Moralischer Zeigefinger unter Journalisten

Als ich Post von einem grünen Ex-Kollegen bekam

Meinung
Symbolbild: Freepik

Ein Brief eines früheren Kollegen zeigt: Selbst unter Journalisten nimmt der moralische Zeigefinger Überhand. Wie ideologische Überzeugungen zur Selbstgerechtigkeit führen und warum sachliche Kritik nicht gleich Extremismus bedeutet.

Ungebetene Post vom Gesinnungswächter

Vor einigen Tagen erreichte mich Post eines früheren Kollegen. Eigentlich hatten wir uns immer recht ordentlich verstanden, auch wenn wir schon damals politisch völlig unterschiedlicher Auffassung waren. Nun teilte er mir in einem Brief mit, im Internet erst kürzlich davon erfahren zu haben, dass ich wenigstens als Privatperson mit der AfD sympathisieren würde. Geschockt von dieser Nachricht sah er sich offenbar genötigt, mir ins Gewissen reden zu müssen. "Als Teil der vierten Gewalt haben wir stets Neutralität zu wahren", wollte ausgerechnet derjenige mich belehren, welcher aus seiner Parteimitgliedschaft zu den Grünen nie einen Hehl machte. Außerdem sei mir doch sicherlich bekannt, dass die Alternative für Deutschland mittlerweile als gesichert rechtsextremistisch gelte, weil sie sich gegen den universellen Wert aus Art. 1 GG stelle, um im gleichen Atemzug die Abschaffung der Demokratie zu propagieren. Es folgte darüber hinaus eine ellenlange Aufklärung über die Sünde des Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern, angebliche Beweise zur Gewaltbereitschaft von Protagonisten der Blauen, die Notwendigkeit zu Transformation und Weltoffenheit bis hin zur neunmalklugen Ermahnung, dass der menschengemachte Klimawandel mit seinem nahenden Hitzesommer für unsere Zivilisation die größte Herausforderung seit Anbeginn der Zeit darstellen dürfte. 

Glaubwürdigkeit statt Gesinnungspflicht

Der erhobene Zeigefinger war diesem Publizisten seit jeher das wichtigste Instrument seiner Arbeit, weshalb mich sein Schreiben nicht sonderlich überraschte. Dennoch sah ich mich herausgefordert, diese Zeilen nicht ohne eine Reaktion stehen zu lassen. Immerhin sind Vielzahl und Intensität der Falschbehauptungen auch bei diesem Presseschaffenden augenscheinlich ohne jede Not in Fleisch und Blut übergegangen. Zuerst einmal will ich deshalb kontern, dass das immer wieder dem einstigen Moderator der "Tagesthemen", Hanns-Joachim Friedrichs, zugeschriebene Zitat "Einen guten Journalisten erkennt man daran, […] dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache" gar nicht von ihm selbst stammt, sondern lediglich kritisch rezipiert wurde. Darüber hinaus sind wir in unserem Job allenfalls zur Objektivität verpflichtet, aber doch gerade in manchen Sparten wie dem Kommentar ausdrücklich eingeladen, eine persönliche Meinung zu präsentieren. Deren Gehalt sollte aber gerade nicht so weit gehen, dass man in ideologischer Fixierung bestimmte Argumentationen oder gar eine Anbiederung ständig wiederholt. Zum Beispiel, weil der Genosse die beständige Leier von Nächstenliebe, Vielfalt und Toleranz nun einmal fest im Herzen trägt. Schließlich birgt die Naivität zahlreiche Gefahren, vor allem für die Glaubwürdigkeit, Integrität und das Ansehen eines ganzen Berufsstandes. 

Der falsche Bezug auf Bibel und Recht

Verheiratet man sich beispielsweise mit der Mentalität des Multikulturalismus und der Idee von Massenzuströmen, hat man das Gleichnis vom biblischen Samariter falsch verstanden. Sämtliche Skepsis und Fragen über mögliche Kollateralschäden und die ausbleibende Bereicherung ganzer Völkerwanderungen schon allein deshalb im Keim zu ersticken, das steht einem Medienakteur nicht zu. Auch er sollte sich beispielsweise an die gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts halten, die in wesentlichen Zügen unmissverständlich ist. Von ihm erfahren wir nämlich: "Ein Angriff auf die Menschenwürde ist nur dann gegeben, wenn [die] Person […] als unwertiges Wesen behandelt wird" (BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010, Az.: 1 BvR 369/04). In einer weiteren Entscheidung ergänzen die roten Roben: „Art. 3 verwehrt dem Gesetzgeber indessen nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern“ (BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012, Az.: 1 BvL 14/07). Was hingegen die Opposition um Alice Weidel und Tino Chrupalla angeht, so sucht man deren verwerfliche Positionen einigermaßen vergeblich. Heißt es doch exemplarisch in einem Positionspapier vom 29.01.2024 auszugsweise: "Remigration umfasst alle Maßnahmen und Anreize zu einer rechtsstaatlichen und gesetzeskonformen Rückführung Ausreisepflichtiger in ihre Heimat". Viel mehr Gesetzestreue geht also wahrlich nicht. 

Verantwortung statt Reflexe

Entsprechend unbeeindruckt bleibe ich auch hinsichtlich des Anwurfs, ich würde an der Wahlurne eine politische Kraft unterstützen, die einen Abgesang auf die derzeitige Staatsform plant. Es ist völlig richtig, gerade angesichts der Erfahrungen mit unserem repräsentativen System einen Gedanken darüber zu verschwenden, ob es tatsächlich genügt, alle vier Jahre seine Stimme abgeben zu können. Plebiszitäre Elemente täten unserem Miteinander wahrlich gut, sinkt doch das Vertrauen in diejenigen sukzessive, denen man für eine ganze Legislaturperiode den Freifahrtschein zum Abriss der Republik ausstellt. Dass man ausgerechnet dort nicht begeistert ist über mehr Beteiligung des Souveräns, wo die aktuellen Umfragewerte wenig Hoffnung machen, erklärt sich von selbst. Und so ist es auch ein durchsichtiges Manöver, den weisungsgebundenen Inlandsgeheimdienst auf alle Kontrahenten anzusetzen, die sich eines Fanclubs für Robert Habeck, Friedrich Merz oder Lars Klingbeil verweigern. Also gegen jene zu wettern, die auf Pragmatismus setzen, ist ihnen Schwarz-Rot-Gold lieber als der Regenbogen, bevorzugen sie Kafka statt Antifa, lieben sie Volk oder Identität statt "Wir schaffen das" und "Refugees welcome". Für mich bleibt es mahnender Auftrag, insbesondere Vernunft walten zu lassen, denn um Ansehen oder Karriere willen den Held der "Guten" zu spielen, ist mir zu wenig.

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