Warum die Frankreich-Proteste nicht überschwappen

Analyse: "Die Deutschen sind ein durch und durch unrevolutionäres Volk"

Meinung
Brousek: Facebook / Antonin Brousek; Frankreich-Demo: Jules*, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0 (gefiltert); Flagge: Freepik; Komposition: Der Status

Angesichts der französischen Arbeiterkämpfe gegen die Pensionserhöhung sprach Der Status exklusiv mit dem Politiker und Juristen Antonin Brousek. Der Berliner AfD-Abgeordnete spricht fließend französisch und ist ein Kenner der europäischen Völker und ihrer Interessen. Er erklärt, warum die Deutschen keine Protestkultur haben und prognostiziert, wer von den Frankreich-Protesten politisch profitieren wird.

Sehr geehrter Herr Brousek, seit Wochen protestieren die Franzosen gegen die Rentenreform von Präsident Macron. Was blüht den Bürgern dadurch – und wieso entzündet sich die Unzufriedenheit mit seiner Politik just an diesem Thema?

Die Franzosen sind ein sehr aufmüpfiges und widerständiges Volk. Das schätze ich sehr an ihnen. Nicht umsonst gab es gerade in Frankreich die wichtigste Revolution der Weltgeschichte. Die Franzosen sind andererseits nicht wirklich untereinander solidarisch. Sie denken nur an ihre eigenen Positionen und Pfründe. Deswegen sind sie nicht bereit, eine Rentenreform zu akzeptieren, die demographisch wohl notwendig ist. Das gilt umso mehr als die beabsichtigte Erhöhung des Rentenalters doch eher moderat ist.

Wer wird politisch von den Protesten profitieren?

Den Franzosen blüht dadurch eine weitere Destabilisierung ihres Landes. Sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Politisch profitieren werden im Ergebnis davon aber nicht die Linke oder die Gewerkschaften, sondern der Rassemblement National, also Frau Le Pen. Das ist wiederum zu begrüßen. Dem RN wird es dann hoffentlich gelingen, Frankreich wieder sozial und demographisch zu festigen. Die Rente mit 64 Jahren wird vermutlich aber so oder so kommen, egal was Mme. Le Pen jetzt verspricht.

Die Franzosen gehen wegen der Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre auf die Barrikaden. In Deutschland soll dieses sukzessive auf 67 erhöht werden – die Proteste blieben bisweilen aus. Wieso ist die deutsche Streik- & Protestkultur bei sozialen Themen weniger ausgeprägt? Liegt dies auch an der politischen Ausrichtung deutscher Gewerkschaften?

Die Deutschen sind ein durch und durch unrevolutionäres Volk. Sie haben meiner Meinung nach keine echte Protestkultur. Zudem sind die Deutschen ein eher gehorsames Volk, wie der weit verbreitete vorauseilende Gehorsam in den Coronajahren gezeigt hat. Insbesondere können die Deutschen sich mental eher für allgemeinpolitische Themen wie Atomkraftwerke oder Frieden erwärmen. Protest entsteht hier aus typisch deutscher "Angst". Dieser Protest hat immer eine irrationale Komponente. Soziale Themen stehen immer im Hintergrund, weil in der deutschen Gesellschaft eher realistisch als sozial gedacht wird. Zudem sind Kirchen und Gewerkschaften in Deutschland immer eine Art verlängerter Arm des politischen Mainstreams. Zumindest seit den 70er Jahren. Als staatstragende Organisationen wirken sie so protesthemmend. Das wirkt sich negativ aus. Ich bedauere das sehr.

Auch in Frankreich stehen die meisten Gewerkschaften traditionell eher „links“. Warum könnte der patriotische „Rassemblement National“ von Marine Le Pen dennoch am meisten von der Protest-Stimmung im Volk profitieren?

Gewerkschaften sind in Frankreich nicht nur links sondern auch politisch viel stärker als in Deutschland und traditionell sehr kämpferisch. Die Leute in Frankreich erkennen aber, dass die Lösung sozialer Probleme keine arbeitsrechtliche oder tarifliche Lösung sein kann. Das hängt mit dem Scheitern der Gelbwestenproteste zusammen. Diese waren heftig, im Ergebnis aber fast völlig erfolglos.

Also wendet man sich den eigentlichen Entscheidungsträgern im Lande zu, den Parteien. Die Menschen haben aber kein Vertrauen zum bürgerlichen Präsident Macron mehr. Aber auch nicht zu seinem sehr linken Gegenspieler Mélenchon. Sie erwarten zentrale neue Ansätze und Lösungen. Die anderen Parteien haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder nichts zu lösen vermocht. Die Hoffung liegt also nunmehr auf den Rechten. Sozialisten, Kommunisten und Bürgerliche haben in den letzten Jahrzehnten geradezu versagt. Wer kann jetzt noch helfen? Nur eine Partei, die sich noch nicht wirklich bewähren musste. Also vertraut man jetzt der einzigen politischen Richtung, die bislang noch nicht versagt hat: dem RN. Und das ganz zu recht, denke ich.

In Holland finden seit dem Vorjahr große Proteste statt, aufgrund absurder „Klima“-Gesetze, die für viele Bauern den Ruin bedeuten würden. Als Jurist und Landwirtschaftsexperte: Welche Gefahren drohen Deutschland hier, gerade im Zusammenspiel aus EU-„Green Deal“ und Ampel-Regierung?

