Die EU im Aufrüstungswahn: Es ist Zeit für eine seriöse Analyse

Die große Bedrohung aus Russland: Sie wird von den EU-Eliten weiter an die Wand gemalt. Weiteres Aufrüsten sei angesagt. Doch nicht nur fehlt es Russland an Motiven, die EU anzugreifen. Auch die Beschaffenheit der Militärstärke spricht nicht für einen Angriff Russlands, analysiert Dr. Alexander Neu und führt Zahlen, Daten und Fakten an.
Gastbeitrag von Dr. Alexander Neu
In EU-Europa tobt ein Aufrüstungswahn. Es stehen Zahlen von 700 Mrd. Euro im Raume, wohlgemerkt unsere Steuergelder. Hintergrund ist zunächst die Forderung des US-Präsidenten Trump, die europäischen NATO-Partner müssten fünf Prozent des BiP in ihr Militär stecken. Hinzu kommt der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der zwischenzeitlich auch im Westen als Stellvertreter-Krieg zwischen dem Westen und Russland als solcher nicht mehr ernsthaft bestritten wird. Mit der Friedensinitiative des US-Präsidenten Trump ist jedoch keine Entspannung in EU-Europa zu beobachten.
Im Gegenteil: Es gilt seit Kurzem die Prämisse: Die USA seien keine zuverlässigen Schutzgaranten mehr, die NATO stehe am Abgrund und Europa müsse nun selbstständig werden. Die anstehenden massiven Ausgaben für die Aufrüstung EU-Europas und der Ukraine seien deshalb alternativlos. Zumal Russland, so die als nahezu „gesichert“ verbreitete Erkenntnis, Europa zeitnah angreifen werde, wie sogenannte Militär- und Sicherheitsexperten, die bislang hinsichtlich des Ukraine-Krieges mit ihren Einschätzungen und Prognosen ebenso gesichert daneben lagen, nun den Diskurs in Deutschland voranzutreiben suchen.
Ob Moskau diese ihm unterstellten Absichten wirklich hat, darüber kann man trefflich streiten, da niemand in die Köpfe der russischen Politikentscheider schauen kann. Und faktenorientiert betrachtet, muss man feststellen: Russland kämpft seit drei Jahren sehr verbissen in der Ost-Ukraine um jeden Meter mit enormen personellen und materiellen Verlusten. Eine erfolgreiche Bodenoffensive schaut anders aus. Nun soll Russland Polen und Deutschland angreifen? Solche Thesen sind nun wirklich steil. Selbst, wenn die russische Armee mit ihren konventionellen Waffenfähigkeiten bis zum Brandenburger Tor vorstieße, wie wollte Moskau die Territorien zwischen Kiew und Berlin kontrollieren angesichts der sicherlich zu erwartenden gesellschaftlichen Widerstände. Dazu hat Moskau nicht die Ressourcen. Und hier sind wir auch beim Kern der Analyse. Über welche finanziellen, personellen und somit auch militärischen Fähigkeiten verfügt die Russische Föderation im Vergleich zu EU-Europa?
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Fähigkeiten
Im Jahre 2024 lagen die Militärausgaben der EU-Mitgliedsstaaten bei 326 Mrd. €, laut der Homepage des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union.
Die Russische Föderation verausgabte im militärischen Bereich laut Statista im Jahre 2024 etwa 110 Mrd. Dollar, was angesichts des nahezu ausgeglichenen Wechselkurses rund 110 Mrd. Euro wären.
Das Verhältnis der Militärausgaben zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und Russland lag somit bei etwa 2,9 (EU) zu 1 (Russland). Selbst kaufkraftbereinigt, würden die russischen Militärausgaben in Höhe von ca. 130 Mrd. € im Jahr 2025 etwa 350 Mrd. € ausmachen – lägen mithin etwas über den Militärausgaben der EU. Daher lohnt es, auch die personellen und materiellen Kräfteverhältnisse zwischen den EU-Ländern und der Russischen Föderation in ein Verhältnis zu setzen:
Da es schwierig ist, Quellen zur aktiven Personalstärke aller EU-Länder zu identifizieren, greife ich auf die Kategorie europäische NATO-Staaten zurück. Das Verfahren ist angesichts der weitgehenden Doppelmitgliedschaft von EU-Staaten und NATO-Staaten vertretbar. So befinden sich laut einer Greenpeace-Studie aus dem Jahre 2024 in den europäischen NATO-Staaten rund zwei Millionen Soldaten und in der Russischen Föderation etwa 1,3 Millionen Soldaten im aktiven Dienst.
Im Bereich der konventionellen Großwaffensysteme, wie Schiffe, Kampfflugzeuge, Kampfpanzer und Artillerie liegen die europäischen NATO-Staaten quantitativ deutlich vor der Russischen Föderation. So nennt die Greenpeace-Studie, gestützt auf die Zahlen des „International Institutes for Strategic Studies“ (IISS) im Jahr 2024, folgende quantitative Kräfteverhältnisse:
• Kampfpanzer: 6.297 (europäische NATO-Staaten) zu 2.000 (Russische Föderation) – Verhältnis von ca. 3,1 zu 1.
• Artillerie: 15.399 (europäische NATO-Staaten) zu 5.399 (Russische Föderation) - Verhältnis von ca. 3 zu 1.
• Kampfhubschrauber: 421 (europäische NATO-Staaten) zu 348 (Russische Föderation) - Verhältnis von ca. 2 zu 1,2.
• Kriegsschiffe (Fregatten, Zerstörer, Kreuzer und Flugzeugträger): 140 (europäische NATO-Staaten) zu 33 (Russische Föderation) - Verhältnis von zu 4,2 zu 1.
• U-Boote: 73 (europäische NATO-Staaten) zu 50 (Russische Föderation) - Verhältnis von ca. 1,5 zu 1.
• Kampfflugzeuge: 2073 (europäische NATO-Staaten) zu 1026 (Russische Föderation) - Verhältnis von ca. 2 zu 1.
• Strategische Bomber: Null (europäische NATO-Staaten) zu 129 (Russische Föderation) - Verhältnis 100 Prozent Überlegenheit der russischen Armee bei diesem Großwaffensystem.
Zwar sagen die Zahlen noch nichts über die tatsächliche Einsatzbereitschaft des Personals, der Waffensysteme sowie deren Leistungsfähigkeit und Feuerkraft aus. Diese Komponenten sich ungleich schwerer zu messen. Dennoch besteht die landläufige Meinung, dass die westlichen High-Tech-Waffensysteme in der Qualität und der Menge den russischen überlegen seien.
Allein vor dem Hintergrund der quantitativen Überlegenheit an Großwaffensystemen und aktiver Soldaten muss die Diskussion um eine massive Ausgabenerhöhung zur Aufrüstung entideologisiert werden. Im Übrigen wäre es sicherer und finanziell wesentlich günstiger, endlich die „Charta von Paris“ umzusetzen und auf diese Weise eine echte Sicherheitsarchitektur für von Europa für Europa zu schaffen.
Zur Person:
Dr. Alexander Neu, ehemaliger Bundestagsgeordneter im Verteidigungsausschuss und stellvertretend im Auswärtigem Ausschuss. Er publiziert in diversen Medien außen-, sicherheits- und geopolitischen Themen. Alexander Neu auf X: @AlexanderSNeu
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