Zahlen lügen nicht

Impfpflicht & soziale Kälte: Deshalb stürzten Systemparteien bei NÖ-Wahl ab

Politik
Hintergrund: Freepik; Schnabl: SPÖ-Parlamentsklub / Elisabeth Mandl, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0; Mikl-Leitner: Karl Gruber, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Für die Systemparteien ist nach der Wahl zugleich vor dem Wunden lecken. Nicht nur die ÖVP fuhr in ihrem Kernland Niederösterreich einen Rekordverlust ein, auch die SPÖ wurde mit ihrem historisch schlechtesten Ergebnis zwischen Enns und March abgestraft. Großer Wahlgewinner waren die Freiheitlichen, welche die großen Fragen ausreichend früh erkannten und dem Volk vermitteln konnten, auf seiner Seite zu stehen. Für ÖVP-Landeschefin Mikl-Leitner wurde die Wahl indes auch deshalb zum regelrechten Waterloo, weil sie als "Mutter der Impfpflicht" gilt - das verziehen ihr viele Wähler nicht.

Nicht nur Asyl, sondern auch Soziales...

Direkt nach der Wahl war die häufigste Deutung, die Beinahe-Verdoppelung der FPÖ habe mit dem erneut akuten Migrationsthema zu tun. Die Roten warfen den Schwarzen sogar vor, dieses künstlich "hochgespielt" zu haben und so zum Wahlkampfhelfer der Blauen geworden zu sein. Nur einen Tag später zeigte die Veröffentlichung der Asyl-Zahlen für das vergangene Jahr, wie schlimme die Lage ist: Fast 109.000 Asylanträge bedeuten nicht nur eine annähernde Verdreifachung zum Vorjahr und eine Verachtfachung zu den beiden Jahren als FPÖ-Chef Kickl Herbert Innenminister war (2018-19), sondern auch einen Anstieg von fast 25 Prozent zum bisherigen Rekord-Jahr 2015 - Der Status berichtete.

Tatsächlich war dies bei den Niederösterreichern ein häufig diskutiertes Thema - allerdings nicht so häufig wie etwa die massiven Teuerungen. Immerhin leiden die Österreicher unter der schlimmsten Inflationswelle seit 70 Jahren, das Festhalten einer schwarz-grün-rot-pinken Einheitsfront an den Selbstmord-Sanktionen gegen Russland gilt als einer der massivsten Treiber dieser Entwicklung. Dass die FPÖ als einzige Parlamentspartei diese aufheben will, dürfte ihr Rückenwind gegeben haben. Dennoch überrascht es, dass die SPÖ als ehemalige Arbeiterpartei gar keinen Profit aus der Situation schlagen konnte - ein Umstand, der sogar dem SPÖ-nahen Politikberater Rudi Fußi auffiel. 

Der Hackler wählt heute die FPÖ

Die Hackler haben die Sozialdemokraten satt und strömen in Scharen zu den Freiheitlichen: Bei Personen mit knapper Einkommenssituation erreichte die FPÖ starke 45 Prozent und kratzt damit an der "Absoluten". Mit 23 bzw. 21 Prozent folgen SPÖ & ÖVP hier bestenfalls in der Kategorie "ferner liefen". Bei den Erwerbstätigen ohne Matura kam die FPÖ auf 40 Prozent (ÖVP 27%, SPÖ 23%), bei Personen mit abgeschlossener Lehre liefern sich ÖVP (33%) und FPÖ (32%) ein Kopf-an-Kopf-Rennen, ähnliches gilt für überhaupt alle Menschen bis zum Alter von 59 Jahren. Sprich: Nur die Über-60-Jährigen, die Mehrheit davon Pensionisten, sicherten der ÖVP überhaupt den ersten Platz. 

