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ÖVP-Werkzeug im Kampf gegen Andersdenkende

Inquisition gegen Kritiker: Bundes-Sektenstelle im Netz der Antikult-Verschwörer

Politik
Symbolbilder (3): Freepik; Komposition: Der Status

Die "Bundesstelle für Sektenfragen" (BSS) wurde mit der Absicht eingerichtet, sogenannte Sekten zu „beobachten“. Dabei steht die umstrittene Einrichtung selbst unter Beobachtung. Der Rechnungshof rügte sie wegen fehlendem Konzept. Soziologen kritisieren ihre stümperhafte Methodik. Heimische Rechtswissenschaftler stuften sie bereits vor zwanzig Jahren als „verfassungswidrig“ ein. Der wahre Hintergrund der BSS: Machtpolitik der ÖVP. Früher standen Andersgläubige im Mittelpunkt des politischen Angst-Narrativs. Heute sind es Regierungskritiker.

Netzwerk-Analyse von Martin Locksley

Sekten-Alarm? Das Telegram-Netzwerk des österreichischen Widerstands

Am 23. April 2024 veröffentlichte die BSS ihre Studie zur „digitalen Gegenöffentlichkeit“ in Österreich. Diese habe sich während der COVID-19-Pandemie auf dem Messenger-Dienst Telegram formiert. Sie bestehe aus „alternativen Medien, rechtsextremen Kanälen und führenden Influencerinnen und Influencer der COVID-19-Protestbewegung“. Aufgrund von „verschwörungstheoretischen und polarisierenden Botschaften“ sei diese Bewegung als „demokratiegefährdend“ einzustufen.

Ulrike Schiesser, seit letztem Jahr die Geschäftsführerin der BSS, gibt sich mütterlich besorgt. Angehörige hätten ihr immer wieder erzählt, „dass Betroffene im Zuge der Pandemie begannen, den Messenger-Dienst Telegram zu nutzen, sich in ihren Ansichten zunehmend radikalisierten und sich von der Außenwelt isolierten.“

Der BSS-Bericht problematisiert die Aktivitäten auf Telegram, da sie zu „individuellen Entfremdungsprozessen“ führen würden. In der Folge sei eine Destabilisierung der demokratischen Ordnung zu befürchten. Besonders bedenklich sei die Verbreitung der Idee eines „angeblich geheimen Plans“, der unter dem Begriff „Great Reset“ diskutiert werde. Mit solchen absurden Thesen würde Telegram zunehmend zum „zentralen Rückzugsort für extremistische und verschwörungstheoretische Kreise“.

Die Autoren der Studie geben einerseits zu, dass die „Corona-Maßnahmen-Gegnerinnen-und-Gegner-Szene“ weltanschaulich durchmischt („heterogen“) ist. Andererseits behaupten sie, dass die Protestbewegung von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern „vereinnahmt“ worden sei. Telegram-Nutzer seien somit akut gefährdet, mit einem „relativ homogenen verschwörungstheoretischen Weltbild“ in Kontakt zu geraten.

Im Vergleich zu den eher bescheidenen Jahresberichten der BSS, unterscheidet sich die aktuelle Studie deutlich in Methode, Stil und graphischer Aufmachung. Für die Studie wurden eigens der Psychologe und Twitter-Aktivist Felix Lippe sowie der Politikwissenschaftler Philipp Pflegerl engagiert. Finanziert wurde die aufwendige Netzwerk-Analyse des österreichischen Widerstands vom Bundeskanzleramt, dessen Aufsicht die BSS unterliegt. Die BSS gilt – zumindest offiziell – als „weisungsfrei und konfessionell unabhängig“. Doch wie unabhängig ist die Einrichtung wirklich?

