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Präsidentenwahlen im Iran und die Naivität im Westen

Politik
Bild: Tasnim News Agency, CC BY 4.0, Wikimedia Commons

Am 19. Mai 2024 sind der bisherige Präsident der Islamischen Republik Iran, Ebrahim Raisi, ein erzkonservativer Hardliner, und der bisherige iranische Außenminister Hussein Amir-Abdollahian bei einem Hubschrauberabsturz tödlich verunglückt. Wie es nun im Iran weitergehen könnte, ist offen, allerdings zeigen sich bereits erste Weichenstellungen.

Von Dr. Dr. Heinz-Dietmar Schimanko

Derzeit führt der Erste Vizepräsident Mohammed Mokhber die iranische Regierung. Manche Stimmen meinen, dass nun der Weg frei sei für eine gemäßigtere iranische Regierungspolitik und zeigen damit ein gewisses Maß an Naivität. Denn der Verlust von nur zwei, wenngleich hochrangigen Personen des iranischen Regimes wirkt noch nicht destabilisierend für das ganze Mullah-System. Die iranische Verfassung statuiert eine theokratisch gesteuerte Demokratie.

Demokratie mit systemkonformer Auslese

Im derzeitigen, 1979 von Ayatollah Ruhollah Khomeini geschaffenen Staatssystem des Iran steht über allem der Oberste Führer (Faqih) als höchste geistliche wie auch politische Autorität des Staates. Er ist befähigt und befugt, den Willen und die Absichten des mystischen zwölften Imam zu interpretieren und zu realisieren, der aus der Verborgenheit die Geschicke der Welt lenkt (Peter Scholl-Latour, Der Fluch der bösen Tat, 8. Auflage 2023, 304). Zum Parlamentsabgeordneten oder Regierungsmitglied kann nur werden, wen der Wächterrat zulässt. Erst nach dieser systemkonformen Auslese kann das Volk in relativ freier Wahl entscheiden. Das gilt auch für die Wahl des Präsidenten, der dem Faqih strikt untergeordnet bleibt. Der erste Oberste Führer war Khomeini selbst. Als Nachfolger hatte er ursprünglich den schiitischen geistlichen Rechtsgelehrten (Ayatollah) Mohammed Beheshti vorgesehen, der aber bei einem Sprengstoffattentat getötet wurde. So wurde nach dem Tod Khomeinis im Jahr 1989 der islamische Rechtsgelehrte (Mujtahid) Ali Khamenei von der hohen schiitischen Geistlichkeit zum neuen Obersten Führer gewählt.

Gefestigtes Regime

Ein für das iranische Regime wichtiges Instrument der Machtsicherung sind die Revolutionsgarden (Pasdaran) und die Einsatzgruppen zum Niederschlagen eines Aufruhrs (Bassidji). Die Mullahkratie (Herrschaft der Religions- und Rechtsgelehrten) ist durchaus gefestigt. "Die Kräfte der Beharrung erwiesen sich als widerstandsfähiger, als viele angenommen hatten". Die Wirtschaft ist trotz US-Sanktionen stabil, seit diesem Jahr ist der Iran bei den BRICS-Staaten. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gesichert, die Infrastruktur wurde laufend verbessert, und die Bildung funktioniert auch in dürftigeren Landgegenden. Einigend dürfte die Aversion gegen die USA wirken. Khomeini hat bewiesen, dass eine gewaltsame Auflehnung gegen die amerikanische Hegemonie Erfolg und Bestand haben kann. (Scholl-Latour, 299) Abschreckend gegen Auflehnungsbestrebungen wirkt das Beispiel des benachbarten Irak, der sich lange in Bürgerkrieg und Chaos befand und weiterhin instabil ist, was Folgen der "Befreiung" durch die US-Army sind. (Scholl-Latour, 317)

Chance für einen Richtungswechsel?

