Luftschloss 'Friedenstruppe': EU ringt verzweifelt um Bedeutung

Die USA und Russland nähern sich auf diplomatischem Wege an. Währenddessen inszeniert sich Europa weiter als machtlose Kriegspartei. Jetzt sollen „Friedenstruppen“ retten, was an Einfluss und Wichtigkeit noch übrig ist.
Gastbeitrag von Dr. Alexander Neu
Versäumnisse in der Frühphase des Krieges
Seit Wochen werden vor allem aus Paris und London Forderungen nach einer „Friedenstruppe“ für die Ukraine laut. Worum geht es? Wie allgemein bekannt, haben die Europäer sowie die EU sich nicht besonders mit Ruhm bekleckert, um die Kampfhandlungen in der Ukraine und damit das unnötige Sterben beiderseits der Front zu beenden. Im Gegenteil: Die bereits weit vorangeschrittenen Verhandlungen im Frühjahr 2022 wurden insbesondere durch das Einwirken des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson von ukrainischer Seite abgebrochen. Die ukrainische Seite sah sich genötigt, die Kampfhandlungen auf Wunsch des Westens fortzusetzen.
Und wie auch die jüngste Veröffentlichung der "New York Times" zeigt, ist der Westen, insbesondere die USA, viel tiefer in diesen Krieg verwickelt, als viele es vermutet haben. Der als Verschwörungstheorie bezeichnete Begriff des Stellvertreterkrieges bekommt mit dem Beitrag der New York Times sogar eine neue Bedeutung: nämlich, dass zumindest die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich durch die Bereitstellung von Aufklärungsdaten und der Programmierung von Waffensystemen – eingesetzt auch gegen russisches Staatsgebiet – bereits eher Kriegsparteien als nur indirekte Akteure eines Stellvertreterkrieges darstellen.
Diplomatisches Vakuum in Europa
Jedenfalls zeigte sich, dass in Fragen einer diplomatischen Lösung des Konflikts EU-Europa sowie Großbritannien einen Totalausfall darstellen. Selbst als der neue US-Präsident Donald Trump eine Kehrtwende weg vom Krieg hin zu Verhandlungen vollzog, zeigen sich bislang die EU-Europäer kämpferisch – wohlgemerkt auf Kosten der Ukrainer. Jedenfalls verhandeln die USA und Russland über eine Beendigung des Krieges, während die Europäer vor der Tür stehen. Denn EU-Europa hat völlig selbstverschuldet kein Konzept zur Beilegung des Krieges, da es bis heute ausschließlich auf eine russische Niederlage setzt - Der Status berichtete.
Und Donald Trump versucht, das zu tun, wozu EU-Europa und Großbritannien nicht in der Lage sind: einen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen nun unter amerikanisch-russischen Bedingungen herbeizuführen. Die EU-Europäer sollen lediglich die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine tragen. Der durch die bilateralen Verhandlungen deutlich gewordenen Bedeutungslosigkeit der EU-Europäer und Großbritannien soll nun etwas entgegengesetzt werden: Wenn schon nicht der Krieg bis zur vermeintlichen russischen Niederlage fortgesetzt werden kann, weil Trump ausschert, will man zumindest eigene Truppen, sogenannte „Friedenstruppen“, entsenden.
Fragile Allianz ohne Rückhalt
Sodann wurde die „Koalition der Willigen“ geschaffen, geführt von London und Paris. Die USA nehmen nicht teil. Am 10. April kam es zum vierten Treffen dieser „Koalition der Willigen“ mit 33 Delegationen im Brüsseler NATO-Hauptquartier. Ganz offensichtlich wird der Wille zur Entsendung von Truppen in die Ukraine durch mehrere Faktoren gebremst. Angefangen damit, dass viele Teilnehmerstaaten (Polen und Italien haben gleich öffentlich abgesagt) ihre Soldaten nicht in die Region entsenden wollen, in denen die Gefahr direkter Kampfhandlungen mit russischen Kräften besteht, bis dahin, dass selbst Paris und London Schwierigkeiten haben dürften, eine beträchtliche Zahl an Truppenstärken zur Verfügung zu stellen.
Diskutiert wird über die genaue Aufgabe der Truppen: Sollen sie die Frontlinie überwachen oder im Hinterland, im Westen der Ukraine, strategische Positionen besetzen? Oder neuerdings sogar nur an der ukrainischen Westgrenze, also außerhalb der Ukraine, stationiert werden? Soll eine Luft- und Seeraumüberwachung stattfinden? Auffällig ist, dass bereits dezent zurückgerudert wird, indem keine Truppen mehr in die Ukraine verlegt werden sollen, sondern eben nur an die Westgrenze, auf See sowie in den Luftraum – innerhalb oder außerhalb des ukrainischen Luftraums ist noch unklar. Die russische Seite hat recht eindeutig ihre Position zu dem Vorhaben der „Koalition der Willigen“ artikuliert: Russland akzeptiere keine westlichen Truppen in der Ukraine, egal unter welcher Flagge. Sie würden als legitime militärische Ziele betrachtet werden.
Realpolitik und symbolische Gesten
Der französische Präsident Emmanuel Macron reagierte darauf, es sei nicht Russland, das entscheide, was auf ukrainischem Gebiet geschehe. Realpolitisch betrachtet wohl doch: Denn die Ambitionen der „Koalition der Willigen“ werden derzeit offensichtlich runtergeschraubt. Ein weiterer ernüchternder Faktor ist die Unsicherheit, ob die USA in irgendeiner Weise hinter den europäischen „Friedenstruppen“ stehen, diese also absichern werden. Bislang schaut es nicht danach aus. Ob die „Koalition der Willigen“ letztendlich als Tiger gestartet und als Bettvorleger landen wird, ist noch offen.
Jedenfalls wäre es wünschenswert, da die Entsendung westlicher Truppen in die Nähe russischer Grenzen ja genau der zentrale Kriegsgrund (NATO-Osterweiterung und Verlegung westlicher militärischer Infrastruktur nach Osten) für Moskau ist. Es wäre merkwürdig, wenn Russland jahrelang Krieg gegen die Ausdehnung westlicher Einflusssphären bis an seine Grenzen führt, um anschließend ohne Nöte genau das zu akzeptieren. Es liegt sodann auch an der US-Administration, ob die EU und Großbritannien den alten Kontinent möglicherweise in eine Katastrophe führen. Ohne die Rückversicherung aus den USA dürften sich die weitreichenden Träume einer europäischen „Friedenstruppe“ bis auf ein paar symbolische Handlungen in Luft auflösen.
Zur Person:
Dr. Alexander Neu, ehemaliger Bundestagsgeordneter im Verteidigungsausschuss und stellvertretend im Auswärtigem Ausschuss. Er publiziert in diversen Medien zu außen-, sicherheits- und geopolitischen Themen. Alexander Neu auf X: @AlexanderSNeu
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