Wie seriös sind Recherchen wirklich?

Schilling-Zwist mit Maurer? Wirbel um zeitweise gelöschten 'Standard'-Artikel

Politik
Maurer & Schilling: beide Karo Pernegger/Die Grünen, Wikimedia Commons, CC0; Komposition: Der Status.

Die Vorwürfe gegen Lena Schilling seien "rechte Hetze", meinte Grünen-Kanzler Werner Kogler nach dem ersten "Standard"-Artikel. Nun geht der Infight in die nächste Runde: Am Mittwochabend war für wenige Minuten ein Folgebericht im Netz, in dem ein Clinch zwischen dieser und der grünen Klubchefin Sigrid Maurer, im Zuge dessen die Jungpolitikerin auch Tratsch über ihre Parteifreundin verbreitet haben soll, kolportiert wurde. Erst am Freitagmittag ging das Stück nach Aufregung im Netz in veränderter Form wieder online. Durchblick in der Causa bewies indes FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky, der das polit-mediale Halali gegen Schilling mit einem kritischen Auge betrachtet.

"Standard" zog Maurer/Schilling-Artikel zurück

"Schilling soll Vorwürfe gegen Klubchefin Maurer verbreitet haben": Im Google-Cache war am Donnerstagabend die Überschrift eines Artikels noch lesbar, der das Potenzial gehabt hätte, die Grünen in ihren Grundfesten zu erschüttern. Doch folgte man dem Verweis, landete man auf einem anderen Artikel. An dessen Ende fand sich der kryptische Hinweis: "An dieser Stelle war für wenige Minuten ein Text abrufbar, der nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Wir bitten um Entschuldigung." Doch der Schaden durch das Hoppala ist angerichtet. Denn in sozialen Medien verbreiteten sich Links zu Archivierungsportalen, die den Volltext weiterhin lesbar machten.

Dies macht die Sache umso pikanter, denn die Vorwürfe waren nun gleichzeitig öffentlich und nicht-öffentlich. Und sie sind starker Tobak: Schilling habe demnach das Gerücht verbreitet, wonach Maurer angeblich Affären zu mehreren Grün-Politikern und Journalisten unterhalten haben soll. Außerdem habe die Klubchefin sie "unangenehm und übergriffig bedrängt". Pikant ist die Geschichte auch deshalb, weil Maurer sich am Mittwoch demonstrativ hinter Schilling stellte und ihr am Abend überschwänglich für ihren TV-Auftritt applaudierte, als sich die Kunde über das "Doch-Nicht-Hitpiece" des Mediums längst im Äther breitmachte. Gute Miene zum bösen Spiel also?

Qualität der Recherchen auf dem Prüfstand

Viele Bürger beschäftigte die Suche nach dem Motiv, aus dem "Standard" den Artikel zurückzog. Plötzlich war die Seriosität der Recherche auf dem Prüfstand. Fragen tauchten auf: Operierte man auf Hörensagen und war in Sorge, die erhobenen Vorwürfe im Zweifelsfall nicht gerichtsfest belegen zu können? Muss man die nötigen Screenshots und/oder Beglaubigungen doch erst noch organisieren? Und: Ließ jemand in der Redaktion den Artikel "abdrehen" oder gab es eine Intervention von außerhalb? Immerhin geht es um Vorwürfe gegen zwei grüne Spitzenpolitikerinnen vor einer wichtigen Wahl, die zugleich ein Stimmungstest für die Nationalratswahl im Herbst ist.

Dann am Freitagmittag die große Überraschung: Ein neuer Artikel taut die Vorwürfe auf, doch nun ist nicht Maurer im Fokus. Sondern der grüne Ex-Abgeordnete Clemens Stammler, der nach Belästigungsvorwürfen im Vorjahr zurücktreten musste - erst jetzt kam heraus, dass es sich beim angeblichen Opfer um Schilling handelt. Erst danach geht es im neuen Artikel um die mögliche Rolle Maurers im Parteivorstand, wo man angeblich versucht habe, Schillings Name aus der Causa zu halten. Und zu den abendlich zurückgezogenen Vorwürfen gesellt sich ein neues, nicht unwichtiges Detail: Die Beglaubiger der Maurer-Gerüchte sollen diese plötzlich reihum für "unwahr" halten.