Im Sumpf der Antikult-Verschwörer

Die BSS steht seit ihrer Gründung in engem Austausch mit FECRIS (Fédération européenne des centres de recherche et d’information sur les sectes), dem europäischen Dachverband der Antikult-Vereine. Getragen werden diese Vereine von einem Cocktail aus linken Religionskritikern und ultra-konservativen Hardlinern der großen Kirchen. FECRIS wird zu 90% von der französischen Regierung finanziert. Zwischen 2005 und 2009 diente der österreichische Ingenieur und unermüdliche Sektenjäger Friedrich Griess (1932–2023) als Präsident von FECRIS.

FECRIS schürt ein Klima der Angst und Intoleranz. Die Organisation unterstützt ausdrücklich die Verfolgung der Falun Gong-Bewegung in China. In Russland führt sie eine lange Liste von religiösen Minderheiten, die sie als „destruktive Kulte“ betrachtet. Hierzu zählen vor allem Gruppen, die als „ausländisch“ und „nicht-traditionell“ gesehen werden, wie z.B. Baptisten, Pfingstkirchen, Zeugen Jehovas, Mormonen, muslimische Gruppen, Falun Gong und Hindus.

Der italienischer Religionswissenschaftler Massimo Introvigne berichtete, dass französische und russische Vertreter von FECRIS offen Putins Seite im Ukraine-Konflikt unterstützen. Alexander Dvorkin, ein russisch-orthodoxer Theologe und Vorstandsmitglied bei FECRIS, suggerierte bereits vor zehn Jahren, dass die Ukraine von Neopaganen, Baptisten, Scientology und der römisch-katholischen Kirche unterwandert werde. Ob sich die ÖVP-gelenkte BSS ihres eigenen Schwurbel-Milieus bewusst ist?

Die BSS bedient sich derselben Strategie wie die Antikult-Szene, in der sie verkehrt: Um politisch und finanziell zu profitieren, empfiehlt sie sich selbst als Experten für unsichtbare Kultgefahren. Auch wenn die BSS nach außen hin vorsichtiger als FECRIS agiert, nehmen ihre Mitarbeiter nachweislich an FECRIS-affiliierten Veranstaltungen teil, um dort zu referieren. Mit ihrer Verbindung zu FECRIS ist die BSS Teil einer globalen Verschwörungsindustrie, an der auch autoritäre Staaten beteiligt sind.


Hintergrund: Der inszenierte Kampf gegen die Sekten

Die BSS entstand vor dem Hintergrund des Sekten-Diskurses der 1990er Jahre. Diese speiste sich aus der Kampfrhetorik religionskritischer Psychologen, die ihre Theorien wiederum aus Psy-Ops der CIA aufgegriffen haben. Die CIA behauptete in den 1950er Jahren, dass die Chinesen mentale Manipulationstechniken angewendet hätten, um amerikanische Kriegsgefangene des Koreakriegs zum Kommunismus zu konvertieren. Über den CIA-Agenten und Journalisten Edward Hunter verbreitete sich das Konzept der „Gehirnwäsche“ („brainwashing“) medial. Ab 1971 wurde Gehirnwäsche zur zentralen Theorie des Antikult-Verschwörungsmilieus: Sekten setzen Gedankenkontrolle ein, um loyale Mitglieder zu programmieren.

Führender Kopf der Sektenaufklärer in Österreich war die Psychologin Brigitte Rollett (1934–2024). 1977 gründet Rollett den "Verein zur Wahrung der geistigen Freiheit". Anfang der 90er Jahre nennt sie ihren Verein um zu "Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren" (GSK). Der oben erwähnte Griess war seit 1987 Mitglied von Rolletts Verein und wurde 1994 Mitbegründer von FECRIS. Schlüsselfunktionen in der GSK wurden von Rolletts Schülern besetzt: Martin Felinger und German Müller. Felinger ist seit 1999 Geschäftsführer der GSK. (Zwischen 1992 und 2008 wurde die GSK mit insg. 200,000 EUR von der Stadt Wien finanziert.) Müller, ein ehemaliger GSK-Aktivist und Karatemeister, wurde 1998 zum ersten Geschäftsführer der BSS bestellt.