Daher ist überhaupt fraglich, woher Hoffnungen auf einen Richtungswechsel im Iran zu einem moderaten Kurs kommen. Zur Einschätzung ist es hilfreich, frühere Wahlen zu betrachten. Dazu muss man gar nicht so lange zurück in die Vergangenheit blicken. Am 1. März 2024 fanden im Iran Parlamentswahlen statt, die ersten nach den landesweiten Protesten des Jahres 2022. Gewonnen haben die Hardliner. Viele der moderaten und reformorientierten Politiker waren vom Wächterrat, dem Aufsichtsorgan der Fundamentalisten, gar nicht als Kandidaten zugelassen worden. Die Wahlbeteiligung betrug nicht mehr - so wie vor den Parlamentswahlen 2020 mit 42% Wahlbeteiligung - 50%, aber immer noch 41%, rund 25 Millionen von 61 Millionen Wahlberechtigten. Aber das ist nur zum Teil als Protest zu werten. Denn nur ein Teil der Nichtwähler besteht aus Oppositionellen, ein großer Teil hingegen aus Personen, die einfach meinen, nichts ändern zu können, und resignieren.

Am 1. März 2024 fanden auch die Wahlen zum Expertenrat statt, in den ausschließlich Geistliche gewählt werden können. Die für eine Amtsperiode von acht Jahren bestellten Regimekleriker des Expertenrates wählen den Obersten Führer. Auch diese Wahlen haben die Konservativen für sich entschieden, womit die Beibehaltung der fundamentalistischen Grundausrichtung klar ist. An der Macht sind also die fundamentalistischen Kräfte, und eine für einen Umsturz ausreichend starke Revolutionsbewegung ist nicht ersichtlich.

Gelenkte Präsidentenwahl

Die Wahl zum neuen iranischen Präsidenten ist für den 28. Juni 2024 angesetzt. Ab 30. Mai können Kandidaten sich registrieren. Sie werden vom Wächterrat geprüft, der letztlich über ihre Zulassung entscheidet, ebenso wie bei den Parlamentswahlen. Der Wächterrat besteht aus sechs Geistlichen und sechs Juristen. Sechs Mitglieder werden vom Obersten Führer ernannt, sechs vom Parlament. "Das Regime im Iran will keine Überraschungen", lautet die pointierte Beschreibung der Funktion des Wächterrats. Er zeigt die Dominanz der Ultrakonservativen. Unwahrscheinlich ist, dass der Wächterrat Reformkandidaten zulässt. Durch diese Lenkung der demokratischen Vorgänge lassen sich gewisse Prognosen vornehmen. Die wahrscheinlichen fünf Kandidaten sind alle Fundamentalisten. Favorit ist der derzeitige Interimspräsident Mohammad Mockhber, der dem Obersten Führer nahesteht. Die weiteren voraussichtlichen Kandidaten sind der frühere Bürgermeister von Teheran, Mohammed Bagher Ghalibaf, seit 2020 Parlamentssprecher, Ali Larijani, ein früherer Kommandeur der Revolutionsgarden, Mohammad Javad Zarif, Außenminister von 2013 bis 2021, und Saud Jalili, eine Schlüsselfigur der iranischen Außenpolitik.

Bevormundungsdemokratie

Auffallend ist, dass die Demokratie im Iran ostentativ gelenkt wird. Im Unterschied dazu waren Staatssysteme wie die DDR Scheindemokratien. "Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alle Fäden in der Hand haben", meinte deren erster Regierungschef Walter Ulbricht insgeheim. Die DDR gab sich nach außen hin demokratisch, die Volkskammer der DDR war ein Scheinparlament. Im Iran ist die Einschränkung und Lenkung der Demokratie offiziell und manifest. Begründet wird das mit der vermeintlichen Weisheit der religiösen Führer, die das Volk - ihrer Ansicht nach zu seinem Wohl - bevormunden. Alles im Namen von Allah. Aber wer weiß schon, was Allah wirklich meint. Da besteht der Verdacht, dass die Mullahs nach dem Prinzip des Anthropomorphismus agieren: "Sie schaffen sich nach ihrem Ebenbild den Gott" .

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