Tratsch, Zeugen, Intrigen & Freundschaften

Und es sind nicht irgendwelche Vorwürfe inhaltlicher Natur, sondern solche, die v.a. den Charakter und Lebenswandel der Akteure infrage stellen. Zwar handelt es sich um Dinge im Grenzbereich zwischen privatem und politischem Wirken. Aber der "Standard" räsoniert ja selbst mit der Einschätzung zweier Politologen, dass die Persönlichkeit bei Politikern immer im Vordergrund stünden und die vorgeworfene Unehrlichkeit politische Relevanz hätte. Insofern hinterlässt dieser Satz einen völlig anderen Küchenzuruf: Man erteilt Maurer die Absolution, lässt sie wie ein Opfer Schillings wirken, die in der neuen Version umso undankbarer und intriganter wirkt. 

Doch selbst dies war nicht das Ende der Geschichte: Denn die Angesprochene widersprach dieser Erzählung in der Folge in sozialen Medien. Schilling meinte, sie habe Maurer niemals bezichtigt, sie bedrängt zu haben. Vielmehr sei diese eine großartige Freundin, bei der sie froh sei, diese in ihrem Leben zu haben. Erstmals reagierte sie allerdings auch inhaltlich auf die Tratsch-Vorwürfe: "Ja, ich habe in meinem Leben schon mal Gerüchte über Affären gehört & sie dann ohne groß nachzudenken weitererzählt. Ich bin da kein Stück besser als andere." Also am Ende doch eine ganz normale 23-Jährige, die sich einfach in der Rolle der "Eingeweihten" etwas zu gut gefiel?  

Streisand-Effekt lässt mehrfach grüßen

Wer vergnügt sich in den Abgründen des politischen Betriebes mit wem, wer stellt Personen aus der eigenen Blase angeblich unsanft zur Rede: Was aktuell über das grüne Innenleben publik wird, hat ohnehin mehr von einer Seifenoper als einer seriösen Regierungspartei. Dazu gesellt sich der "Streisand-Effekt", wonach der Versuch, unliebsame Informationen zu unterdrücken, erst recht deren Bekanntheitsgrad erhöhen. Ist die Doch-Noch-Veröffentlichung also der Versuch des "Standard", dieser Dynamik zu entkommen und seinen Ruf zu wahren? Immerhin will man ja als Aufdecker, nicht als Zudecker gelten. Und Glaubwürdigkeit ist im Journalismus das Um und Auf.

Dasselbe gilt aber für die involvierten: Egal ob man die Schilling-Vorwürfe wie Kogler als "rechte Hetze" gegen eine junge Politikerin abtut oder deren Gehalt als leere Gerüchte herunterspielt: Zurück bleibt ein befremdliches Sittenbild, bei dem kein Beteiligter besonders gut aussteigt. Dies ist auch eine Sorge der im roten Dunstkreis operierenden Netzwerkerin Veronika Bohrn-Mena. Seitdem sich Schilling eine verpflichten musste, nicht mehr zu verbreiten, sie sei ein Opfer häuslicher Gewalt oder agiere gemeinsam mit ihrem aus Funk & Fernsehen bekannten Gatten in mafiös anmutenden Machenschaften, spricht das ganze Land über das, was Schilling nicht unterstellen darf.

Und die von Sebastian Bohrn-Mena genüsslich verbreitete Hoffnung, dass Schilling - ehemalige Freundin des Paares und deren Ex-Stiftungs-Beirätin - über die Causa stolpern könnte, verlief sich durch die grüne Mau(r)er im Sand - Der Status machte die Hintergründe dieses Netzwerks und seiner Strategen bereits sichtbar. Auch das umtriebige Ehepaar suchte bereits am Donnerstag die Flucht nach vorn und gaben sich als Opfer von "Lenas Lügen". Man versuchte sogar, die Situation von Schilling zu psychologisieren. Doch etliche Beobachter halten diese Betroffenheit für Show - und diese Dynamik können selbst die beiden Stiftungs-Dirigenten nun nicht mehr kontrollieren.

Kryptische Hinweise von Sebastian Bohrn-Mena vor über zwei Wochen: 

Screenshot: Twitter/X vom 25.4.

Unklar ist, ob Veronika Bohrn-Mena die Sache wirklich über den Kopf wächst, oder es sich hierbei um ein strategisches Statement handelt:

Alles für den roten Traum vom Kanzleramt?