Ins Leben gerufen wurde die BSS vom Unternehmer und ÖVP-Politiker Martin Bartenstein. In seiner Funktion als Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie nützte Bartenstein geschickt die Anti-Sekten-Hysterie, um eine finale Lösung für die Beseitigung der sektiererischen Umtriebe vorzuschlagen: eine staatliche Beobachtungsstelle. So wurde das Narrativ der Gehirnwäsche durch die ÖVP in Szene gesetzt. Die BSS, Barteinsteins Sektenhammer, liegt heute fest in der Hand des Bundeskanzleramts.

Greift Nehammer in Bartensteins Trickkiste?

2017 führte eine Prüfung des Rechnungshofs zur öffentlichen Demütigung der BSS. Laut Rechnungshof habe die Stelle bei der Errichtung keine operativen Ziele und kein Konzept für die Weiterentwicklung trotz laufender Finanzierung vorgelegt. Die Aufklärungsarbeit der BSS sei in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und sie führe keine seriöse Forschungstätigkeit durch.

Die Beratungen gingen von 2010 bis 2015 um rund 42 Prozent zurück. In diesem Zeitraum betrug der Personal- und Sachaufwand der Bundesstelle rund eine halbe Million Euro pro Jahr. Insider berichteten, dass die Haupttätigkeit der BSS im Ausschneiden und Sammeln von reißerischen Zeitungsartikeln über „Sekten“ bestand.

Seit der Covid-Krise zeichnet sich eine Neuausrichtung der BSS ab. Das schlug sich auch in der bis zuletzt schwächelnden Finanzierung nieder. Für das Jahr 2023 erhielt die BSS eine deftige Budgeterhöhung von 50 Prozent. Die Gelder wurden umgehend auf 597.000 Euro aufgestockt. Bemerkenswert: Ihre Geldnöte waren wie weggeblasen, nachdem die BSS ihr Augenmerk auf häuslichen Unterricht („Abschottung“) und die Maßnahmen-Protestbewegung („Verschwörungstheorien“) legte.

Die zeitlich koordinierte mediale Veröffentlichung der aktuellen BSS-Studie (ORF, Presse, Standard, SN und das exklusive Falter-Interview mit Schiesser) ist ebenso beachtlich. Es scheint, als würde Nehammer in Bartensteins bewährte Trickkiste greifen, um Stimmung vor dem Wahlkampf zu machen. 

Während vor 25 Jahren religiöse Minderheiten als Sündenbock konstruiert wurden, sind es heute Kritiker der Covid-Maßnahmen. Das Ziel der staatlichen Inquisition hat sich von religiösen zu politischen Abweichlern verschoben.

Pseudowissenschaftlich und verfassungswidrig

Unter Soziologen, Rechtswissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft herrscht weitgehender Konsens, dass die BSS auf wackeligen Beinen steht. Sie steht nicht für Aufklärung, sondern für die Projektion von Macht. Der deutsche Soziologen Dr. Peter Schulte schrieb 2012:

"Wer sich ein wenig mit den österreichischen 'Eigenheiten' auskennt, der weiß, dass von der BSS keine öffentlichkeitswirksamen Impulse ausgehen, welche die Menschen in irgendeiner Form über die Materie aufklären. (...) Es gibt vereinzelte Jahresberichte dieser Einrichtung, die im Wesentlichen darauf abzielen, sich selbst als unverzichtbare Institution mit hohem professionellen Charakter darzustellen."
(Peter Schulte, Neue religiöse Bewegungen: Gesellschaftliche Dramatisierungsstrategien und soziale Wirklichkeit, Hamburg: Dr. Kovac, 2012.)

Zu Fragen der konkreten Gefährdung, die von religiösen oder weltanschaulichen Gruppen schweigt die BSS. Die Beratungsstelle verfehlt aber nicht nur ihren gesetzlichen Informationsauftrag. Sie steht grundsätzlich im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit.

