Kein heilbringender Monarchen-Name

14 Ärzte und ein toter König: Starb Charles' Namensvorgänger durch Giftmord?

Medizin
Frau & Giftmischer: Freepik (2); Charles II.: unbekannter Maler (1630), Wikimedia Commons, gemeinfrei; Komposition: Der Status.

Bald, am 6. Mai 2023, wird er also doch noch gekrönt, König Charles III. von England (geb. 1948). Schließlich musste er 73 Jahre als Thronfolger warten, bis er sein Amt antreten konnte. Es war entweder ziemlich mutig oder geschichtsvergessen, dass seine Mutter, die damalige Thronfolgerin und spätere Königin Elisabeth II (1926-2022), ihren Erstgeborenen auf den Namen Charles taufen ließ.

Charles als Name glückloser Könige

Immerhin war Charles I. (1600-1649) der erste und einzige englische König der geköpft wurde. Er verstand sich als absolutistischer Herrscher, der das Parlament nur zur Freigabe von Geldern für sich und seine Staatsführung benötigte. Seit 1629 regierte er ohne Parlament. Als er schließlich gegen seine Bevölkerung in die Schlacht zog, hatte er den Bogen überspannt. Nach seiner militärischen Niederlage wurde er in Haft genommen und des Hochverrats schuldig gesprochen.

Sein Sohn, Charles II. (1630-1685), wurde zwar noch als König von England, nicht aber von Schottland gekrönt. Als auch er seinen Anspruch in offener Feldschlacht durchsetzen wollte, musste er Hals über Kopf nach Frankreich flüchten. England und Schottland wurden eine Republik. Erst 1660 wurde er vom englischen Parlament wieder eingeladen, seinen Thronanspruch wahrzunehmen. Im Gegensatz zu seinem Vater arrangierte er sich mit dem Protestantismus der Bevölkerungsmehrheit. 25 Jahre lang konnte er eine brüchige Balance zwischen den religiösen Hardlinern wahren.

Plötzlich und unerwartet...

Für den von ihm geliebten Prunk und Hedonismus hatte sich Charles II. allerdings insgeheim seinen französischen Geldgebern verpflichtet, den katholischen Glauben wieder einzuführen. Dafür ließ er sich wohl zu lange Zeit. Mit nur 55 Jahren verstarb er plötzlich und unerwartet nach fünftägiger Krankheit.

Während der letzten Krankheit von Charles II. gab es erst nach drei Tagen eine Diagnose, die keine war und außerdem daneben lag. Den Ärzten genügte der mehrheitliche kollegiale Konsens über 58 verschiedene Therapien. Jede zwischenzeitliche Besserung wurde als Bestätigung ihrer Wissenschaft aufgefasst und als Erfolg kommuniziert. Verschlechterungen waren schicksalhaft und erforderten, alle Register ihrer Kunst zu ziehen.

Und warum auch nicht? Schließlich war und ist die Therapie das ärztliche Geschäft - unabhängig vom Nutzen. Für Edmund Kings illegalen Aderlass sprach ihm der Geheime Kronrat nachträglich 1.000 Pfund zu. Ein Honorar für eine technisch simple Maßnahme mit einem unsterilen Taschenmesser, mit dem man drei prunkvolle Beerdigungen hätte bezahlen können. Da James II. als Nachfolger von Charles II. das Honorar in einen Ritterschlag umwandelte, lässt annehmen, dass ihn die Forderungen für die viertägige Marterung von Charles in finanzielle Verlegenheit brachten. In Anbetracht des allerhöchsten Patienten war nicht nur viel, sondern nur das Kostspieligste verordnet worden.

Eine schlampige Obduktion später

Als der König umgehend obduziert wurde, konnte die Verdachtsdiagnose nicht bestätigt werden und eine neue Diagnose blieb aus. Der Erste Leibmedicus des Königs, Sir Charles Scarburgh, berichtete blutgefüllte Arterien und Venen an der Hirnoberfläche, seröse Flüssigkeit in den Gehirnräumen und ein Hirnödem, sowie ein großes Herz und blutgefüllte Organe. Mehr nicht. Alle Beschreibungen der Organe sind völlig unspezifisch und können im Rahmen des finalen Kreislaufversagens aufgetreten sein. Auffällig ist, dass Speiseröhre, Magen und der gesamte Darm überhaupt unerwähnt blieben. Versäumnis oder Absicht?

