Militär-Experte erklärt

Fragwürdige Neutralität: Braucht Österreich Sky Shield?

Meinung
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Die österreichische Verteidigungsministerin Claudia Tanner hat eine Absichtserklärung zur Teilnahme an der von Deutschland vorgeschlagenen Initiative „Sky Shield“ unterschrieben. Sky Shield soll Europa vor russischen Raketenangriffen schützen. 19 NATO Staaten, sowie Österreich und die Schweiz wollen daran teilnehmen. Etliche andere europäische NATO-Staaten, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Polen, sind nicht dabei. Warum die Regierungen von neutralen Staaten von Beginn an mitmachen, ist aus neutralitätspolitischer Sicht höchst fragwürdig.

Ein Gastbeitrag von General i.R. DI Mag. Günther Greindl

Braucht Österreich „Sky Shield“?

Nicht erst seit dem Ukrainekrieg ist Russland der ewige Feind der „westlichen Welt“. Sky Shield folgt vielmehr der Logik des Kalten Krieges und ist der Beginn eines neuerlichen Wettrüstens. Ein Wettrüsten, dass, anstatt mehr Sicherheit zu bringen, nur hohe Kosten verursachen wird. Der Profiteur ist die US-Rüstungsindustrie.

Die Rückkehr der atomaren Abschreckung ohne Verträge zur Kontrolle der Atomwaffen ist besiegelt. Laut NATO und EU ist Russland ein totalitärer und imperialer Staat mit dem eine kooperative Sicherheit so lange nicht möglich ist, bis Russland seine Haltung ändert. Die Entspannungspolitik der 70er Jahre beweist jedoch das Gegenteil: Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung führten, beginnend mit den Verhandlungen in Helsinki, im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu einem System der kooperativen Sicherheit in das die totalitäre und imperiale Sowjetunion eingebunden war. Warum sollte das mit Russland heute nicht möglich sein?

Österreich sollte seine Sicherheit jedenfalls nicht mit der Logik des Kalten Krieges verbinden. Als wir im Kalten Krieg als Pufferstaat nur geringe Chancen hatten, uns aus einem europäischen Krieg herauszuhalten, haben wir mit dem Konzept der umfassenden Landesverteidigung und der militärischen Raumverteidigung eine glaubhafte Anstrengung unternommen, unsere Unabhängigkeit und Neutralität zu verteidigen. Jetzt, da wir in einer geostrategisch viel besseren Lage sind, sollte das nicht möglich sein? Warum setzen wir mit der voreiligen Unterzeichnung der Absichtserklärung die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität leichtfertig aufs Spiel? Braucht Österreich Sky Shield wirklich?

Nicht alle Raketen können abgefangen werden

Die NATO wurde gegründet, um Europa gegen den kommunistischen Expansionsdrang der Sowjetunion zu schützen. Russland ist nicht mehr die Sowjetunion. Das strategische Interesse Russlands liegt in der Ostukraine und in Nordeuropa, um den Zugang zum Meer zu sichern. Durch den Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO ist die Ostsee zum NATO Binnenmeer geworden. Gleichzeitig hat das Ölembargo und die Sprengung der Nord Stream-Pipeline bewirkt, dass Russland für seine Ölexporte vermehrt auf Tankerschiffe angewiesen ist, die den Seeweg durch die Ostsee nützen. Es bleibt zu hoffen, dass weder die NATO noch Russland Handlungen setzen, die zu größeren Spannungen führen können. Ob Russland bereit wäre, zur Sicherung der Ostseeroute Krieg zu führen, darf bezweifelt werden. Es gibt auch keine Belege dafür. Welchen Vorteil hätte es, Europa anzugreifen? Sky Shield trägt daher nicht zur Entspannung oder Sicherheit Österreichs bei, sondern ist ein Signal, das aus russischer Sicht die NATO in die Lage versetzten würde, einen Präventivschlag zu führen. Auch einen mit Atomwaffen, wie es bereits frühere Konzepte vorsahen. Russland wird daher alles unternehmen, um Sky Shield im Ernstfall mit Kinschal Hyperschallraketen zu bekämpfen, die von Sky Shield nicht abgefangen werden können.

