Das Queere provoziert gesellschaftliche Ressentiments

Als schwuler Mann Kritik an queerer Identitätspolitik äußern? Ja, das geht. Es geht um ein Miteinander, das nicht auf ständiger Konfrontation, sondern auf gegenseitigem Respekt und Maß fußt.
Vom Gedenken zur Selbstinszenierung
Mittlerweile gibt es in Deutschland so viele Gedenktage wie Meldestellen gegen Hass und Hetze. Und so erinnert man sich jedes Jahr im Mai nahezu theatralisch daran, unter welch arglistiger Diskriminierung Menschen der LGBTIQ-Bewegung auch im 21. Jahrhundert leiden müssen. Was einst noch als Mahnung gedacht war, Homophobie zu verurteilen, entpuppt sich heute zunehmend als Schaulaufen um den schönsten Regenbogen. Man hisst ihn als Fahne auf dem Reichstag oder vor Polizeidienststellen, nutzt ihn als Bundestagsvizepräsidentin zum Zufächern kühler Luft in Zeiten der schlimmsten Erderhitzung seit dem Urknall – und packt ihn lieber dreimal als einmal als Emoji ins Social-Media-Profil. Tatsächlich bestand über lange Zeit hinweg ein berechtigter Bedarf, darauf aufmerksam zu machen, dass es für Schwule und Lesben nicht immer einfach ist, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen. Doch damals gab es noch keine Queerness, die ihre politische Agenda ins Exzessive trieb – und einer Gesellschaft Toleranz für etwas verordnen wollte, das sich außerhalb natürlicher Gegebenheiten abspielt.
Vom Individualismus zur Beliebigkeit
Während die Liebespräferenz für das eigene Geschlecht heute in weiten Teilen der Bevölkerung als eine selbstverständliche Ausprägung menschlicher Vielfalt akzeptiert wird, erscheint die aus dem Genderismus hervorgegangene Selbstbestimmungspropaganda zunehmend als Ausdruck eines Anspruchsdenkens von desorientierten, sinnsuchenden und beliebigkeitsverliebten Mitbürgern. Diese entdecken oftmals erst im fortgeschrittenen Alter ihre wahre Bestimmung als Blumenkohl, Eichhörnchen oder Schreibtischlampe. Offenbar ging es ihnen in den letzten Jahrzehnten zu gut – sie wurden bis zur Unkenntlichkeit gepampert und in dem Glauben erzogen, sich niemals festlegen zu müssen, wenn dies ihren momentanen Befindlichkeiten widerspricht. Sie fordern grenzenlose Freiheit der Selbstverwirklichung – und konfrontieren die Allgemeinheit mit einer bisweilen obszön, skurril oder abstoßend wirkenden Sittenlosigkeit. Ihr Ziel ist es nicht, sich zu integrieren, sondern bewusst zu provozieren.
Von Communitys zur Abschottung
Sie bewegen sich in Szenen und Communitys, schaffen sich damit Parallelwelten und sondern sich bewusst vom Rest der Gesellschaft ab. Gleichzeitig fordern sie weniger Berührungsängste und Ressentiments – ein Widerspruch, der es nachvollziehbar macht, warum ihre demonstrative Zurschaustellung privater Angelegenheiten auf Ablehnung, Misstrauen und Argwohn trifft. Für mich als schwulen Mann ist es enttäuschend und befremdlich, dass durch diese Vereinnahmung die Errungenschaften vergangener Jahrzehnte untergraben werden. Ich hätte lieber die Nationalflagge auf dem Reichstag als das Regenbogenbanner. Ich habe kein Verständnis dafür, dass manche Menschen auf ihrer endlosen Reise durch den „Ozean der Vielfalt“ nicht irgendwann in einem „Hafen der Kongruenz“ ankommen wollen, sondern ständig neue Formen des Andersseins einfordern – ohne Verbindlichkeit, ohne Eindeutigkeit, ohne Maß.
Von Identität zu Ideologie
Seelenfrieden lässt sich nicht finden, wenn man auf ständige Unrast und Wandel abzielt – wenn das Geschlecht nicht nur jährlich im Pass, sondern bei Bedarf auch stündlich wechselt. Die Erhebung einer Weltanschauung zum religiösen Götzen muss in einer von Werten, Normen und Prinzipien getragenen Gesellschaft zwangsläufig auf Widerspruch stoßen. Denn eine Transidentität – also nicht die seltene, medizinisch fassbare Transsexualität – die allein auf subjektiven Gefühlen beruht, steht im Widerspruch zur Regelhaftigkeit des gesellschaftlichen Miteinanders. Dass man mit einem derartigen Chamäleon-Status Probleme innerhalb einer Gruppe hat, die nicht jedes Mal neu abklären möchte, welche Anrede gerade gewünscht ist, kann niemanden ernsthaft überraschen. Als ich mich vor etwa 20 Jahren zu meiner homosexuellen Veranlagung bekannte, war das kein Event, das die ganze Welt hätte erfahren müssen.
Vom Menschsein zur Haltung
Bei der ersten Begegnung mit einem noch Unbekannten erkundige ich mich zunächst einmal über völlig andere Dinge, als die Frage zu stellen, mit wem er denn die Nacht im Bett verbringt. Immerhin definiere ich mich in erster Linie als Mensch. So habe ich es seit jeher gehandhabt. Und deshalb dränge ich niemandem meine Begierde für Männer auf – sondern suche ganz andere Äquivalente, wenn es darum gehen sollte, inwieweit eine Freundschaft auf einem tragfähigen Fundament steht. Vielleicht habe ich gerade deshalb in meinem Leben noch keine einzige Stigmatisierung, Anfeindung oder Ausgrenzung erfahren. Denn ich bin mir im Klaren darüber, dass ich einer Minderheit angehöre, die sich für ihre Persönlichkeitsmerkmale nicht schämen muss – und weder mehr noch weniger Pflichten und Rechte als die Mehrheit hat. Und ich verstehe mich als einen ebenbürtigen Teil unserer Gemeinschaft, in der auch die Heteros kein Schild um den Hals tragen.