So wies etwa der Rechtswissenschaftler Richard Potz auf folgende Probleme im Zusammenhang mit der BSS hin: (1) Der Begriff "Sekte" ist gesetzlich nicht definiert. (2) Die BSS sieht sich nicht zuständig für Missbrauchsfälle in den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, was die konfessionellen Neutralität des Staates verletzt. (3) Die BSS verstößt mit dem denunzierenden Begriff „Sekte“ gegen die Grundfreiheiten der Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit. (4) In der Praxis ergibt sich – so Professor Potz – "ein gravierendes Rechtsschutzdefizit im Fall 'hoheitlicher Kreditschädigung'." Wessen Ruf durch die BSS beschmutzt wird, kann nicht auf Widerruf und Unterlassung klagen (cf. Richard Potz, "Zum Geleit" in Christian Brünner, "Sekten" im Schussfeld von Staat und Gesellschaft. Ein Angriff auf Religionsfreiheit und Religionspluralismus. Wien: Verlag Österreich, 2004.).

Zu einem ähnlichen Urteil gelangte der Verfassungsrechtler Christian Brünner. Er betrachtet die BSS „in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig“, weil sie willkürlich Gruppen als "Sekte" denunzieren kann. Für jene, die durch die Tätigkeit der BSS diskriminiert werden, gibt es kein Rechtsschutzverfahren. „Der Sachverhalt ist darüber hinaus auch perfide,“ bemängelt Brünner, „weil die Sektenkeule geschwungen werden kann gegen alles, was nicht Mainstream ist.“ (cf. Christian Brünner, "Religionsfreiheit - ein gefährdetes Gut auch in Österreich", In Brünner, Hg., Diskriminierung aus religiösen Gründen. Wien: Verlag Österreich, 2009)

Die BSS steht seit Jahren unter Beobachtung von Bürgerinitiativen wie dem Forum für Religionsfreiheit Europa (FOREF Europa). Als die BSS Kritiker der Covid-Politik erstmals als „Verschwörungstheoretiker“ denunzierte, warnte FOREF Europa im Oktober 2020 vor der Errichtung eines "Wahrheitsministeriums" und schrieb:

„Verschwörungstheorien sollten niemals für bare Münze genommen werden. Aber um eine Inflation des Begriffs zu vermeiden, die jede Art von Dissens umfassen würde, sind klare Definitionen, angebrachte Differenzierungen und ein ernsthafter methodischer Ansatz erforderlich. Es ist offensichtlich, dass die Bundesstelle für Sektenfragen diesem Standard in keiner Hinsicht gerecht wird.“

Plumpes Framing

Die politische Strategie hinter der BSS ist „teile und herrsche“. Mit dem Vorwand der Beobachtung von sogenannten Sekten hat die BSS von Anfang an ein gesellschaftliches Bedrohungsszenario erfunden. Die Angstpropanda mittels religiöser Minderheiten als Feindbild funktioniert aber nicht mehr, zumindest nicht in Österreich. Das Framing zielt jetzt auf regierungskritische Telegram-Kanäle, denen übelste Gesinnungen unterstellt werden.

Das Netzwerk des österreichischen Widerstands ist zwar total heterogen, wie die BSS schreibt, aber doch auch ein bisschen homogen, weil möglicherweise von „Rechtsextremen“ vereinnahmt. Verfolgt man das sumpfige Netzwerk der BSS, so reichen die Fäden von Bartenstein und amerikanischen Geheimdiensten über das global vernetzte Antikult-Verschwörungsmilieu bis nach Peking und Moskau. In einem solch lockeren Framing ergibt die Analyse genauso gut, dass die ÖVP sich CIA-Techniken bedient und gleichzeitig mit Putin marschiert.

Das Bundeskanzleramt kurbelt mit der BSS-Studie ihre Diffamierungsmaschine an. Dem Falter gegenüber gestand der Co-Autor Pflegerl: „Die sogenannten alternativen Medien sind die Gewinner der Pandemie.“ Eine scharfsinnige Erkenntnis. Will die dilettantische Medienkampagne der ÖVP-BSS daran etwas ändern?

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