Razzia bei Bolz: 'Starker Staat' rückt gegen Sprache, Ironie & Kritik aus
Razzia (Symbolbild): Huhu Uet, Wikimedia Commons, CC BY 3.0; Screenshot: X; Komposition: Der Status.
Weil er dem "woken" Gesinnungskult in all seiner totalitären Pracht in einem ironischen Tweet eine gedankliche Nähe zu Vertretern eines "dunklen Zeitalters" attestierte, stellten Polizisten am Donnerstagmorgen die Wohnung des bürgerlich-konservativen Publizisten und Medienwissenschaftlers (72) auf den Kopf. Der Grund: Er habe sich somit ein Zeichen einer verfassungsfeindlichen Organisation zueeigen gemacht, nämlich die Worte "Deutschland erwache". Es stellt sich die Frage, ob man einen Staat, der Allerweltssätze unter Strafe stellt und ironische Kritik mit Razzien quittiert, noch als vollständige Demokratie bezeichnen kann.
Razzia wegen "Deutschland erwache"
"Deutschland erwache": Unter diesem Titel publizierte Kurt Tucholsky im Jahr 1930 ein beklemmendes Gedicht in der "Arbeiter Illustrierte Zeitung". Er bezog sich darin auf das in Form der NS-Herrschaft bald darauf aufziehende Dunkel und erhoffte sich vergebens, dass Deutschland bereits "wach" sei. Es war ein ironisierend-mahnender Aufgriff der zentralen Losung aus dem SA-"Sturmlied" von 1923, die dort nicht zum ersten Mal auftaucht, sondern in ähnlicher Form in einem Lied Theodor Körners von 1813 ("Auf, deutsches Volk, erwache!"). Aber weil die Parole in der NS-Zeit auf Bannern stand, ist sie in Deutschland nach §86a StGB verboten, laut Judikatur sogar in isoliertem Gebrauch.
Im Jahr 2025 fällt dieser Umstand nun Norbert Bolz auf den Kopf. Ausgerechnet ihm, dessen rhetorische Waffe nicht der Vorschlaghammer, sondern das Florett ist. Er bezog sich auf einen "taz"-Artikel, der in der ursprünglichen Überschrift rund um die AfD-Verbotsdebatte davon Sprach, dass "Deutschland erwacht". Bolz sinnierte dazu ironisierend, dass ja "Deutschland erwache" eine treffende Übersetzung für den ideologischen Eifer der "woken" Bewegung ist. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft hätte er sich damit eine NS-Parole zu eigen gemacht und verschaffte ihm einen morgendlichen Hausbesuch. Deutschland, du selig Land der Bademäntel...
Gute Übersetzung von „woke“: Deutschland erwache! pic.twitter.com/yFD0CppuGW
— Oliver Gorus (@olivergorus) October 23, 2025
Sogar Linke über Razzia verwundert
Der Vorwurf ist dermaßen irr, dass die Kritik an der Razzia sogar von unverhoffter Seite kommt - nämlich vom damals zitierten Medium: "Die 'taz' wundert sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten 'Deutschland, erwache!'". Und sogar vonseiten Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang: "So ziemlich alles, was ich von Norbert Bolz je gelesen habe, fand ich politisch komplett falsch. Aber solche Razzien sind absurd."
Der Kaiser ist also dermaßen splitterfasernackt, dass er selbst Verfechter der Freikörperkultur für freizügig gekleidet halten. Die Justiz wird im "freiesten Deutschland aller Zeiten" als Waffe gegen kritische Stimmen missbraucht. Mal ist's die bedingte Haftstrafe für satirische Memes, ein andermal die Razzia für Bezeichnung eines Ministers als "Schwachkopf". Oder man versucht wieder einmal, aus heiterem Himmel ein alternatives Medium über das Vereinsrecht zu verbieten. Und: Egal, wie glimpflich für die Beteiligten ausgeht, ist der Zweck solcher Maßnahmen die Einschüchterung sowie die Bindung von Energie und Ressourcen, um sich zu wehren.