Die SPÖ schnitt durch die Bank in fast allen demographischen Kategorien in der Schwankungsbreite ihres schwachen Ergebnisses ab. Einer sozialen Krise versuchten die Roten taktisch besonders schlecht beizukommen: Man verfasste zwar ein umfangreiches Sozialprogramm, brachte es aber beim Wähler nicht unter, sodass eine Analyse der Tauglichkeit ihrer Ansätze müßig wäre. Eine weitere soziale Krise - ausgerechnet einkommensschwache Familien spüren die Folgen der Masseneinwanderung zuerst - negierte sie faktisch komplett. Blau- und Rot-Wähler sprachen am Öftesten über die Teuerung - aber bei den "Sozen" blieb in der Außenwirkung nur das peinliche "Rote Hanni"-Sujet übrig...

Impfpflicht bricht ÖVP das Genick

Dass die Freiheitlichen nach Jahrzehnten der politischen Etablierung vom Volk als systemkritische Kraft wahrgenommen werden, hat zu einem bedeutenden Anteil auch mit der kritischen Position in der Corona-Zeit zu tun. Als einzige Partei im Nationalrat stimmte die FPÖ gegen den staatlichen Stichzwang und ging sogar mit dem Volk gemeinsam auf die Straße, um gegen die Corona-Schikanen zu demonstrieren. Demgegenüber stand in Niederösterreich nun mit Mikl-Leitner die "Mutter die Impfpflicht", die diese im November 2019 bei den anderen Landeshauptleuten überhaupt erst anstieß. Für Neuanstellungen im Landesdienst war der Stichzwang sogar fast ein Jahr lang aktiv. 

Nun stellte sich eine bemerkenswerte Korrelation heraus: Je kritischer die Bürger einer Gemeinde das Impf-Experiment sahen, desto stärker die Verluste für die Volkspartei und die Zugewinne für die Freiheitlichen. Der einzige nennenswerte Ausreißer in die umgekehrte Richtung ist eine Kleinstgemeinde mit 104 Einwohnern. Das Volk weiß also sehr wohl, wer auf seiner Seite stand und wer die Spaltung und Hetze gegen Vermeider der experimentellen Injektionen sogar noch beförderte. ÖVP-Klubobmann Schneeberger erkannte die Korrelation zwar auch, doch erklärt die Ungeimpften im Radio schon wieder zum Sündenbock: "Diese Impfgegnerschaft hat dieses Land [...] gespalten".

Wie massiv die Korrelation war, stellte ein Politologe der Uni Wien heraus: 

MFG konnte nicht reüssieren

Diese Ausgangslage hätte eigentlich auch für die MFG als zweite impfkritische Partei eine "g'mahte Wies'n" sein können, um den fulminanten Wahlerfolg aus Oberösterreich mit dem Einzug in den Landtag aus dem Stand zu wiederholen. Doch während man im Nachbar-Bundesland mit aktivem Wahlkampf bei den Bürgern punktete, fiel man im Vorfeld der Niederösterreich-Wahl vor allem mit internen Streitigkeiten auf allen Ebenen auf. Letztlich stand man nur in wenigen Bezirken überhaupt auf dem Stimmzettel, in den Wochen vor dem Urnengang war die junge Partei faktisch nicht präsent. 

Als dann auch noch dort, wo man antrat, das Wahlergebnis hinter den Erwartungen zurückblieb, gefiel sich die MFG-Bundespartei - aus welchem Grund auch immer - in der Beschimpfung der Wähler. Demnach wäre "80 Prozent der Leute" ein billiges Schnitzel am Teller wichtiger als eine Veränderung im System. Immerhin besaßen die Verantwortlichen ausreichend Gespür, diesen in Zeiten der Rekord-Teuerung gelinde gesagt "patscherten" Satz noch im Laufe des Abends wieder zu entfernen. Die Enttäuschung darüber, dass die Niederösterreich-Wahl zu früh für eine Trendumkehr der aktuell strauchelnden Partei kam, dürfte allerdings riesig sein.

Screenshot: Facebook

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten