'JJ' & das Empörium: Wer Israel kritisiert, ist noch lange kein 'Antisemit'
Der kollektive Freudentaumel über den heimischen ESC-Sieg währte nur wenige Tage. Denn Johannes "JJ" Pietsch erlaubte es sich, das überschießende Vorgehen Israels im Gaza-Streifen zu kritisieren und die Teilnahme des asiatischen Landes am europäischen Gesangswettbewerb zu hinterfragen. Nun überbieten sich Personen aus allen Himmelsrichtungen damit, seine Kritik mit der "Antisemitismus"-Keule niederzudreschen. Dabei sollte doch Meinungsfreiheit stets die Freiheit der Anderen sein...?
Vom Helden zum Aussätzigen - in 5 Tagen
Eigentlich wusste ich seit Tagen ja nicht recht, was ich nun zum ESC-Triumph des Countertenors sagen sollte. Eine künstlerisch wertvolle Darbietung stand dem Umstand entgegen, dass der Song absolut nicht meinem Musikgeschmack entspricht. Hier die patriotische Freude über den Sieg bei einem Bewerb, der andererseits ein fragwürdiges Brennglas des Zeitgeists ist. Und dort das Augenrollen darüber, dass sich das Establishment darin gefiel, ihn zum Botschafter für "queere" Lebensentwürfe, aufgrund seiner asiatischen Mutter für Multikulti - und natürlich gegen den "Hass", den sie hinter jeder abweichenden Meinung wittern - emporzuheben.
Nur wenige Tage später kassiert er selbst eine Welle des Hasses, weil er es in einem Interview "enttäuschend" fand, dass Israel weiterhin am ESC teilnehmen darf, obwohl es im Nahost-Konflikt als Aggressor auftritt, während man Russland ausschloss. Er wünsche sich einen ESC in Wien - ohne Israel. Mehr brauchte es nicht: Plötzlich stempelte man ihn überall zum Antisemiten der Nation. Später entschuldigte "JJ" sich für das Missverständnis und fügte hinzu: "Obwohl ich die israelische Regierung kritisiere, verurteile ich jegliche Form von Gewalt gegen Zivilisten überall auf der Welt - sei es gegen Israelis oder Palästinenser."
Einiges Schwingen der Antisemitismus-Keule
Bis dahin reichte das Portfolio von Landeshauptfrauen, die ihm statt einer Bühne "eine Geschichtslektion" erteilen wollten bis hin zu Medienanwälten, die eine nachträgliche Disqualifikation forderten. Plötzlich schwingen sich auch Vertreter patriotischer Parteien dazu auf, per Fingerzeig überall "Antisemiten" zu orten und machen sich für das Recht eines außereuropäischen Landes, bei einem europäischen Gesangswettbewerb mitzumachen, stark. Auf allen Ebenen: Vom Landeschef bis hin zum Veteranen im EU-Parlament, der vor anderthalb Jahrzehnten noch selbst "das Schweigen der westlichen Staatengemeinschaft zur israelischen Aggression im Gaza-Streifen" anprangerte.
In seltener Einhelligkeit verbündeten sich Mainstream-Journalisten und politische Parteien mit der "Ein bisschen Frieden"-Fraktion und Personen, die sonst für Meinungsfreiheit und gegen Cancel Culture eintreten, um "JJ" als "Antisemiten" zu brandmarken und ihn öffentlich zu teeren und zu federn. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand im Wettbewerb um die härteste "Antisemitismus-Keule" nicht statt. Gewiss: Als offen homosexueller Mann würde "JJ" vermutlich in manchem islamischen Land eher öffentlich verfolgt, als in einem Opernhaus auftreten zu dürfen. Ein valides Argument gegen seinen Einwurf ist dies hingegen auch nicht.
Israel hat Augenmaß fürwahr verloren
Denn er hat nicht Unrecht, wenn er Israel auch als Aggressor begreift. Bis zu 450 Bomben pro Tag, abertausende tote Kinder, monatelanges Aushungern und kilometerweite Schutthalden sind Indiz dafür, dass die "einzige Demokratie im Nahen Osten" das Augenmaß verloren hat. Längst plant man offen die Vertreibung der Palästinenser - auch Europa soll sie aufnehmen. An der Grenze wird sie übrigens niemand nach dem "Hamas-Mitgliedsausweis" fragen. Israel bekleckert sich in Gaza nicht mit Ruhm - diese Feststellung ist kein "Antisemitismus", solange man dies nicht etwa in kruder Absicht als "jüdischen Wesenszug" einordnet, sondern eben einfach für Frieden & gegen Zivilisten-Leid ist.
Erst recht nicht, wenn man wie "JJ" dort Dinge kritisiert, die man im gleichen Atemzug bei anderen Ländern anprangert. Er thematisierte ausdrücklich eine Ungleichbehandlung. Alles andere ist auch Heuchlerei: Wer jedes Mal auf die Tränendrüse drückt, wenn russische Drohnen zivile Gebäude in der Ukraine treffen, sollte nicht wegsehen, wenn der israelische Bombenhagel auch vor Schulen, Krankenhäusern und Kirchen nicht Halt macht. Nein, angebliche Terroristen, die "Freitag" heißen sollen, sind keine Belege für Waffenlager im Ärztezimmer. Und die ferngesteuerte Explosion von Pagern ist kein moralischer Konter auf den 7. Oktober, sondern trotzdem widerlicher Staatsterror.
Einheitsmeinung für alle Konflikte?
Inzwischen scheint es zu jedem Konflikt dieser Welt nur noch eine zulässige Meinung zu geben, alles andere wird niedergebrüllt. Was in Osteuropa der "Putinversteher" und der "Friedensschwurbler" ist, ist im Nahen Osten der "Antisemit". Mit der "historischen Verantwortung" und "wegen der Hamas" lässt sich sowieso alles rechtfertigen: Auch die Verschärfung von Gesetzen gegen Migrationskritiker oder eine immer absurdere "Antisemitismus"-Definition, die nun auch Elitenkritik an mächtigen Nichtjuden wie Klaus Schwab, Bill Gates oder Ursula von der Leyen beinhaltet. Der Autor dieser Zeilen musste diesen Unfug in einem steuerfinanzierten Bericht vorwerfen lassen.
Zurück zum Nahen Osten: Letztendlich haben beide Seiten im seit Jahrzehnten erbittert geführten Konflikt einiges auf dem Kerbholz. Es ist eine Geschichte von falschen Einschätzungen, Leid, Grausamkeiten, der Ausnützung menschlicher Ängste und dem beiderseitigen Versuch, die Weltöffentlichkeit auf seine Seite zu zerren. Beide sind unversöhnlich, haben aber beide ein Recht auf Heimat. Wenn gerade junge Menschen daher Israel nicht als unantastbar sehen, sind sie wegen ihrer Kritik an humanitären Sauereien (oder gar wegen Plüschtieren) noch keine boshafte "Antisemiten". Wer das behauptet, will einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und will betrügen - vor allem sich selbst.
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