Die nichtssagende Obduktion hielt jedoch Generationen britischer Mediziner nicht davon ab, eine vermeintliche Pathophysiologie des tödlichen Geschehens zu postulieren. Charles hätte seit Jahren an einer Gicht gelitten und eine offene Wunde an der Ferse, deren Versorgung am ersten Krankheitstag anstand, wäre entweder darauf oder auf einen Diabetes zurückzuführen. Infolge beider Krankheiten sei ein chronischer Nierenschaden wahrscheinlich, der in der ersten Februarwoche zu einer Ansammlung ausscheidungs-pflichtiger Substanzen im Blut (sog. Urämie) und damit zu Krampfanfällen geführt hätte. Spekulativer geht es kaum!

Gesunder, toter König: Wurde nachgeholfen?

Weder für eine Gicht, noch einen Diabetes gibt es Indizien. Die offene Wunde an der Ferse könnte ganz banal von drückendem Schuhwerk herrühren, da dort weder Gichtknoten, noch diabetische Hautschäden zu erwarten sind. Selbst bei einem genussfreudigen Leben wären tödliche Organschäden im Alter von 55 Jahren verfrüht. Charles‘ Cousin, Ludwig XIV., der einen vergleichbaren Luxus pflegte, starb erst mit 77 an einem Arterienverschluss im Bein. Außerdem fehlt jede Vorgeschichte für einen chronischen Nierenschaden. Charles war offenbar abgesehen von kleineren Unpässlichkeiten nie ernsthaft krank.

Die Symptome von Charles waren: eine ausgeprägte Blässe, zeitweiser Verlust der Sprache, Krampfanfälle, Halsschmerzen, Fieberschübe, kalter Schweiß, dunkler (schwarzer?) Urin, Erschöpfung und vor dem Tod ausgeprägte Atemnot. All diese Gesundheitsstörungen passen in keiner Weise zu einem Schlaganfall oder einem akuten entzündlichen Geschehen mit Sepsis. Der fulminante Krankheitsverlauf ist unvereinbar mit der akuten Verschlechterung einer chronischen Erkrankung wie einem Diabetes oder einer Gicht. Die Symptome mit Besserungsphasen und dem bis zuletzt klaren Bewusstsein sind allerdings typisch für eine akute Vergiftung mit Arsenik!

Zeitgenossen hegten Giftmord-Verdacht

Fehlen einzig ein übelriechender Durchfall und Erbrechen. Aber ist dies jenseits der anzunehmenden Diskretion verwunderlich? Charles wurde wie alle Kranken mit Brech- und Abführmitteln sowie Klistieren traktiert, so dass jede Krankheit zu einem Schlachtfeld aus Exkrementen und Erbrochenem ausartete. An der Menge der entzogenen Flüssigkeiten wurde der Therapieerfolg festgemacht, die Qualitäten waren sekundär. Der Urin scheint wie bei einer Arsenikvergiftung dunkel, wahrscheinlich sogar schwarz gewesen zu sein, da von einer „Verbrühung“ des Harns berichtet wurde.

Den Verdacht auf einen Giftmord hatten schon Zeitgenossen, die jedoch ohne Belege gegen die Armada der Hofärzte und in Anbetracht der neuen Machtverhältnisse in der Deckung blieben. Eine war Mary, die Tochter von James II., die nach der Heirat mit William von Oranien 1688 Königin wurde. Sie beauftragte ihren Leibarzt James Welwood, den Tod ihres Onkels zu beurteilen. Nach seinem Urteil käme nur Gift oder ein Schlaganfall als Todesursache in Frage. Ein Schlaganfall sei weniger wahrscheinlich. Welwoods Gutachten wurde erst in Marys Nachlass gefunden.

