Bleibende Ruhe oder nur Atempause?

Waffenruhe in Nahost: Trump-Schachzug zwischen Salomon & Pandora

Welt
Hintergrund: Freepik; Trump: Gage Skidmore, Flickr, CC BY-SA 2.0; Komposition: Der Status.

Am Montag kam diplomatische Bewegung in den tödlichen Nahost-Konflikt. Nach dem Tausch israelischer Geiseln und palästinensischer Gefangener verständigten sich USA, Ägypten, Katar & die Türkei auf eine gemeinsame Friedenserklärung für den Gazastreifen. Es ist ein Deal, der für alle Seiten etwas Aufatmen bringt, für alle aber auch etwas schmerzhaft ist. Für Europa stellt sich die Frage, ob Asylwellen von Millionen Arabern nun vorerst abgewendet sind - oder nun erst recht bevorstehen.

Gesichtswahrender Ausweg für Israel

Fast 2.000 Mehr inhaftierte Palästinenser, darunter über 250 zu lebenslanger Haft verurteilte, kommen frei. Das ist der Preis, den Israel bereit war zu zahlen, um alle verbleibenden 48 Geiseln - davon 20 lebend und 28 tot - zurückzubekommen. Wohl auch vor dem Hintergrund, dass Netanjahu ahnte, dass sein Rückhalt innen- und außenpolitisch immer weiter bröckelte. Im eigenen Land rissen seit 2 Jahren die Proteste nicht ab, weil die Geiseln des 7. Oktober weiterhin in Fängen der Hamas waren - und im Ausland mehrten sich die Stimmen, die kein Verständnis für das überharte Vorgehen Israels im Konflikt mit zigtausenden Toten - darunter vielen Kindern - aufbrachten. 

Zuletzt standen sogar Voten über einen ESC-Ausschluss Israels vom sowie seiner Nationalmannschaft aus der UEFA im Raum. Mehrere EU-Ländern bekundeten ihre Absicht, in den nächsten Wochen und Monaten einen eigenständigen Palästinenserstaat anzuerkennen. Israelische Spitzenpolitiker polterten zwar bis zuletzt und wollten durch neue Siedler-Projekte vorab Fakten schaffen. Sogar Deutschland stoppte zuletzt die Lieferung bestimmter Waffengattungen an Israel. Der Ruf des Landes in der Welt ist mehr als beschädigt - und so ist der nunmehrige Deal praktisch der letzte gesichtswahrende Ausweg. Auch, wenn die Vertreibungspläne damit vorerst auf Eis sind.

Für alle schmerzhaft - außer für USA?

Auf palästinensischer Seite ist es wohl ebenfalls ein Kriegsende mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Für die Zivilbevölkerung ist es nach der Zerbombung der Infrastruktur durch israelische Verbände nach 2 Jahren ein erstes Aufatmen - doch nach mehreren Binnenvertreibungen sind Hunderttausende obdachlos und wohl weiterhin auf Jahre von ausländischem Wohlwollen abhängig. Für die islamistische Hamas, welche die politische Macht im schmalen Landstrich ausübt, ist die Überstellung vieler ihrer einstigen Kämpfer zwar ein Verhandlungserfolg - aber womöglich ein Pyrrhussieg, da die internationale Gemeinschaft letztlich auf ihre Entmachtung pochen wird.

US-Präsident Trump warf sein politisches Gewicht in die Waagschale, in Israel ist man ihm dankbar. Die Knesset applaudierte ihm minutenlang, er traf sich mit den Geisel-Familien. Er kommuniziert, er habe einen uralten Konflikt gelöst und kokettiert mit dem Aufbau durch jene reichen arabischen Länder, mit denen die USA sich in den letzten Jahren gut stellten. Die "Riviera" in Nahost als zweiter Marshallplan über Stellvertreter: Die "Pax Americana" kommt nach Nahost, die in den USA starke Israel-Lobby ist zufriedengestellt. Durch "Stabilität nach Amerikas Maßstäben" zeigt man Muskeln gegenüber dem Iran & kann sich geopolitisch bald ganz auf China fokussieren. 

Nicht der erste Anlauf für Nahost-Frieden

Was in Scharm-El-Scheich beschlossen wurde, hat die Möglichkeit, historisch zu werden. Doch, wie dauerhaft der angekündigte Frieden im Nahen Osten nun sein wird, steht in den Sternen. Denn schon vor 30 Jahren glaubte man nach dem Oslo-Friedensprozess an eine nachhaltige Lösung. Der damalige israelische Premier Jitzchak Rabin, sein Außenminister Schimon Peres und Palästinenser-Führer Jassir Arafat bekamen 1994 sogar den Friedensnobelpreis dafür. Doch auf beiden Seiten hielten Radikale die Einigung für einen Verrat, Rabin wurde gar von einem radikalzionistischen Attentäter nur ein Jahr später ermordet.

Der Prozess stagnierte bald - und seither war der Nahe Osten wieder ein Pulverfass. Hier Anschläge und Raketen, da Militärinterventionen, dort Pogrome durch radikale Siedler, dazwischen immer wieder Gefangenenaustausche. In Gaza kam die radikale Hamas an die Macht, die Israel ursprünglich als Gegengewicht gegen die ursprünglich für problematischer gehaltene PLO sogar aufpäppelte - und in Israel wurden die Töne ebenfalls immer rauher. Nach der letzten Wahl holte Netanjahu, der wenige Wochen vor Ausbruch des jüngsten Gaza-Konflikts bei der UN von einem Nahen Osten ohne Palästinensergebiete träumte, zwei erbarmungslose Scharfmacher-Parteien in die Regierung.

Migrantenwelle verhindert  oder im Anrollen?

Für Europa ist aber nicht nur die geopolitische Stabilität von Belang - sondern auch die Frage, ob man zum Ziel von Migrationswellen aus dem langjährigen Konfliktgebiet wird. Zum Höhepunkt seiner Militäroperation spielten israelische Abgeordnete mit dem Gedanken, sogar Atomwaffen einzusetzen. Minister wiederum machten keinen Hehl daraus, dass westliche Länder - darunter auch Deutschland - die zu vertreibenden Palästinenser aus Gaza aufnehmen sollen. Gleichzeitig verhinderte man deren Ausreise durch Schließung der Grenzen und vertrieb Abertausende mitunter mehrfach innerhalb des Gebiets, das nicht einmal so groß wie Wien ist.

Wie es künftig aussieht, wird wohl auch an Geschwindigkeit und Ausmaß des Wiederaufbaus liegen. Der unmittelbare Grund, vor Krieg zu fliehen bzw. eine Zivilbevölkerung zu vertreiben, scheint (vorerst) ausgeräumt. Doch spätestens die leidvolle Erfahrungen der amerikanischen Kriege zeigt: Oft nahmen die großen Auswanderungswellen erst nach der vermeintlichen westlichen "Befriedung" so richtig Fahrt auf, auch wegen ungeorndeter Verhältnisse. Gabriel Romanelli, katholischer Pfarrer in Gaza, glaubt an ein großes Abwanderungsbedürfnis aus dem völlig zerstörten Landstreifen. Auch bei diesen wird an den EU-Grenzen wohl keiner nach einem "Hamas-Ausweis" fragen

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