werden nach Ablauf gewisser Fristen aus dem Bundeszentralregister getilgt, weil wir glauben, dass Resozialisierung möglich ist. Aber all das ficht den promovierten Juristen Söder nicht an, auch wenn der Betroffene seit 35 Jahren nicht mehr auffällig geworden ist.

Was ist der Gestus des 'Antifaschismus' noch wert, wenn Söder im Bierzelt selbst [angeblich und von der CSU bestritten, Anm. der Red.] zur Hitlerparodie schreitet? Wieviel Mitgefühl mit den Opfern von Unrechtsregimen kann jemand haben, der bereit ist, die Sippenhaft walten zu lassen? Kann man jemandem noch glauben, der das Offensichtliche – oder besser offen Hörbare – leugnet? Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn sagt es deutlich: Hier wird die Nazi- und Antisemitismuskeule primär für politische Zwecke missbraucht. Und er äußert noch die Bitte, 'uns Juden aus diesem miesen Spiel' rauszulassen! Alle aufrichtigen Bayern werden diese Bitte nicht so schnell vergessen!"

Eigene Meinungen sind unerwünscht

Die größte Lehre aus der ganzen Nummer bleibt allerdings jene, welche eigentlich des Pudels Kern ist: Das System duldet es auf allen Ebenen schlichtweg nicht, wenn jemand auch nur minimal aus seiner Agenda ausschert. Während der Corona-Zeit schoss man scharf gegen kritische Forscher, Ärzte und Kulturschaffende, die es wagten, gegen das Einheits-Narrativ aufzubegehren. Mittlerweile zieht man seinen "Cordon Sanitaire" sogar schon so, dass gegen die wenigen verbliebenen CDU-Konservativen vorgegangen wird. Das geht so weit, dass man seit Monaten versucht, den ehemaligen Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen zum "Verfassungsfeind" zu stempeln, auch per Kontaktschuld.

Dabei geht das System gegen Abweichler nicht weniger erbarmungslos vor als gegen seine fundamentalen Kritiker. Ganz nach dem Prinzip "bestrafe einen, erziehe hunderte": Das Volk soll bloß nicht glauben, dass man die Mächtigen ungestraft kritisieren kann; wer Job, Privatleben und Ruf behalten will, soll die Klappe halten. Die Obrigkeit will die Steuern des Bürgers sehen, aber nicht seinen Einspruch hören. Im Fall Aiwangers reichten zwei (!) kurze Augenblicke des Widerstandes als sonst handzahmer Juniorpartner der letzten Landesregierung ohne Beteiligung einer Ampel-Partei. In der gedankenbetreuten Meinungsfreiheit, die sie meinen, sollen wir frei von jeder eigenständigen Meinung sein.

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