Vierzehn Ärzte, ihr Name ist Hase

Waren die bis zu 14 Ärzte um Charles II. wirklich so ahnungslos wie ihre Bulletins und Verordnungen den Anschein machen? Trotz der armseligen Kenntnisse der Medizin über Krankheitsvorgänge musste gerade bei prominenten Personen ein Giftanschlag in dieser Zeit immer eine Differentialdiagnose gewesen sein. Zumindest Charles erster Hofmedicus Charles Scarburgh könnte mehr gewusst haben. Warum fehlt im Obduktionsbericht jede Stellungnahme zu den Verdauungsorganen, die doch am ehesten verräterische Spuren einer Gifteinwirkung aufweisen? Warum übernahm James II. Scarburgh als eigenen Leibarzt, obwohl dieser doch schon fast 70 Jahre alt war?

Das von Historikern beschworene Fehlen von Todfeinden und eines Mordmotivs erweist sich bei Würdigung der Fakten als Schutzbehauptung. Im Geheimvertrag von Dover von 1670 war Charles II. eine Allianz mit Frankreich gegen die Niederländer eingegangen. Als Gegenleistung für eine jährliche Zuwendung von 230.000 Pfund hatte er zugestimmt, während seiner Regentschaft zum katholischen Glauben überzutreten und damit eine Rekatholisierung des Landes herbeizuführen. Spätestens als die katholische Kirche über Madame Maintenon um 1680 die Geschicke des französischen Hofes bestimmte, werden die Hardliner in Paris Vollzug eingefordert haben.

Zwischen Intrigen und Geschichtsfälschung

Der französische Botschafter, von dem einer der acht Berichte über die letzten Tage von Charles stammt, war jedenfalls in Whitehall umtriebig. Angeblich auf Anraten einer Mätresse von Charles hatte er dessen Konvertierung am letzten Abend angebahnt. Auch der überschwänglich gefühlvoll überlieferte Abschied zwischen Charles und James, der ständig präsent war, wirkt so aufgesetzt, als sollte damit jeder Zweifel an einem natürlichen Tod abwegig erscheinen.

James, der als Bruder von Charles II. in der Thronfolge auf dem ersten Platz stand, dürfte ein willfähriger Vollstrecker der französischen Intrige gewesen sein. Er war schon 1668 zum Katholizismus konvertiert. Seine erstgeborene Tochter Mary hatte er nur nach Maßgabe von Charles protestantisch erziehen lassen. Als James bei seiner Rückkunft nach England wegen eines Streits mit dem Kapitän das Schiff auf Grund gesetzt hatte, interessierte ihn neben seiner eigenen Person lediglich die Rettung der Hunde und Priester. 250 Mann Besatzung starben. Zweimal versuchte er seinen Schwiegersohn, William III. von Oranien, wieder vom Thron zu stoßen, beim zweiten Mal wohl als Mitwisser eines Mordanschlags.

Enger Vertrauter von James war sein jesuitischer Beichtvater, Ewald Petre, der über seinen Orden beste Beziehungen zum französischen Hof und den in Paris angesiedelten Missionaren für die nordischen Länder hatte. Jedenfalls tat James alles, um seinem wenig angesehenen Beichtvater einen Bischofssitz oder ein anderes hohes kirchliches Amt zu verschaffen. Da dies misslang, bestellte er ihn wenigstens zum Hüter seines Nachtstuhls. Von wegen also kein Motiv und keine Täter! Das seit über 300 Jahren festgeschriebene Todesnarrativ von Charles II. ist eine der großen Lügen der britischen Geschichtsschreibung.


Zum Autor: Univ.-Doz. Dr. med. Gerd Reuther ist ehemaliger Chefarzt und Autor folgender Sachbücher: "Der betrogene Patient"; "Die Kunst, möglichst lange zu leben"; "Heilung Nebensache" und "Letzte Tage – verkannte und vertuschte Todesursachen berühmter Personen".

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