Wirbel um angeblichen Russen-Pass

Willkür per Dekret: Selenski bürgert Odessa-Bürgermeister aus

Welt
Flagge: Freepik; Odessa-Theater: Freepik; Selenski: © European Union, 2025, Wikimedia Commons: Truchanow: OlehhBohdanovy, Wikimedia Commons (beide CC BY 4.0); Komposition: Der Status.

Das müssen diese "westlichen Werte" sein, welche die Ukraine angeblich verteidigt: Per Dekret ließ Machthaber Wolodymyr Selenski nun Gennadij Truchanow, den Bürgermeister der Millionenstadt Odessa ausbürgern. Grundlage soll ein angeblich bis Jahresende gültiger russischer Pass sein - der Betroffene hingegen behauptet, einen solchen nie besessen zu haben und wittert eine Geheimdienst-Intrige.

Geheimdienst unterstellt Russen-Pass

Der Geheimdienst der Ukraine (SBU) legte eine Kopie eines angeblich Truchanow zuzuordnenden russischen Passes vor, woraufhin Selenski ihm per Dekret die Staatsbürgerschaft aberkannte. Das Dokument - dessen Authentizität nicht unabhängig bestätigbar ist - soll bis Jahresende gültig sein, ab diesem Zeitpunkt würe der bisherige Stadtchef also staatenlos. Mit der Ausbürgerung verliert er zudem die Befähigung, sein Amt auszuüben. Truchanow selbst ist sich keiner Schuld bewusst und dementiert sämtliche Anschuldigungen: "Ich habe nie einen russischen Pass besessen". 

Selenski will Militärverwaltung einsetzen

Die eigentlich für diesen Herbst anberaumten Kommunalwahlen wurden aufgrund des Kriegsrechts ohnehin bereits abgesagt, die Vollmachten der Bürgermeister ebenfalls per Dekret verlängert. Das heißt auch, dass sich Selenski nun nicht mehr mit einem potenziell widerspenstigen Stadtchef herumschlagen muss. Und verbindet sogleich das Praktische mit dem Nützlichen: Denn parallel dazu leitete der Machthaber in Kiew, dessen Amtszeit ebenfalls längst abgelaufen wäre, die Schaffung einer Militärverwaltung für die strategisch bedeutsame Hafenstadt ein. 

Alte Vorwürfe und wechselhafte Vita

Die Vorwürfe über eine angebliche russische Staatsbürgerschaft bei Truchanow - diese ist mittlerweile für ukrainische Bürger verboten - sind keineswegs neu. Der ORF erwähnte entsprechende Gerüchte bereits vor drei Jahren (!) in einem Artikel. Neben dem vermeintlichen Russen-Pass erwähnte man damals "diverse Korruptionsaffären" sowie sein Vorkommen in den Panama-Papers (freilich, ohne zu erwähnen, dass Selenski selbst wegen Offshore-Geschäften in den ähnlich gelagerten Pandora-Papers gelistet wurde). Außerdem habe er in der Vergangenheit als "russlandfreundlich" gegolten.

Tatsächlich verfügt Truchanow über eine wechselhafte Karriere. Der ehemalige Soldat & Sicherheitsleiter mehrerer staatsnaher Unternehmen wurde 2012 erstmals ins ukrainische Parlament, die "Verchowna Rada" gewählt - und zwar als Vertreter der "Partei der Regionen", die damals mit Wiktor Janukowitsch auch den Präsidenten stellte. Im Jahr 2022 wurde sie dann, gemeinsam mit anderen angeblich "zu russlandfreundlichen" Parteien wegen vermeintlichen "Hochverrats" verboten. Truchanow hingegen wurde längst auch von anderen Parteien unterstützt, kam nach dem Maidan-Putsch erstmals als Bürgermeister ins Amt und hielt dieses bis zuletzt.

Nähe zu "russlandfreundlichem" Milliardär?

Dieser erfreute sich ungeachtet wiederkehrender Korruptionsvorwürfe u.a. aufgrund seiner Kulturpolitik und Bautätigkeit beim Volk einiger Beliebtheit - und zwar bei "klassischen" Ukrainern und der traditionell großen russischsprachigen Minderheit in Odessa. Nach dem russischen Angriff wandelte er sich dann zum lauten Kritiker der Militäroperation. Und auch wenn er die Ukraine erst im Mai bei einem Sicherheitsgipfel in Madrid vertrat, blieben die Unkenrufe laut.

In Kiew traute man seiner Vita ebensowenig wie der kolportierten Nähe zu Wadim Nowinski. Der in Russland geborene Milliardär hinterlegte 2021 eine Kaution über 30 Mio. Griwna (ca. 1 Mio. Euro) für Truchanow, als diesem u.a. Machtmissbrauch und Nähe zur organisierten Kriminalität vorgeworfen wurde. Nowinski engagierte sich selbst einst in der "Partei der Regionen" und galt als Günstling von Janukowitsch. Später saß er für den ebenfalls nach dem Kriegsausbruch verbotenen "Oppositionsblock" in der Werchowna Rada.

Vorwürfe eines autoritären Umbaus

Obwohl jener die ukrainische Zivilbevölkerung humanitär als auch die ukrainische Armee finanziell unterstütze, tauchten bereits Ende 2022 erneut Vorwürfe der Kollaboration mit Russland auf, das ihn 2018 auf eine Sanktionsliste gesetzt hatte.In der Folge verhängt plötzlich die Ukraine eigene Sanktionen gegen Nowinski und beschlagnahmte seine Besitztümer im Wert von umgerechnet über 1 Mio. US-Dollar. Er ist Diakon der russisch-orthodoxen Kirche, welche das ukrainische Parlament inzwischen ebenfalls verbat. 

Im Jänner wurde schließlich Anklage gegen Nowinski wegen "Hochverrats" sowie der "Aufhetzung zum religiösen Hass" in Abwesenheit angeklagt. Diese stützte sich hauptsächlich auf einer psycholinguistischen Analyse seiner öffentlichen Reden. Nowinski, der ursprünglich gute Beziehungen zu Selenski pflegte, wittert eine politische Motivation hinter den Vorgängen. Er wirft der Kiewer Regierung vor, am Umbau in Richtung eines autoritären Staates zu bauen. 

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