Gegen den Strom schwimmen

Westliche Deutung des Ukraine-Kriegs: BSW legt Finger in die Wunde

Während westliche Medien empört "Putin-Propaganda" rufen, wagt das BSW den Tabubruch: Verständnis statt Verurteilung, Verhandlungen statt Waffen. Zwischen Empörung, Diplomatie und Realpolitik bleibt die Frage: Wer darf den Krieg deuten?

Billige Russland-Propaganda oder ein Fünkchen Wahrheit? 

Anlässlich des Geburtstags von Präsident Putin hatte die russische Botschaft zu einer Veranstaltung in Berlin geladen, an der unter anderem auch "rechte" Medienvertreter von "Compact" und Mitglieder der sachsen-anhaltinischen AfD teilnahmen. In zeitlicher Nähe dazu begrüßte das BSW nicht allzu viele Kilometer weiter bei einer Ausstellung in Potsdam den Moskauer Abgesandten Sergej Netschajew im dortigen Landtag. Beides galt als Affront, sagte der Diplomat in Richtung der Fernsehkameras, dass er sich für die Deutschen wünsche, bei der Betrachtung des Angriffs auf die Ukraine auch die Position des Kremls zu berücksichtigen. Er forderte explizit eine Betrachtung der Geschichte des Konflikts ein, welcher eben nicht erst 2022 mit dem Überfall auf das Nachbarland begann, sondern sich bereits seit der Maidan-Revolution und dem Bekenntnis Kiews zur EU und NATO als geopolitisches Machtspiel zwischen Ost und West aufschaukelte.

Der Werdegang des Konflikts wird ausgespart

Denn zur Vollständigkeit gehört auch: Außenminister Genscher sicherte bereits vor 35 Jahren zu, dass sich das transatlantische Bündnis ausdrücklich nicht weiter ausdehnen wolle. Und der damalige Amtskollege der USA stimmte diesbezüglich ausdrücklich zu. Doch in der Folge kam es anders. Die Erweiterung umfasste nicht nur die baltischen Staaten, sondern auch den Südosten des Kontinents. Kann man diese Tatsache bei der Beurteilung des Gesamtkomplexes aussparen? Die Partei der einstigen Linken-Ikone scheint diesbezüglich der legitimen und berechtigten Auffassung zu sein, dass nur ein Verständnis von Zusammenhängen, Ursachen und Motivationen dazu beitragen kann, auf verhandelndem Wege irgendwann zur Aussöhnung zu gelangen. Und so fanden alle Reder bei genannter Gelegenheit mahnende und nachdenklich machende Worte, während das ZDF von Propaganda sprach, die auf der Veranstaltung unumwunden verbreitet worden sei.

Ist lediglich die Sichtweise des Westens eine zulässige Perspektive auf den Krieg?

Der Fraktionsvorsitzende appellierte hingegen an „alle Seiten, aus der Eskalations- und Aufrüstungsspirale auszusteigen, die Waffen schweigen zu lassen und die Interessen des jeweils anderen zu respektieren“, so Niels-Olaf Lüders, welcher sich nicht der Moralkeule Kiesewetters oder Strack-Zimmermanns beugen wollte. Denn sind solche Verse in einer Zeit verpönt, die von Spannungsfall, Kriegstüchtigkeit und Verteidigungswille geprägt scheinen? Wo ist das Ideal des Pazifismus geblieben, wer setzt sich in der politischen Landschaft tatsächlich noch für Frieden ein? Kontext widerspricht voreiliger und reflexartiger Einseitigkeit, mit der man nahezu keiner militärischen Auseinandersetzung mit ihrer oftmals historisch begründeten Komplexität entsprechen kann. Es geht nicht um ein Relativieren oder Rechtfertigen, sondern schlichtweg um die Frage, wie man aus einer festgefahrenen Situation herauskommt.

Das BSW verschafft sich mit ihrem Friedensappell ein deutliches Alleinstellungsmerkmal…

Und da dürfte Pragmatismus kaum schaden. Schließlich wird man sich noch so lange und einfach auf die Position zurückziehen, alle Brutalität und Grausamkeit könne mit einem schlichten Fingerschnippen beendet werden. Wer sich nicht vor Augen führt, dass die Bedürfnisse einer mehrheitlich russophil orientierten Bevölkerung im Donbass durch den Sturz von Wiktor Janukowytsch als Repräsentant der Regionen 2014 massiv beschnitten wurden, gelangt keinesfalls zu einer nötigen wie kompletten Perspektive über die Wurzeln der momentanen Geschehnisse. Was soll also falsch daran sein, zu behaupten, dass "der Ukraine-Krieg […] nicht aus Hunger nach territorialen Eroberungen begonnen [wurde], sondern um westliches Militär und Raketen in der Ukraine zu verhindern", wie es Sahra Wagenknecht selbst formuliert? Schwingt da nicht ein Fünkchen Wahrheit mit, das Berlin, Washington Paris oder London nur schwer eingestehen dürften?

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