Schiefe Optik in der Türkei

Geschäft mit der Not: Roter Halbmond verkauft Erdbebenopfern Zelte

Politik
Bild: Symbolbild, FCDO/UK Med, CC BY 2.0, Flickr

Der türkische Rote Halbmond, das Pendant zum Roten Kreuz, steht schwer in der Kritik. Denn die Hilfe für die Erdbebenopfer ist offenbar nicht selbstlos. Zelte werden den Betroffenen als Notunterkünfte nicht einfach zur Verfügung gestellt, sondern sie müssen sie kaufen.

Die Kritik am türkischen Roten Halbmond, den die Zeitung  "Cumhuriyet" öffentlich machte, wiegt schwer. So soll die Hilfsorganisation - das islamische Gegenstück zum Roten Kreuz - im Erdbebengebiet Zelte aus seinem Bestand nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt, sondern verkauft haben. Murat Ağırel, Journalist bei Cumhuriyet, wirft dem Roten Halbmond vor, dass dieser kurz nach dem Erdbeben am 6. Februar Zelte an den AHBAP-Verband (Anatolische Volks- und Friedensplattform) verkaufte, statt sie im Zuge der Katastrophenhilfe kostenlos zur Verfügung zu stellen und das, während die Bürger in der Kälte froren und auch Zelte bzw. Unterkünfte warteten.

Aufruhr in der Türkei

In der Türkei sorgt das Gebaren der angeblichen Hilfsorganisation für Unverständnis und Aufsehen. Zumal die Meldung auch von der AHBAP bestätigt wurde. Sie gab bekannt, dass sie für 46 Millionen Lira 2.050 Zelte vom Roten Halbmond ("Türk Kızılay") gekauft und in das Erdbebengebiet geliefert hat. Auch der Präsident des Roten Halbmonds Kerem Kınık bestätigte die Verkaufstransaktion, sieht darin aber keinerlei Probleme. Die Situation sei moralisch, rational und auch legal. Vielmehr argumentiert er, dass die Kritik ungerechtfertigt sei und keine schlechten Absichten dahinter stehen würden. Denn die Textilfirma Kızılay Tekstil AŞ hat die von der AHBAP erhaltenen Gelder für für den Kauf von Rohstoffen verwendet und geplant, die damit produzierten Zelte für die Erdbebenopfer kostenlos zu produzieren.

Kritik an Kommerzialisierung der Hilfe

Dennoch ist das Unverständnis groß. Vorwürfe werden laut, dass die AKP den Roten Halbmond wie eine Holdinggesellschaft verwalten würde, statt wie eine Organisation im Sinne des Sozialstaats. Cumhuriyet zitiert auch Prof. Dr. Aziz Konukman, der den Verkauf von Zelten durch den Roten Halbmond an Hilfsorganisationen wie folgt kommentiert: "Das Parlament sollte in dieser Angelegenheit tätig werden. Der öffentliche Dienst ist kommerzialisiert worden. Die öffentliche Einrichtung ist zu einem Unternehmen geworden, der Bürger zu einem Kunden und der Manager zu einem CEO."

Auch Teile der Opposition fordern den Rücktritt des Roten Halbmond-Chefs Kınık. "Schämen Sie sich", schrieb etwa die Vorsitzende der Iyi-Partei Meral Aksener auf Twitter. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf hingegen jenen, die den Roten Halbmond kritisieren vor, "unehrlich und abscheulich" zu handeln.

Umstrukturierung des Roten Halbmonds

Die Kritik der Bürger kommt allerdings nicht von ungefähr. Der Roten Halbmonds war 2019 in 6 verschiedene Unternehmen aufgeteilt worden. Eines der Unternehmen war Kızılay Tent and Textile. Auch die Zeltfabrik von Kızılay in Ankara wurde mitsamt ihren Mitarbeitern in dieses Unternehmen überführt. Für die Unternehmen wurden Geschäftsführer, Manager und Vorstände ernannt. Somit wurde die Kızılay Tent and Textile Company zum Verkauf freigegeben. Dagegen richtet sich nun auch die Kritik. Denn Organisationen, die eigentlich öffentliche Dienstleistungen erbringen sollten, arbeiten inzwischen wie private Unternehmen.

Wie Der Status bereits berichtete, steht der türkische "Rote Halbmond" im Verdacht, im direkten Erdogan-Umfeld zu arbeiten.  Chef Kınık, der 2019 für Aufregung sorgte, weil er schamlos politische Propaganda für den einstigen türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım machte, der als treuer Erdogan-Gefolgsmann gilt. Dessen Bruder İlhami Yıldırım fungiert als Chef des wichtigen Istanbuler Zweigs der Hilfsorganisation und ist zudem Kurator des "Roten Halbmondes". Nachdem auch noch eine Beraterin des Justizministeriums im Kuratorium sitzt, steht die Mehrheit der Organisation somit im mittelbaren Einflussbereichs von Erdogan.

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