Als Rechtfertigung für den neutralitätspolitisch bedenklichen Schritt wird angeführt, dass Österreich Gefahr laufe, in Europa isoliert zu werden und dass eine eigenständige Raketenabwehr nicht möglich sei. Die gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit zwischen EU und NATO vom Jänner 2023 hält fest:

„Wir befürworten die größtmögliche Einbeziehung der NATO-Verbündeten, die nicht Mitglieder der EU sind, in deren Initiativen. Wir befürworten die größtmögliche Einbeziehung der EU-Mitglieder, die nicht Teil des Bündnisses sind, in dessen Initiativen.“

Die Zusammenarbeit zwischen NATO und EU ist offensichtlich bereits so eng, das die für die Sicherheit nötigen Informationen allen Staaten, unabhängig von ihrem Status, zugänglich gemacht werden sollen. Warum also diese Eile? Viele Fragen, die unsere Neutralität und unsere Sicherheit betreffen sind noch offen. Wäre es nicht vernünftig, die Erarbeitung der neuen Sicherheitsstrategie abzuwarten, bevor die Regierung so weitreichende Entscheidungen trifft? Noch dazu im Alleingang und quasi über Nacht, ohne Einbindung des Parlaments und ohne umfassende Information der Öffentlichkeit über die Risiken, Kosten und Befehlsgewalt! Denn es ist eine Tatsache, dass im Ernstfall die Raketen auf österreichischen Boden von der NATO gesteuert würden, nicht vom österreichischen Bundesheer allein.

Neutralität schützt Territorium

Die zentralen Fragen sind: Kann Österreich seinen Luftraum ohne Sky Shield nicht verteidigen? Und warum sollte Russland das neutrale Österreich angreifen? Die Chancen, sich als neutraler Staat aus kriegerischen Auseinandersetzungen herauszuhalten, sind gut. Die geostrategische Lage begünstigt Österreich. Die größte Bedrohung für unsere Neutralität sind Verletzungen des Luftraumes und Waffentransporte durch Österreich. Der Krieg in der Ukraine hat uns vor Augen geführt, wie wichtig Österreich für den Nachschub der NATO ist. Eine glaubwürdige Neutralität muss im Kriegsfall allen Kriegsparteien, auch der NATO, die Nutzung unseres Territoriums verwehren.

Die Verschmelzung zwischen EU und NATO stellt Österreich vor eine schwierige Aufgabe, da die EU ihre sicherheitspolitischen Entscheidungen in voller Übereinstimmung mit der NATO trifft. Es wird dem Geschick unserer Neutralitätspolitik vorbehalten sein in diesem Dilemma einen gangbaren Weg zu finden. Die derzeitige Politik, die Neutralität zu beschwören ohne neutral zu handeln, ist weder für Österreich noch für Europa gut.

Europa und Österreich müssen zu einer Politik zurückkehren, die eigene Interessen voran stellt und realpolitische Gegebenheiten zur Kenntnis nimmt. Der Ukraine-Krieg hat nichts daran geändert, dass eine dauerhafte euroatlantische Sicherheitsordnung nur mit und nicht gegen Russland errichtet werden kann. Die Neutralität Österreichs ist ein wichtiger Baustein einer europäischen Friedensordnung und kann in der EU eine wesentliche Stimme des Friedens sein.

Friedenskongress in Wien

Statt Sky Shield braucht Österreich daher eine eigenständige Luftverteidigung, die Überflüge von Kriegsparteien verhindern kann. Sky Shield könnte Österreich sogar schaden, da es dann legitimes Ziel für russische Raketenangriffe wäre. Eine ausreichende Zahl kampfstarker Abfangjäger, ergänzt durch Boden-Luftraketen, könnte den Schutz unseres Luftraumes bewerkstelligen. Jene zwei Milliarden Euro, die nach Berichten für Sky Shield aufgewendet werden sollen, wären besser in die Aufrüstung der eigenen Luftverteidigung investiert. Die „Goldhaube“, das militärische System zur Überwachung des Luftraumes, ist schon jetzt für diese Aufgabe bestens geeignet. Anstatt sich am neuen Wettrüsten zu beteiligen, könnte Österreich, mit einer aktiven Friedenspolitik und einer glaubwürdigen Landesverteidigung zur Erde und in der Luft, für die Friedensordnung in Europa mehr bewirken. Statt der Wiederauflage des Wettrüstens wäre eine Wiederauflage des Entspannungsprozesses gefragt. Wien war schon einmal der Ort eines europäischen Friedenskongresses. Wäre der Vorschlag Österreichs für eine europäische Friedenskonferenz in Wien nicht eine Idee, die von der österreichischen und europäischen Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen würde?

Zur Person

General i.R. DI Mag. Günther Greindl ist österreichischer Generalstabsoffizier im Ruhestand. Er war Leiter der Generalstabsgruppe für Sicherheitskooperation im BMLV und erster Militärrepräsentant Österreichs bei der EU und NATO. Er hatte verschiedene Auslandsverwendungen und war kommandierender General der Blauhelme in Syrien-Israel, in Zypern und in Irak-Kuwait. 2013 Verleihung des „Egon Ranshofen-Wertheimer-Preis“ für Verdienste um das Ansehen Österreichs im Ausland.

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