Europa als 'dritter Pol'

Transatlantiker schäumen: Weil Macron sich gegen US-Vasallentum aussprach

Welt
Bild: Remi Jouan, Wikimedia Commons, CC BY 4.0 (zugeschnitten)

Die Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, wonach sich Europa außenpolitisch - und gerade auch beim Taiwan-Thema - weder Washington noch Peking unterordnen sollen, sorgten für Aufsehen. Was für die Einen ein seltener, mutiger Vorstoß in Richtung einer multipolaren Welt war, kam für andere einem Verrat an der Einheit des "Werte-Westens" gleich.

Macron: Europa als "dritter Pol" in der Welt

Innenpolitisch erlebt Macron schwierige Zeiten, seit Wochen protestiert das französische Volk gegen seine umstrittene Pensionsreform und die Politik zugunsten der Eliten - Der Status berichtete. Doch außenpolitisch weht ein anderer Wind, denn insgeheim ist Macron sowieso kein Mann des Volkes, sondern eben einer, der sich an den feinen, globalen Verhandlungstischen wohler fühlt. Und er würde lieber AN ebendiesen sitzen, anstatt sprichwörtlich AUF ihnen serviert zu werden. So versucht er schon seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017, die "Grande Nation" wieder aufs internationale Parkett zu führen. Dabei dämmerte ihm rasch: Dies ist wohl nur in einer multipolaren Welt möglich.

Und so schimmerte im Zuge seines Pekingbesuchs plötzlich jene rebellische außenpolitische Ader durch, welche das offizielle Frankreich bereits in der Vergangenheit übte. Etwa, als sich das Land unter Chiraq gegen den westlichen Einmarsch in den Irak stellte und dafür einen US-Warenboykott ausfasste. Macron erklärte: "Das Schlimmste wäre es zu denken, dass wir Europäer Mitläufer sein" und den USA oder China hinterher zu hecheln: "Unsere Priorität kann es nicht sein, uns der Agenda von anderen in allen Weltregionen anzupassen." Europa riskiere sonst, "zu Vasallen zu werden, während wir der dritte Pol sein können, wenn wir ein paar Jahre Zeit haben, ihn aufzubauen". 

Transatlantiker wollen keine Souveränität

Ein Europa, das seine eigenen geopolitischen Interessen verficht: Für viele Kritiker des weltweiten US-Imperialismus sind diese Worte wie Balsam auf die geplagte Seele. Doch für einschlägige Kreise brauchte es nicht mehr, um vor Wut zu schäumen. Der neokonservative US-Senator Marco Rubio, ein Verfechter des amerikanischen Weltpolizei-Spiels, forderte auf Twitter, das die USA die Europäer etwa in der Ukraine-Frage alleine lassen sollten. Ein starkes Stück: Sind es doch die US-Machtinteressen, welche die Eskalation in Osteuropa erst begünstigten. Die USA wollten die Ukraine bereits vor 15 Jahren in die NATO holen, dies scheiterte damals unter anderem am Widerstand Frankreichs. 

Noch weitaus ausfälliger wurden indes deutsche Transatlantiker: "Macron scheint von allen guten Geister verlassen", kommentierte etwa Norbert Röttgen (CDU), der Macron zudem eine "Annäherung an China" vorwarf. Der SPD-Außenpolitiker Metin Hakverdi erklärte gegenüber Medien, gegenüber China müsse "der Westen, also Europa und die USA, immer versuchen, gemeinsam aufzutreten, nicht gespalten". FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai befand, Macrons Aussagen würden von keiner besonders klugen Strategie künden und bediente ebenfalls transatlantische Treueschwüre: "Wir leben in einer gefährlichen Welt. USA und Europa sollten daher eng zusammenarbeiten." 

Westliche Furcht vor neuen Wirtschaftsdeals

Auch der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) war außer sich: Wer für "Freiheit und Demokratie" eintrete, sei kein Mitläufer. Seiner Ansicht nach würden sich die EU-Staaten unglaubwürdig machen, wenn man "einerseits Souveränität für Europa einfordert und dann jeden Wirtschaftsdeal mit China abschließt, den man kriegen kann". Das trifft den Grund für die Empörung dennoch schon genauer: Im Zuge des Besuches wurden mehrere wichtige Wirtschaftsverträge abgeschlossen, die u.a. auch den Energie- und den Luftfahrtsektor betreffen. War Macrons Vorpreschen tatsächlich nur eine Art "zeremonielles Signal", um die Deals unter Dach und Fach zu bringen? 

Die Transatlantiker jedenfalls klammern sich um jeden Preis an ihr US-Gängelband, halten Washingtons Interessen für deckungsgleich mit den eigenen. Dies geht sogar so weit, dass die allermeisten Transatlantiker die äußerst wahrscheinliche US-Beteiligung am Staatsterror auf die "Nordstream"-Pipelines seit einem halben Jahr hinweglächeln. Und zugleich spucken engere Wirtschaftsbeziehungen mit China bestimmten Interessensgruppen in die Suppe. Verkaufte doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen ihr "Netto-Null-Industrie-Gesetz" unlängst als Chance, der Konkurrenz aus Fernost bei der Entwicklung "grüner" Technologien ein Schnippchen zu schlagen.

Französische Vertreter rudern schon zurück

Die tatsächlichen Motive für Macrons Vorpreschen bleiben weiter unklar - und bekanntlich macht eine Schwalbe auch noch keinen Sommer. Tatsächlich bemühten sich andere Vertreter des offiziellen Frankreichs rasch um ein Zurückrudern. Eine Sprecherin des Élysée-Palasts erklärte: "Die USA sind unsere Verbündeten, wir teilen gemeinsame Werte". China hingegen sei lediglich ein "Partner, Konkurrent und systemischer Rivale, mit dem man eine gemeinsame Agenda schaffen" wolle, um Spannungen zu reduzieren und globale Fragen anzugehen. Die französische Botschaft in den USA bekräftigte nahezu wortgleich: "Die USA sind unsere Verbündeten, mit denen wir unsere Werte teilen." 

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