Wasser steht bis zum Hals: Selenski zu Waffenstillstand und Gebietsverzicht bereit
In den vergangenen Wochen ist die russische Armee in der Ostukraine beständig vorgerückt und hat Gebietsgewinne von mehreren Hundert Quadratkilometern und rückt teilweise schneller vor, als im gesamten vergangenen Jahr. Und auch die Vergeltungsschläge nach Angriffen auf das russische Hinterland machen Probleme. Nun legt Selenski eine Option vor, wie der Krieg vorerst beendet werden könnte. Vorübergehender Verzicht auf Gebiete aber dafür eine NATO-Mitgliedschaft.
Es dürfte der Druck an der Front sein, der Ukraine-Machthaber Wolodymyr Selenski zunehmend von seinen Plänen eines Siegfriedens gegen Russland abrücken lässt. Zumal auch mit der Amtseinführung von Donald Trump im Jänner 2025 die Karten neu gemischt werden. Trump hatte bekanntlich angekündigt, den Konflikt möglichst schnell beenden zu wollen. Ersten Gerüchten zufolge, könnte der Trump-Plan dabei das Einfrieren der Front im aktuellen Stand, eine entmilitarisierte Zone und auch ein Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft Kiews für bis zu 20 Jahre sein - Der Status berichtete. Alles Dinge, die Kiew bisher vehement ausgeschlossen hatte.
Plötzlich doch Gebietsverzicht
Nun lenkt Selenski plötzlich in einigen Punkten ein. Wohl auch, weil er von der Biden-Administration vermutlich noch mehr Entgegenkommen erwarten kann, als von Trump. Daher macht jetzt Selenski in einem Interview mit dem Sender Sky News selbst Vorschläge für eine Beendigung des Krieges. "Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, müssen wir das ukrainische Territorium, das wir unter unserer Kontrolle haben, unter den Schirm der NATO bringen", so Selenski gegenüber Sky News-Chefkorrespondent Stuart Ramsay. Das erste Mal, dass Selenski sich öffentlichin einem Interview in Richtung eines Waffenstillstands äußert, der auch die weitere russische Kontrolle über die besetzten Gebiete einschließt. Bisher war immer ein Sieg, auch mit der Rückeroberung der Krim in Kiewer Regierungskreisen als Bedingung ausgegeben worden. Zur weiteren Bedingung macht Selenski zudem, dass den unbesetzten ukrainischen Gebieten die NATO-Mitgliedschaft angeboten werden müsse, allerdings unter der Prämisse, dass diese auch international anerkannten Grenzen der Ukraine - einschließlich der von Russland annektierten Gebiete - beinhalte. "Das müssen wir schnell tun. Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete diplomatisch zurückerlangen", so Selenski.
Ukrainischer Außenminister verlangt NATO-Mitgliedschaft
Zeitgleich bat der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha in einem Brief, die Ukraine bei einem Treffen der NATO-Außenminister kommende Woche in Brüssel, in die NATO einzuladen, wie Reuters berichtet. Die Presseagentur, der das Schreiben vorliegt, zitiert daraus Sybiha: "Die Einladung sollte nicht als Eskalation verstanden werden. Im Gegenteil, mit dem klaren Verständnis, dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO unvermeidlich ist, wird Russland eines seiner Hauptargumente für die Fortsetzung dieses ungerechtfertigten Krieges verlieren." Zudem habe die Ukraine akzeptiert, dass sie der NATO "erst nach Beendigung des Krieges beitreten kann, aber eine Einladung zum jetzigen Zeitpunkt würde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen, dass er eines seiner Hauptziele - die Verhinderung eines NATO-Beitritts Kiews - nicht erreichen kann". Die Pläne der Ukraine, der NATO beitreten zu wollen, war einer der Kriegsgründe Russlands und die Verhinderung desselben ein erklärtes Kriegsziel. Laut Reuters erklärten Diplomaten jedoch, sie sähen keine Änderung der Haltung der NATO-Länder, die bisher keinen Konsens hätten, zumal die USA und Deutschland derzeit gegen einen sofortigen Beitritt seien und es dazu die Einstimmigkeit aller 32 NATO-Staaten bräuchte. Auch wolle man derzeit zunächst die zukünftige Ukraine-Politik der USA unter der neuen Regierung des gewählten Präsidenten Donald Trump abwarten.
Nadelstiche und massive Vergeltung im Winter
Wieso Kiew nun mit Vorschlägen für einen Waffenstillstand herausrückt, könnte neben Vorteilen durch die Noch-Biden-Regierung auch mit der letzten Eskalation des Konflikts zusammenhängen. So hatten die USA von der Ukraine gefordert, die Altersgrenze für den Kriegsdienst von 25 auf 18 Jahre herabzusetzen, da es Kiew nicht an Waffen, sondern an Soldaten mangele. Und auch die Reichweitenfreigabe für Marschflugkörper durch die USA und Großbritannien dürfte sich als zweischeidiges Schwert entpuppt haben. Zwar nutzte die Ukraine sofort die neue Möglichkeit und griff Ziele im tieferen russischen Hinterland an, doch dies waren Nadelstiche im Vergleich zu den folgenden russischen Vergeltungsangriffen, die nicht nur mit einem neuen Raketentyp - der Hyperschall-Mittelstreckenrakete "Oreschnik" - durchgeführt wurden, sondern auch mit herkömmlichen Raketen und Drohnen. Diese zielten auf die ukrainische Energieversorgung und legten diese in weiten Teilen lahm. Für mindestens eine Million Ukrainer gab es dadurch keine Stromversorgung, gerade im kommenden Winter und bei Temperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt eine fatale Entwicklung.
Kriegsmüdigkeit und Angriff auf Regierung
Zudem kündigte Moskau mögliche weitere Vergeltungsschläge bei ukrainischen Angriffen an. "Derzeit wählen das Verteidigungsministerium und der Generalstab Ziele auf ukrainischem Gebiet aus. Dazu könnten militärische Einrichtungen, Rüstungs- und Industrieunternehmen oder Entscheidungszentren in Kiew gehören", so Putin auf einer Pressekonferenz. Direkte Attacken auf die Führung in Kiew hatte es bisher noch nicht gegeben. Ein weiterer Grund für die neuen Töne Selenskis könnte zudem die stark zunehmende Kriegsmüdigkeit der Ukrainer sein. Eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinsitutes Gallup ergab, dass eine Mehrheit der Ukrainer von 52 Prozent der Meinung sind, dass ihr Land so bald wie möglich ein Ende des Krieges aushandeln sollte. Nur noch ein reichliches Drittel (38 Prozent) glaubt, dass man um jeden Preis bis zum Sieg weiterkämpfen sollte. Eine völlige Trendumkehr: Denn 2022 sprachen sich noch 73 Prozent der Bürger des Landes dafür aus, bis zum Sieg zu kämpfen - Der Status berichtete.
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