Der Mann verkennt komplett den einzigen Grund für eine Hausdurchsuchung: Es geht um die Sicherstellung von Beweisen nicht um Einschüchterung! Jetzt hat ein Politiker die Einschüchterung unumwunden zugegeben. Danke Herr Reul. pic.twitter.com/1MYJebb0r4
— pheidros (@pheidros) October 23, 2025
Allerweltssätze als "Nazi-Parolen"?
Doch der "Fall Bolz" zeigt noch eine andere Problematik auf, die bereits in den Urteilen gegen Björn Höcke deutlich wurde. Der Thüringer AfD-Chef wurde wegen des Allerwelts-Satzes "Alles für Deutschland" zu saftigen Geldstrafen verurteilt - übrigens von einem Gericht, auf dessen denkmalgeschützter Fassade der Buchenwald-Spruch "Jedem das Seine" steht. Setzt man die Logik an, ist irgendwann sogar dieser Satz verboten: "Du bist mein ganzes Leben, und ohne dich bin ich verloren." Das ist nämlich ein wörtliches Gobbels-Zitat. Es entstammt einem Liebesbrief an seine Studentenliebe Anka Stalherm aus dem Jahr 1920.
Klingt absurd? Nicht absurder als die Kriminalisierung tatsächlich zu Propagandazwecken eingesetzter Allerweltssätze bar jeden Kontexts der Äußerung. Freilich nur, wenn das System dem zu Verfolgenden eine "böse" Gesinnung unterstellt. Denn als Bossetti ihren "Blinddarm"-Sager brachte, klingelte kein Sondereinsatzkommando. Oder als Böhmermann während Corona Kinder mit "Ratten" verglich. Und wenn's ganz absurd werden soll, dann verurteilt man mal eben AfD-Politiker, wenn sie unvorteilhafte Standbilder von Altparteien-Politikern teilen, die erst dann von Winkegesten zu "Hitlergrüßen" werden, wenn ein Rechter sie satirisch zitiert.
Demokratie in Deutschland? War mal!
In Deutschland ist einiges kaputt, und der Einsatz von Behörden als politische Waffe ist das deutlichste Zeichen, dass man den Pfad der Demokratie verlassen hat und längst in Richtung Autokratie schreitet. Da werden aussichtsreiche Kandidaten der Opposition aus fadenscheinigen Gründen von Wahlen ausgeschlossen. Da setzt der Inlandsgeheimdienst im Kampf gegen die laut Umfragen inzwischen stärkste Partei auf Antifa-Argumente oder kriminalisiert jeden Anflug eines Volksbegriffs durch Abstammung. Da gibt es Razzien bei unbotmäßigen Amtsrichtern, weil ihr mutiges Urteil im Sinne des Kinderschutzes den Mächtigen nicht in den Kram passt.
Da lachen Staatsanwälte in die Kamera, wenn es um die Verfolgung von Meinungsäußerungen geht. Also jene, die man laut Verfassungsschutz auch "unter der Strafbarkeitsgrenze" verfolgen will. Nach der leidvollen Erfahrung mit zwei deutschen Diktaturen wird Gesinnungshatz wieder salonfähig. Deutschland sollte wachsam sein, um nicht imdritten Totalitarismus zu landen. Spätestens seit der DDR weiß man auch: Das Wörtchen "demokratisch" macht's nicht weniger autoritär. Aber um wieder bei Tucholsky zu landen: "In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher, als derjenige, der den Schmutz macht." Zumindest da hat sich wenig geändert.
Ich habe gegen die Göttinger Staatsanwälte Svenja Meininghaus, Dr. Matthäus Fink und Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue der Niedersächsischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet Dienstaufsichtsbeschwerden erstattet.
— Markus Haintz (@Haintz_MediaLaw) February 18, 2025
Die drei politisch abhängigen… pic.twitter.com/HLud6PuIAs
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