In Holland geht es vordergründig um Begrenzungen von Stickstoffeinträgen. Diese sind sehr erheblich und belasten ein flächenmäßig so kleines Land wie die Niederlande ökologisch natürlich sehr. In zweiter Linie geht es aber auch um einen Umbau der niederländischen Landwirtschaft. Man will diese insgesamt reduzieren, um die landwirtschaftlichen Flächen anderweitig nutzen zu können. Manche sagen, um dort Siedlungen für Migranten zu bauen. Das ist ein niederländisches Spezifikum. Ich lehne das ab.

In Deutschland wird die grüne Landwirtschaftspolitik aus Brüssel andere aber auch sehr negative Auswirkungen haben. Schon seit den 70er Jahren führt die gemeinsame Europäische Landwirtschaftspolitik mit ihren Geldtöpfen und Subventionen in der Landwirtschaft zu einer ungesunden Verschiebung zugunsten von Großbetrieben. Kleine Bauernhöfe sterben überall in Europa deshalb. Der "Green Deal" führt zudem zu ökologisch-grünen Ideologiespritzen, deren wirtschaftliche Auswirkungen mehr als zweifelhaft sind, ohne dass der Umwelt wirklich nachhaltig geholfen wäre.

Gerade die deutsche "Ampelkoalition" hat kein wirkliches Interesse an einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaftspolitik. Das zeigt sich an der Besetzung des Ressorts durch den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Dem sieht man sofort an, dass ihm kaum etwas so fremd ist, wie ein bäuerlicher Betrieb. Er tritt deshalb gar nicht als glaubhafter Vertreter deutscher Bauern und derer Interessen auf sondern als grüner Missionar für Umwelt, Tierwohl und gesunde Ernährung. Es geht ihm nicht um die deutschen Bauern, nein es geht ihm wie allen "Ampelleuten" um grüne Umerziehung.

Sie kommen ursprünglich aus Prag, in Ihrem Geburtsland stieg die Inflation im Feber auf 17,5 Prozent. Vergangenen Herbst protestierten Zehntausende gegen die Regierung, welche die Renten zuletzt auch nur unzureichend an die Inflation anpasste. Der Chef Ihrer dortigen Schwesterpartei hielt aus Protest eine 7-stündige Parlamentsrede. Wie schätzen Sie die Explosivität der politischen Lage in Tschechien ein?

Die Inflation in Tschechien dürfte real noch etwas höher liegen. Zudem sind die Preise oftmals höher als in Deutschland oder Österreich, während die Einkommen deutlich geringer sind. Das Lebensniveau sinkt, indem eine gutverdienende Oberschicht sich immer mehr von der Arbeiterklasse (die es in Tschechien noch gibt), der schwachen Mittelschicht und den Rentnern und Pensionären entfernt. Die Schere klafft immer mehr auseinander. Das ist schlimm.

Angesichts dessen waren aber die Proteste auf dem Prager Wenzelsplatz noch bescheiden. Die Menschen sind von der Politik enttäuscht, die Lage ist aber nicht wirklich explosiv. Die Tschechen sind ein absolut unexplosives Volk, das gern in der Hospoda beim Pivo über alles sehr heftig und humorvoll nörgelt, in Wirklichkeit aber eher friedlich, geduldig und fast passiv ist.

Die spezielle Rede des Herrn Tomio Okamura im Prager Parlament nennt man ja Filibusterei. Gemeint ist endloses Reden im Plenum. Wird in den USA gern betrieben. Das hat aber auch in der tschechischen Politik eine große Tradition. So pflegten tschechische Abgeordnete im Reichsrat zu Wien bis 1918 stundenlange Reden auf Tschechisch (!) zu halten, um den Parlamentsbetrieb zu stören und als sinnlos zu dekuvrieren.

Solche Reden haben daher keinen wirklich politischen Inhalt. Und so werte ich auch die mehrstündige Rede des Abgeordneten Okamura. Vergessen Sie dabei nicht, dass Abgeordnete das Parlament ja jederzeit verlassen können, wenn sie genervt sind, abgesehen vom Präsidium natürlich. Das Ganze war also eher politischer Theraterdonner. Ich mag so etwas aber sehr gern.

Sie bezeichnen sich auch als „Pivologe“. Nun gilt der schmackhafte Gerstensaft als Arbeitergetränk schlechthin; in der Vergangenheit sorgten auch Bierpreis-Erhöhungen für Streiks, etwa 1970 im österreichischen Leoben. Welche französischen Biere würden Sie unseren Lesern empfehlen, wenn diese aus Solidarität im Kampf gegen die Eliten auf die französischen Arbeiter anstoßen wollen?

Es ist schön, dass hier einmal auch die politische Bedeutung der Pivologie erwähnt wird. Das geschieht leider viel zu selten. Und Streiks wegen Bierpreiserhöhungen gab es in der Vergangenheit in Böhmen auch. Dennoch möchte ich betonen, dass echte Pivologen Bieren aus romanischen Ländern eher misstrauen. Wenn man aber unbedingt mit einem französichen Bier anstoßen möchte, würde ich ein "Kronenbourg" nehmen. Ist etwas limonadig aber wenigstens aus dem elsässischen Straßburg.

Ich denke aber, dass Solidarität gerade von Patrioten vor allem durch Anstoßen mit heimischen Bieren gepflegt werden sollte.

Ich empfehle deshalb hier österreichischen Patrioten ein "Zwettler" oder ein "Schremser" aus dem Waldviertel. Die sind sehr trinkbar, weil es im Waldviertel gutes Wasser gibt. Ich als böhmischer Patriot werde aber auf die französchen Arbeiter auf jeden Fall mit einem vorzüglichen "Regent" aus Třeboň/ Wittingau in Südböhmen anstoßen.

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