Hauptprofiteur einer beschädigten grünen Spitzenriege wäre freilich die SPÖ. Diese, die etwa über die Kanäle des "Roten Wiens" über ein großes Inseratenvolumen verfügen kann, hätte großes Interesse an der Wiederholung der Dynamiken um die Nationalratswahl 2017, nur diesmal eben, ohne dass die Grünen wirklich aus dem Parlament fliegen. Damals konnte die SPÖ trotz der Silberstein-Affäre ihr Wahlergebnis halten und hauchdünn den zweiten Platz retten, verantwortlich dafür wurden grüne "Leihstimmen" gemacht. Auch damals warnte man medial vor der "bösen" FPÖ, die es zu stoppen gelte - und auch damals wurden die Grünen von internen Querelen geplagt.

Die Rolle des roten Vorfelds in der aktuellen "Causa Schilling" ist ohnehin durch Offensivität geprägt. Wie groß das Zutun dieser Kreise war, zu einem praktischen Zeitpunkt mit schweren Vorwürfen gegen politische Mitbewerber herauszurücken, darüber lässt sich nur spekulieren. Allerdings sind gerade rote Werbefuzzis und andere Personen aus dem Sozen-Vorfeld besonders laut dabei, die Story in sozialen Medien am Köcheln zu halten. Nach dem Prinzip: Wenn man Kickl schon inhaltlich nicht stellen kann, soll Babler auf der Wähler enttäuschter Grün-Wähler ins Kanzleramt surfen; notfalls auch als Zweitplatzierter bei der Nationalratswahl?

Weitere Hit-Pieces wohl in Vorbereitung

Der Wahlkampf droht diesmal besonders schmutzig zu werden, und man kann davon ausgehen, dass "Standard" & Co. nun bereits die Akzeptanz von Artikeln in diesem geradezu auf politische Hinrichtung ausgerichteten Stil austesten. Ist der Aufschrei geringer als die "Unfallgaffer"-Mentalität, kann man sich leichter trauen, mit Räuberpistolen gegen die FPÖ ums Eck zu kommen, für die man dann auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht "50 Personen aus dem Umfeld" befragt oder die Vorwürfe auf Herz und Nieren prüft, sondern zuerst einmal die Schlagzeile arbeiten lässt.

An einem solchen Sudel-Artikel gegen FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky im "Spiegel" arbeitete einer der Autoren des Schilling-Hitpieces bereits im Vorjahr mit und stellte dessen Spitzenkandidatur infrage. Danach wurde es still um die Sache. Aber wie Der Status bereits vor Monaten hierzu einordnete: "Der 'Giftpfeil' wurde schon einmal in Stellung gebracht, er muss nur noch abgefeuert werden." Ein erster Schritt dazu geschah nun ausgerechnet in jener Passage, mit welcher der "Standard" seinen ersten Bericht über Schilling rechtfertigte. Im Vorbeigehen ließ derselbe "Standard"-Journalist dort den Vorwurf in einem Nebensatz wieder fallen. Irgendwas wird schon picken bleiben...

Vilimsky setzt auf Inhalte statt Schmutzkübel

Doch Vilimsky ist ein erfahrener Politiker und lässt sich nicht lumpen. Denn er hat auch die schiefen Optiken in der "Causa Schilling" durchschaut. In der TV-Elefantenrunde auf "Puls4" am Donnerstagabend verblüffte er viele Beobachter, indem er sich nicht an der allgemeinen Hatz gegen die grüne Spitzenkandidaten beteiligte. Im Gegenteil: Er erklärte, dass die Geschichte für ihn "gewaltig stinkt". Die Vorwürfe hätten wenig mit Politik zu tun. Auch wenn er im ersten Moment auch davon "überrollt" wurde, klinge die Sache auf den zweiten Blick für ihn "nach einer klassischen Hexenküche".

Für ihn sei nicht die Wertschätzung wichtig, welche Schilling von ihren Bekannten erfahre oder versagt bekomme. Er sei hier, um mit ihr über Politik zu diskutieren. Und so erklärte Vilimsky: "Insofern möchte ich mich, so überraschend das sein mag, ein bisschen schützend vor sie stellen." In einer Zeit, wo sich alle auf mögliche Unzulänglichkeiten einer 23-Jährigen einschießen, bewahrt der FPÖ-Politiker, der selbst Vater einer Tochter ist, einen kühlen Kopf. Er weiß: Die aufstrebende FPÖ hat den Schmutzkübel nicht nötig. Er will seinen Wahlsieg lieber durch überzeugende Inhalte statt mit Dreckwäsche & Intrigen gegen den Mitbewerb holen. 

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